Beschreibung
In Gesprächen besteht die Erwartung gesichtswahrender Äußerungen, die der Höflichkeit dienen. Aufforderungen oder Kritik stehen dieser Gesichtswahrung durch Einschränkung von Handlungsfreiheit oder abschlägiger Beurteilung und somit fehlender Zustimmung entgegen. Dennoch müssen diese geäußert werden, was sich höflich gestalten lässt, indem die Wünsche nach Anerkennung und Autonomie berücksichtigt werden. Es gibt Fälle, vor allem in Situationen mit institutioneller Hierarchiekonstellation, in der diese Wünsche nicht erfüllt werden und das Gesicht des Unterlegenen implizit bedroht wird. Dass eine solche Bedrohung vorliegt, können sie aufgrund der Hierarchie jedoch nicht explizit äußern. Genau diese Fälle impliziter Gesichtsbedrohungen werden in der Monographie untersucht. Anhand universitärer Sprechstundengespräche werden Gesprächssequenzen hinsichtlich der Fragen analysiert, wie solche Erwartungsbrüche entstehen, inwiefern das Gesicht des anderen also bedroht wird und wie darauf reagiert wird. Als Ergebnis konnten innerhalb der fünf detailliert analysierten Gespräche gemeinsame Merkmale für das Entstehen von und Reagieren auf Gesichtsbedrohungen ermittelt werden. Für die Analysen wurde zum einen die Methode der Gesprächsforschung um den Einbezug von Inferenzen wie Implikaturen erweitert, was für eine Rekonstruktion impliziter Gesichtsbedrohungen nötig ist, zum anderen konnten viele verschiedene Entstehungsmöglichkeiten von Implikaturen aufgedeckt werden, die nicht, wie in der bisherigen Forschung, an einer bestimmten Äußerung haften, sondern erst innerhalb und durch Sequenzen aktiv werden. Die vielen Sequenzen zeigen, wie Gesichtswahrung und bedrohung implizit verlaufen und können dazu beitragen, für derartige Situationen zu sensibilisieren. Für die Gesprächs- und Implikaturforschung kann die hier verwendete Methodenerweiterung und die dadurch aufzeigbare sequentielle Implikaturgenese von Bedeutung sein.