Das erste Buch, das ich von Daniela Krien gelesen habe, war "Die Liebe im Ernstfall", das 2019 bei Diogenes erschienen ist und episodenhaft das Leben von fünf Frauen seziert, deren Schicksale auf unterschiedliche Weise miteinander verbunden sind. Ein schönes Buch, etwas deprimierend vielleicht. Aber das sind die anderen Titel von Daniela Krien auch, wie ich festgestellt habe. Denn kürzlich habe ich mich dann mit der Neuausgabe von "Muldental" zurückgezogen, deren Kurzgeschichten sich zwar flott weglasen, aber nachhaltigen Eindruck hinterließen. Die Erzählungen handeln von der (Nach-)Wendezeit, ihren Verlierer*innen, von Orientierungs- und Ratlosigkeit, was ich persönlich ganz spannend fand und man muss halt auch sagen, dass Daniela Kriens Schreibstil großartig ist. Atmosphärisch und präzise.
Deswegen griff ich dann auch zu ihrem ersten Roman "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" und las ihn innerhalb von zwei Tagen durch. Der Roman spielt ebenfalls zur Wendezeit im Sommer 1990 und handelt von der 17-jährigen Schülerin Maria, die zu ihrem Freund Johannes auf den Hof seiner Eltern gezogen ist. Maria ist ruhig, unauffällig, hat eine schwierige Beziehung zu ihren eigenen Eltern und liest lieber, als in die Schule zu gehen. Zu Johannes pflegt sie eine unaufgeregte, wenig-leidenschaftliche, aber ihrem eigenen Empfinden nach wohl nicht schlechte Beziehung.
Doch dann trifft sie auf den 40-jährigen Henner, um dem im Dorf wilde Spekulationen kursieren, und die Beiden gehen eine Liaison ein, die manch einem sicher unangenehm aufstößt, nicht allein wegen des Altersunterschieds, sondern vor allem wegen dieser doch recht sadistisch-masochistischen Sexpraktiken, die Henner und Maria ausleben und die zwar nicht explizit in allen Einzelheiten beschrieben werden, aber so deutlich, dass da wenig Interpretationsspielraum bleibt. Und doch passt alles zusammen, steht alles im Zeichen der Wende. Die Mauer fällt, Maria wird zur Frau (nicht nur im sexuellen Sinne), alles deutet auf Umbruch, Veränderung, neue Möglichkeiten, alte Überforderungen, nie gekannte Sehnsüchte und herbe Enttäuschungen. Und wie in "Muldental" geht es auch um Wendeverlier*innen und das Aufkeimen sowie Esticken kleiner Hoffnungsschimmer. Und das alles vor dieser sommerlichen Dorfkulisse und mittels Daniela Kriens wunderbarer Art, Orte und Personen durch wenige Worte zum Leben zu erwecken. Es hätte noch ewig weitergehen können.
Mein bisheriger Favorit von Daniela Krien.
Eine Besprechung von Jessika