Ein Tipp von Sandra:
Ein Miroloi ist in der griechisch-orthodoxen Tradition ein Totenlied, welches die Frauen über das Leben der Verstorbenen dichten und singen. Die zunächst namenlose Protagonistin in Karen Köhlers erstem Roman muss sich ihr Miroloi selbst schreiben, da sie eine Außenseiterin und verstoßene Waise in ihrem Dorf ist - das Ergebnis ist kraftvoll und eindringlich.
Im Schönen Dorf, welches vollkommen isoliert auf einer mediterranen, fiktiven Insel liegt, wird die vorherrschende Schicht ausnahmslos von Männern gebildet: einer konservativen Mischung aus Ältestenrat und religiösen Oberhäuptern, die sich ihre Gesetze willkürlich zurechtlegen. Die Meinung der Frauen spielt in dieser Gesellschaft keine Rolle. Wie verhält man sich als weibliche Außenseiterin in einer Welt, in der Frauen ohnehin schon nichts zu sagen haben?
Von allen Seiten verachtet beginnt die Protagonistin schleichend ihre Rebellion gegen diese bestehenden Normen, lernt lesen, findet Verbündete, Freund*innen, verliebt sich und träumt von einer Familie und einem Leben weit entfernt von der Monotonie und Scheinheiligkeit des Dorflebens. Sie kämpft zunächst heimlich für ihre Träume und Individualität, bis ihre Wut und ihr Wunsch nach Rache mit ihr durchgehen.
Die einfache Sprache des Romans entwickelt sich mit der Persönlichkeit der Ich-Erzählerin und bringt den Leser*innen ihre mutige und liebenswerte, doch zugleich traurige Geschichte auf gefühlvolle Art und Weise näher.