Beschreibung
Ende 2022 reist François-Henri Désérable vierzig Tage lang durch den Iran. In seinem Gepäck nicht viel mehr als 'das Reise-Evangelium nach Nicolas': Die Erfahrung der Welt von Nicolas Bouvier. In den fünfziger Jahren hatte der Genfer Schriftsteller, damals Mitte zwanzig, in einem Fiat Topolino den Iran durchquert. Die Lektüre von Bouviers Reisebericht ist für Désérable eine solche 'Explosion', dass er beschließt, dieselbe Reise anzutreten. Aber dann stirbt im Iran die junge Mahsa Amini, nachdem sie von der Sittenpolizei verhaftet und zu Tode gefoltert wurde. Eine Protestwelle erfasst das Land, das Regime reagiert darauf mit noch mehr Repression. Dennoch lässt sich François-Henri Désérable nicht von seinen Plänen abbringen. Er reist in den Iran, wo ihn berührende, ermutigende, aber auch einschüchternde Begegnungen erwarten, in Teheran ebenso wie in weit abgelegenen Dörfern. Im kurdischen Teil des Landes wird er von der Revolutionsgarde festgehalten und des Landes verwiesen. Im Gepäck nunmehr eigene literarische Skizzen.
Autorenportrait
François-Henri Désérable, 1987 in Amiens geboren, war zehn Jahre lang professioneller Eishockeyspieler. Nach ersten Novellen erschienen 2015 und 2017 seine Romane Évariste und Un certain M. Piekielny. Der zweite Roman, eine Hommage an den Schriftsteller Romain Gary, wurde in ein Dutzend Sprachen übersetzt. Für seinen jüngsten Roman Mon maître et mon vainqueur, 2023 im Rotpunktverlag unter dem Titel Mein Meister und Bezwinger auf Deutsch erschienen, wurde François-Henri Désérable 2021 mit dem Grand prix du roman de lAcadémie française ausgezeichnet. Lusure dun monde, auf Deutsch Eine verfahrene Welt, erhielt 2023 den Prix de Roman-News und den Prix Nicolas Bouvier.
Leseprobe
'Inzwischen war es dunkel geworden. Seit zwei Stunden liefen wir durch die Straßen um den Enghelab-Platz, als Niloofar stehen blieb und sagte: 'Warte, ich zeige dir, was es in Teheran für ein wunderbares Echo gibt.' Sie holte tief Luft, legte die Hände trichterförmig an den Mund und rief, so laut sie konnte: Marg bar dictator! - 'Tod dem Diktator!' Eine Sekunde lang, nicht länger - aber es war eine dieser Sekunden, die sich ziehen, eine elastische Sekunde -, blieb ich sprachlos, verdattert von ihrer Kühnheit, und statt meine Stimme der ihren hinzuzufügen, ihr einen brüderlichen Arm um die Schulter zu legen und meinerseits zu schreien, machte ich instinktiv, fast ohne nachzudenken, einen Schritt zur Seite. [.] Im dritten Stock eines Gebäudes öffnete jemand das Fenster und rief: 'Tod dem Diktator!' Dann riefen die beiden Männer ein Stückchen weiter auf der Straße: 'Tod dem Diktator!' Dann hupte ein vorbeifahrendes Auto und der Fahrer kurbelte das Fenster herunter und rief: 'Tod dem Diktator!' Dann hörten wir 'Tod dem Diktator!'-Rufe aus einer Parallelstraße: Das war das verstärkte, verlängerte Echo von Niloofars Schrei, das sich in den Straßen der Stadt ausbreitete. Es war das wunderbare Echo von Teheran.'
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