Darum schütze, was du liebst

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442460441
Sprache: Deutsch
Umfang: 476 S.
Format (T/L/B): 3.2 x 18.3 x 11.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Erin Paterson führt ein scheinbar perfektes Leben. Als erfolgreiche und unbestechliche Anwältin genießt sie in Glasgow Respekt und Anerkennung. Doch ihre Welt gerät aus den Fugen, als eine ihrer alten Schulfreundinnen brutal ermordet wird. Denn der Mörder nimmt Kontakt zu ihr auf und zwingt sie, lange totgeschwiegenen Familiengeheimnissen auf den Grund zu gehen ...

Autorenportrait

Louise Anderson wurde 1966 geboren. Sie wuchs in Glasgow auf und zog nach dem Studium mit ihrem Mann in die USA. 1991 kehrte sie nach Glasgow zurück, wo sie seither mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern lebt.

Leseprobe

Prolog Nicht das, was tatsächlich geschieht, ist wichtig, sondern die Art und Weise, wie wir es wahrnehmen. Wir alle sind Zeugen derselben Ereignisse, und doch sehen wir sie vollkommen unterschiedlich. Wir sehen sie jeweils aus unserer eigenen Perspektive. Während wir womöglich den schlimmsten Tag unseres Lebens durchmachen, wird uns klar, dass andere Menschen überall auf der Welt ebenfalls Katastrophen erleiden. Wir erkennen sie in den Babys, die jede Minute in Afrika sterben, in einem Schüler, der seine Klassenkameraden erschießt, und in einem Erdbeben in Eurasien, doch im Allgemeinen halten wir uns nicht allzu lange damit auf. Wir spenden all jenen Geld, die am lautesten trommeln, und applaudieren Wohlfahrtseinrichtungen für ihre Bemühungen. Die Welt ist zu groß, um über sämtliches menschliches Elend nachzudenken. Nur wenn es sich in unserem eigenen Haus einnistet, befassen wir uns ernsthaft damit. Ich sorge mich wirklich um die Welt, doch ich sorge mich mehr um die, die ich liebe, als um die, denen ich nie begegnet bin. Unsere Leben verlaufen linear. Während ich unter der Dusche stehe, putzen Sie sich gerade die Zähne. Während mein Nachbar sich Butter auf den Toast schmiert, ziehe ich mein Kostüm an. Während der Zeitungsjunge zur Schule läuft, trinkt der Schülerlotse Tee aus einer Thermoskanne. Unsere Leben verlaufen linear und bildlich gesprochen parallel. Tausende von dünnen Linien, so eng zusammengedrängt, dass die Abstände dazwischen nicht erkennbar sind. Während Alex es mit Mrs. McCaffer trieb, schenkte ich mir eine Tasse frischen Kaffee ein, und Lucy Grant tat ihren letzten Atemzug. Ein sorgfältig choreographiertes Ballett, jedes Ereignis scheinbar für sich, und doch kollidieren sie mit jedem neuen Schritt und jeder Änderung des Tempos miteinander. ... Schnittwunde vorn am Hals, durch die Luftröhre, Speiseröhre und Kehlkopf durchtrennt wurden ... Abtrennung des Frenulum linguae, Zunge entfernt ... Abschürfungen, blaue Flecken und Quetschungen des Mons und der Lippen ... Beweise für Vergewaltigung ... Beweissicherungs-Set benutzt ... Ich freute mich auf den Freitag und das Ende der Woche. Das hatte ich schon als Kind immer getan. Zeit zum Entspannen. Ich hatte einen Pakt mit mir geschlossen, während der Woche hart zu arbeiten und am Wochenende abzuschalten, doch das funktionierte nicht. Je fleißiger ich war, desto mehr Müll landete bei mir. Wenn ich tüchtig und gewissenhaft war, verleitete das andere nur zur Nachlässigkeit. Ich wollte gern faul sein, doch in meiner Verzweiflung, mich als würdig und als jedem Mann ebenbürtig zu erweisen, lud ich mir versehentlich eine Last auf. Ich war der Dreh- und Angelpunkt der von meinem Großvater gegründeten Kanzlei. Und ich verhätschelte meine Familie so sehr, dass sie ohne mich nicht zurecht kam. Das dachte ich jedenfalls. Ich war mir vollkommen bewusst, dass viele Menschen mich wegen meiner kurz angebundenen und konfliktfreudigen Art nicht mochten. Wäre ich ein Mann, würde man mich als geradlinig und sarkastisch charakterisieren. Mir war auch klar, dass ich nicht nur mit einem silbernen Löffel im Mund auf die Welt gekommen war, sondern mit einem ganzen Besteckkasten voll Silberzeug, massivem Silber, einschließlich passender Teekanne und Zuckerzange. Der Morgen, an dem Lucy Grant vergewaltigt und ermordet wurde, veränderte einiges für mich, doch nicht, weil ich plötzlich verstand, dass das Leben kurz und kein 'Probedurchlauf' war. Ich machte mich nicht auf, um mich selbst zu finden, wie all diese anderen fünfunddreißigjährigen Karrierefrauen. Ich erstand kein ausrangiertes Sperma und fing auch nicht an, Jäckchen zu stricken. Ich ließ mir nicht radikal die Haare schneiden und trat nicht dem VSO bei, um Freiwilligendienst in einer Entwicklungshilfeorganisation zu leisten. Ich tat nichts Reaktionäres. Ich schaffte alles spielend. An jenem Freitagmorgen Anfang Oktober, an dem Lucy Grant starb, kollidierte mein linearer Kurs nicht nur ...