Die schrecklichen Gärten

Roman

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442731435
Sprache: Deutsch
Umfang: 86 S.
Format (T/L/B): 1 x 18.7 x 11.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Eine Kindheit im Frankreich der fünfziger Jahre: Im Mittelpunkt steht ein schwieriges Vater-Sohn-Verhältnis, in dem der Vater den traurigen Clown spielt. Der Sohn empfindet dies als peinlich und demütigend. Erst als er erfährt, was dem Vater während des Krieges widerfahren ist, lernt er, ihn mit neuen Augen zu sehen - und ihn endlich von ganzem Herzen zu lieben.

Autorenportrait

Michel Quint, 1949 in Pas de Calais geboren, studierte Literatur und Theaterwissenschaften. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer begann er in den Achtzigerjahren für Rundfunk und Theater zu schreiben, es folgten mehrere Romane. 1989 wurde er mit dem Großen Krimipreis ausgezeichnet. Den fulminanten literarischen Durchbruch aber erzielte er mit dem Überraschungserfolg "Die schrecklichen Gärten": Das Buch, in einem sehr kleinen, literarischen Verlag publiziert, avancierte innerhalb kürzester Zeit durch Mund-zu-Mund-Propaganda zum Lieblingsbuch der Buchhändler und Leser. Es war monatelang auf den französischen Bestsellerlisten, wurde mit euphorischen Kritiken bedacht und in vierzehn Sprachen übersetzt. Michel Quint lebt mit seiner Familie in Lille.

Leseprobe

Verschiedene Zeugen berichten, dass die Polizei an einem der letzten Tage des Prozesses gegen Maurice Papon einen Clown, einen Hanswurst, übrigens schlecht geschminkt und in einem zerlumpten Kostüm, daran gehindert hat, den Gerichtssaal des Justizpalastes von Bordeaux zu betreten. Offenbar hat er den Tag über gewartet, bis der Angeklagte den Saal verließ, und ihn dann einfach nur angesehen, aus der Ferne, ohne dass er versucht hätte, das Wort an ihn zu richten. Vielleicht ist dem ehemaligen Generalsekretär der Präfektur des Departements Gironde dieser Clown aufgefallen, aber das ist völlig ungewiss. Später ist der Mann regelmäßig, ohne seine Verkleidung, wiedergekommen, um sich das Ende der Verhandlungen und die Plädoyers anzuhören. Jedes Mal lag auf seinem Schoß ein Köfferchen, über dessen zerschrammtes Leder er zärtlich mit der Hand strich. Ein Gerichtsdiener erinnert sich, dass er ihn nach der Urteilsverkündung sagen hörte: "Wie kann es denn ohne Wahrheit Hoffnung geben.?" Und ohne Erinnerung? Vichygesetze: Vom 17. Juli 1940, bezüglich des Zugangs zu Ämtern in der öffentlichen Verwaltung, vom 4. Oktober 1940 über ausländische Staatsangehörige jüdischer Rasse, vom 3., also vom Vortag, das Judenstatut betreffend, vom 23. Juli 1940, über die Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft bei Franzosen, die Frankreich verlassen haben, all diese Urkunden, auf denen Petain beginnt mit: "Wir, Marschall von Frankreich.", und dann noch jenes andere Gesetz, eines, das mir besonders nahe geht, vom 6. Juni 1942, es verbietet Juden, den Schauspielerberuf auszuüben. Ich bin kein Jude. Auch kein Schauspieler. Aber. So weit ich zurückdenken kann, in Zeiten, wo ich noch aufrecht unter den Tischen durchging, und bevor ich wusste, dass sie einen zum Lachen bringen sollen, haben Clowns bei mir nur Kummer ausgelöst. Den Wunsch zu weinen und tiefe Verzweiflung, brennenden Schmerz und die Scham eines Parias. Mehr als alles andere habe ich die Hanswurste gehasst. Mehr als Lebertran, mehr als die Küsse, die ich stachligen alten Tanten geben musste, und mehr als Kopfrechnen, mehr als irgendeine andere Quälerei der Kindheit. Das Gefühl von damals, aus der Zeit meiner Unschuld, lässt sich vielleicht am besten so beschreiben: Ich habe angesichts dieser zusammengeflickten Männer mit ihren aufgerissenen, bleiweiß geschminkten Augen, angesichts dieser lächerlichen Figuren, das tugendhafte Entsetzen eines unberührten jungen Mannes gespürt, der einer grell angemalten Prostituierten über den Weg läuft, so wie ich mir das in meiner oberflächlichen Vorstellung ausmale, oder den plötzlichen Schweißausbruch einer sittsamen Jungfrau, die mitten im Blumenbeet einen obszönen Gartenzwerg mit aufgerecktem Glied entdeckt. Wenn ich zu einer Vorstellung in der Manege mit musste, war ich vor lauter Schiss knallrot, stotterte und pinkelte mir in die Hose. Ich war taub. Verrückt. Halb tot. Allein bei dem Gedanken an eine Clownfratze, eine rote Perücke, bei der Aussicht auf einen Vormittag im Zirkus begannen meine Klassenkameraden, meine Schwester Françoise, alle normal veranlagten Kinder, zu kichern, zogen sich ihre Mundwinkel nach oben. Die Ekstase des Lachens überkam sie, die Lust des hemmungslosen Kreischens. Mir schnürte sich die Kehle zu, sodass ich weder eine Grammatikregel noch das Abendessen runterbekam. Natürlich sind populärwissenschaftliche Handbücher der Psychoanalyse nicht für Hunde bestimmt, und drum habe ich die Ursachen dieser Neurose längst herausgefunden. Mein Vater, seines Zeichens Grundschullehrer, jagte hinter jeder Gelegenheit her, und packte sie auch beim Schopf, um sich als Amateurhanswurst zu produzieren. Quadratlatschen, rote Nase und ein Haufen Krempel, zusammengestoppelt aus seinen alten Anzügen, ausrangiertem Küchenkram. Ein paar Spitzen, die meine Mutter ihm überlassen hatte, gaben ihm obendrein noch ein zwielichtiges Aussehen. So gewappnet und herausgeputzt, mit einem ausgeschlagenen Emailsieb behelmt, einem rosa Kor Leseprobe