Beschreibung
"Das ist der echte, pure Christensen!" Aftenposten
Autorenportrait
Lars Saabye Christensen, 1953 in Oslo geboren, ist einer der bedeutendsten norwegischen Autoren der Gegenwart. Seine Bücher sind vielfach preisgekrönt und wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt. Mit seinem Roman "Der Halbbruder", für den er den "Nordischen Literaturpreis" erhielt, feierte er in ganz Europa und den USA Triumphe. Der Autor lebt in Oslo.
Leseprobe
Ich fiel in Paris. Direkt vor den Augen meiner Verleger und Übersetzer, nicht nur aus Europa, den USA und Südamerika, sondern auch aus Australien, Neuseeland und Japan, nicht zu vergessen die Journalisten, die an diesem Abend natürlich auch zur Stelle waren; vor all ihren Augen fiel ich von der Bühne im ehrwürdigen Auditorium 2, während der großen Buchmesse in Paris, am 4. März 2005, um 19.03 Uhr. Ich war eingeladen worden, um über das Besondere an der nordischen Literatur zu sprechen, genauer gesagt über den norwegischen Roman, gern über meine eigenen, wenn ich denn eine besondere nordische oder norwegische Prägung in einem von ihnen finden könnte, und wenn ich etwas darüber sagen wollte, wie oder warum ich überhaupt zum Schriftsteller geworden war, dann war das auch herzlich willkommen. Der Rahmen war, um es höflich auszudrücken, weit gesteckt, und das hätte mich eigentlich wachsam machen sollen, aber Erfolg macht einen oft träge, unaufmerksam, fast gleichgültig, und ich muss zugeben, ich hatte Erfolg, wie man so sagt. Ich war also im Gefahrenbereich, ohne es selbst zu wissen. In diesem Zustand ging ich die fünf Stufen hinauf auf die schmale, wacklige Bühne, die eigens für diesen Anlass aufgebaut worden war und in keinem Verhältnis zu dem großartigen Interieur ringsumher stand. Sie war sicher von einer Firma bereitgestellt worden, die sonst für Sportvereine, den 14. Juli und kirchliche Basare arbeitete. Der Applaus brach los, sobald ich mich zeigte, und erstarb ebenso schnell wieder. Es lag Erwartung in der Luft. Ich verneigte mich. In meiner Jackentasche hatte ich einen Notizzettel, auf den ich nur drei Worte geschrieben hatte, drei Stichworte, in Verbindung mit dem umfassenden Thema des Abends, nämlich der Frage, was die nordische Literatur besonders auszeichnet, genauer gesagt den norwegischen Roman, und wie oder warum ich Schriftsteller geworden war, wenn ich Gelegenheit finden würde, darüber etwas zu sagen, und diese drei Worte lauteten Zeit, Stille, Melancholie. Ich hatte bereits im Vorfeld die Organisatoren, schriftlich wie mündlich, um einen Stuhl gebeten, einen Stuhl, auf dem ich sitzen konnte, weil ich schnell unsicher werde und mir dann schwindlig wird, wenn ich stehen und gleichzeitig reden muss, das hat etwas mit meiner Atmung und dem Herzrhythmus zu tun, die Ärzte würden es sicher als supraventrikuläre Extrasystolen bezeichnen; sicher auf einem Stuhl sitzend, schlägt mein Herz ruhig und zuverlässig, ein Metronom aus Fleisch und Blut, aufrecht stehend kommen dagegen Doppelschläge am laufenden Band, wie bei einem Hund, den man am Brustkorb festgebunden hat. Und sie hatten den Stuhl nicht vergessen. Er stand ganz hinten an der Wand, die von einer riesigen Landkarte von Skandinavien bedeckt war, und es war ein enttäuschend gewöhnlicher Holzstuhl, ungefähr wie die Stühle, die man früher in der Schule benutzt hat oder die so gerne in erbärmlichen Wartezimmern bei unsensiblen Zahnärzten zu stehen pflegen, Sitz und Rückenlehne aus dünnen Spanplatten und ohne Armlehnen. Das würde schon seinen Mann erfordern, von diesem Stuhl aus inspiriert über Literatur zu sprechen, das begriff ich sofort, doch es bekümmerte mich nicht, denn ich war ja auf Erfolgskurs. Außerdem erschien es mir unpassend, so dicht vor der Landkarte von Skandinavien zu sitzen, ich verdeckte ja fast ganz Dänemark, das konnte zumindest irritierend erscheinen, vom Publikum aus gesehen. Deshalb zog ich den Stuhl zum Bühnenrand hin. Das hätte ich nicht machen sollen. Bevor ich nur ein Wort gesagt hatte, begann ich bereits zu fallen. Das eine Stuhlbein ragte über den Rand. Der Stuhl kippte vornüber. Ich konnte gerade noch sehen, dass die Uhr an der Tür ganz hinten im Saal 19.03 zeigte. Ich konnte gerade noch all die lächelnden, freundlichen Gesichter sehen, die noch gar nicht bemerkt hatten, was da passierte. Und dieser eine Augenblick dehnte sich in all seiner Grausamkeit aus und erstarrte in einer schrägen Narbe auf meiner rechten Stirnseite. So fiel ich in
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