Autorenportrait
Gisa Pauly hängte nach zwanzig Jahren den Lehrerberuf an den Nagel und veröffentlichte 1994 das Buch 'Mir langt's - eine Lehrerin steigt aus'. Seitdem lebt sie als freie Schriftstellerin, Journalistin und Drehbuchautorin in Münster, ihre Ferien verbringt sie am liebsten auf Sylt oder in Italien. Ihre Sylt-Krimis um die resolute Mamma Carlotta erobern jedes Jahr aufs Neue die Bestsellerlisten. Gisa Pauly wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Satirepreis der Stadt Boppard und der Goldenen Kamera des SWR für das Drehbuch 'Déjàvu'. Die Leser der Fernsehzeitschrift rtv wählten sie zur beliebtesten Autorin des Jahres 2018.
Leseprobe
Als er das erste Mal erwachte, war es noch dunkel. Wie lange hatte er geschlafen? Anscheinend nur ein oder zwei Stunden. Dann musste ihn der Schuss aufgeschreckt haben. In seiner Nähe hatte jemand gefragt: 'Was war das?' Erik Wolf hatte es sofort gewusst. Für ein oder zwei Sekunden hatte die Welt stillgestanden, hatte das Entsetzen jedes Geräusch verschluckt, dann hatte jemand laut aufgeschrien, ein weiterer Schrei gellte, kurz darauf drang Tumult die Treppe von der Bahnhofshalle zu den Gleisen herauf. Erik zog seinen Dienstausweis aus der Tasche und hielt ihn den Mitreisenden hin. 'Polizei! Sie bleiben hier auf dem Bahnsteig!' Dann rannte er die Treppe hinab und folgte dem Gang Richtung Bahnhofshalle. Dort drängten sich ein paar Menschen um eine Person, die am Boden lag. Einer hatte ein Handy am Ohr. 'Polizei? Kommen Sie sofort! In der Bahnhofshalle ist jemand erschossen worden ! ' Erik schob sich an ein paar Leuten vorbei, die sich nur widerwillig zur Seite drängen ließen. Dann sah er den Toten vor sich liegen, auf dem Rücken, Arme und Beine von sich gestreckt, den Blick zur Decke gerichtet, starr, ausdruckslos. Auf seinem Gesicht lag kein Entsetzen, nur ein leichtes Staunen. Steffen Ellebrecht war von seinem Mörder überrascht worden. Erik sank neben seinem toten Kollegen auf die Knie. Von ferne ertönte ein Martinshorn, das schnell näher kam. Schon bald hörte er Bremsen quietschen und das Schlagen von Autotüren, dann eilige Schritte und energische Stimmen. Jemand griff nach seinen Schultern und sagte: 'Stehen Sie bitte auf. ' Erik erhob sich, ohne den Blick von dem Toten zu lassen, auf dessen Brust sich ein dunkler Fleck ausbreitete. 'Kennen Sie den Mann?' Erik nickte. 'Wir haben zusammen die Polizeischule besucht. Gelegentlich haben wir uns hier in Flensburg getroffen. Er wollte mich vom Zug abholen.' Als er das nächste Mal erwachte, war der Tag angebrochen. Die Finsternis hatte einem grauen Morgen Platz gemacht. Auf Sylt herrschte dichter Nebel. Er musste vom Festland herübergekommen sein. Schon als Erik am Vorabend über den Hindenburgdamm gefahren war, hatte der Küstennebel den Wind zum Schweigen gebracht. Und nun hatte er sich noch immer nicht gelichtet. Nach wie vor hatte Erik das Gesicht von Steffen Ellebrecht vor Augen, den gebrochenen Blick, das Blut auf seiner Jacke. Kommissar Annegarn, dem jungen Ermittler, hatte es nicht gefallen, dass ein älterer Kollege ihn unterstützen wollte. Nachdem Erik seine Aussage gemacht hatte, wurde er nach Hause geschickt. 'Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich Sie brauche.' Zum Tathergang hatte Erik ohnehin nichts sagen können. Aber er hatte Annegarn die Adresse von Steffen Ellebrecht gegeben und ihm erklärt, dass dieser zwei Jahre zuvor aus dem Dienst ausgeschieden war, zermürbt von anonymen Drohungen. Kommissar Annegarn hatte Ellebrechts Namen nie gehört. 'Das war vor meiner Zeit. Hat er Familie? Kennen Sie seine Telefonnummer?' Erik hatte alles erzählt, was er wusste. ' Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie den Täter in seinem persönlichen Umfeld finden', hatte er gesagt. 'Steffen hatte keine Feinde. Vielleicht war es ein Racheakt? Ein Ganove, den er in den Knast gebracht hat ? ' Doch Kommissar Annegarn hatte ihn gebeten, sich mit solchen Vermutungen zurückzuhalten. Nachdem Erik seine Personalien hinterlassen hatte, wurde er wie alle anderen aus der Bahnhofshalle geschoben und konnte von draußen noch eine Weile zuschauen, wie die Flensburger Kollegen mit ihrer Arbeit begannen. Aber nicht lange, denn bald schon spürte er wieder eine Hand auf seinem Arm. 'Hier gibt es nichts mehr zu sehen', sagte ein Kollege in grüner Uniform. 'Gehen Sie bitte weiter. Der Bahnhof wird kurzfristig geschlossen. ' Ohne diesen Hinweis hätte Erik sich in den nächsten Zug gesetzt und wäre nach Sylt zurückgefahren. So aber tastete er sich durch den Nebel zu dem Restaurant am Hafen, wo er einen Tisch für zwei Personen reserviert hatte. Er bestellte Matjesfilets mit Bratkarto
Schlagzeile
Ein toter Informant und eine Reise nach Italien>