Autorenportrait
Gérard Georges, selbst im ländlichen Montbrison im Departement Loire aufgewachsen, war Rundfunkjournalist und arbeitete an der Universität und als Direktor einer Schule, bevor er sich entschloss, nur noch zu schreiben. Die Liebe zum Land mit all seinen Vor- und Nachteilen hat den Autor von mehr als zwanzig Büchern nie verlassen, und der schönste Beweis dafür ist sein liebevoller Blick auf die Menschen der Auvergne - der Region, die als das Herz von Frankreich gilt.
Leseprobe
1 Der Regen trommelte auf die Windschutzscheibe. Selbst im Schnellgang schafften die Scheibenwischer es nicht, diese Sintflut zu bewältigen. Das Licht der Scheinwerfer durchdrang die tiefschwarze Nacht. War es die Nacht? Oder stand die Welt Kopf? Francis fuhr langsamer. Der Regen rauschte herunter und bildete einen dichten Vorhang. Einige Male war das Auto wegen Aquaplaning fast von der Fahrbahn abgekommen. Selbst in Irland, wo Francis mehrere Jahre gelebt hatte, waren die Elemente nicht so außer Rand und Band geraten. Und dann komme ich auch noch freiwillig hierher und sperre mich in diesem Kaff ein, dachte er. Er konnte die Zahl Sechs auf dem Meilenstein erkennen. 'Wird auch langsam Zeit', seufzte er. Ein Auto begegnete ihm mit aufgeblendeten Nebelscheinwerfern, und er schimpfte über den Idioten von Fahrer, der nicht mal die einfachsten Verkehrsregeln für Regenwetter kannte. Er stellte das Fernlicht an. 'Hier, da kriegst du, was du verdient hast, Blödmann!', rief er und grinste. Dann legte er die Hände wieder ans Steuer. Auf der Uhr am Armaturenbrett war es Viertel nach acht. Am frühen Nachmittag war er in Paris losgefahren und hatte nur einmal kurz hinter Nevers angehalten, um vollzutanken. Nachdem die Straße sich noch ein langes gerades Stück hinzogen hatte, sah er weiter hinten das Ortsschild Coissardon. Er hatte es geschafft, er war endlich am Ziel. 'Bei diesem Sauwetter erkenne ich überhaupt nichts wieder!', stellte er leicht verärgert fest. Und dann dachte er, dass er in dem Dorf, in dem er seine Kindheit verbracht hatte, ein Fremder geworden war. Er stellte den Motor ab und löschte die Scheinwerfer. Die Laternen auf dem menschenleeren Kirchplatz bildeten eine diffuse gelbliche Lichtquelle, in die der schräg fallende Regen fiel, der unaufhörlich auf das Wagendach trommelte. Francis zögerte einen Moment, bevor er die Tür öffnete. 'Also, los jetzt!', sagte er dann. Er riss die Wagentür auf und lief bis zum Eingang des Hotel-Restaurants La Bonne Marmite, das spärlich von einem schwachen Neonlicht beleuchtet war. Als er die Tür aufdrückte, klingelte die darüber befestigte Glocke. Ein helles, kristallenes Geräusch, das den Blick des Wirts und zweier Männer auf ihn lenkte, die an der Theke saßen und Ricard tranken. 'Guten Abend, Monsieur', sagte der Wirt. 'Mieses Wetter, finden Sie nicht?' Wie es sich für einen richtigen Küchenchef gehört, hatte auch Louis Reynard einen stattlichen Bauch. In der Gegend war er wohlbekannt, und wenn man sonntagmittags einen Tisch bei ihm haben wollte, musste man Wochen im Voraus reservieren. In der Woche war es natürlich ruhiger. Er verdiente sein Geld vor allem am Sonntag. 'Was kann ich Ihnen bringen?', fragte der Wirt. Francis wartete einen Moment, bevor er antwortete. Er fuhr sich mit der Hand über sein regennasses Gesicht, strich sich Haare und Schnurrbart glatt und setzte sich dann auf einen Hocker an der Theke. 'Einen Whisky, bitte', sagte er. 'Mit Eis.' Die beiden anderen Gäste musterten den Neuankömmling mit unverhohlenem Blick. Wer war dieser Fremde, der hier einfach so bei ihnen hereinschneite? Was wollte er hier? Hatten sie ihn vielleicht irgendwo schon mal gesehen? Francis ärgerte sich über die dreiste Neugier, mit der sie ihn betrachteten, zündete sich eine Philip Morris an und wandte ihnen den Rücken zu. Er sah sich in dem riesigen Spiegel, der über der Theke an der Rückwand hing. Seine schwarzen Haare, die allmählich grau wurden, seinen Schnurrbart, die Ringe unter den Augen. Seinen Blick, der eher enttäuscht als müde wirkte. So sah er also aus, Francis, der Junge aus dem Dorf Coissardon, der sein Leben auf den Straßen der Welt verbracht hatte und jetzt mit fünfundvierzig nach Hause zurückkam. Wer würde ihn wiedererkennen? Wer konnte sich noch daran erinnern, dass er hier in diesem Dorf mitten in der Auvergne aufgewachsen war? Er nahm einen Schluck Whisky und wandte sich an den Wirt. 'Ich bin der Mann, der Sie vor ein paar Tagen angerufen hat, um ein Zimmer z
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