Autorenportrait
Geboren 1974 in Bonn. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Romanistik an der Universität Bonn. Einjähriger Studienaufenthalt an der Universität Mexiko Stadt (UNAM). Postgraduiertenstudium International Journalism an der City University London (Master of Arts 1999). Bis 2001 Anstellung als Redakteur bei PCFT Filmproduktion (Disney Channel) Seit 2001 freier Autor, Regisseur und Journalist. Belletristische Veröffentlichungen im Bereich Kinder- und Jugendbuch unter anderem bei Kiepenheuer & Witsch, Oetinger, Loewe, moses Verlag. Uraufführungen eigener Stücke unter anderen an den Theatern Düsseldorf, Bamberg, Bad Hersfeld, Stuttgart, Wiesbaden. Regiearbeiten unter anderem an den Theatern Trier (Die Dreigroschenoper, Cabaret), Bad Hersfeld (Don Quijote) und dem Schauspielhaus Düsseldorf (Alice oder Nichts). Regelmäßige Live-Moderationen von Literaturveranstaltungen, unter anderem bei der lit.cologne und Münchner Bücherschau. Übersetzungen und fremdsprachige Moderationen englisch und französisch. Journalistische Arbeiten unter anderem für WDR, Deutschlandradio, CBS News, BBC. Tobias Goldfarb lebt mit seiner Frau und einer Tochter in Berlin.
Leseprobe
Angst Ob ich drüben Angst habe? Natürlich habe ich Angst. Aber ich habe auch Angst, wenn ich nicht drüben bin. Ich bin ein Angsthase. Ich würde gerne behaupten, dass das der Grund ist, warum mir nichts passiert. Stimmt nur leider nicht. Mir passiert ständig etwas. Ich breche mir dauernd die Knochen, meistens kurz vor den Sommerferien. Ich bin diejenige, die zu spät in den Bus steigt und deren Rucksack von der Tür eingeklemmt wird, sodass die Tasche bis zur nächsten Station draußen fährt und ich drinnen ausgelacht werde. Während ich Todesangst habe. So etwas würde mir drüben nie passieren. In der Niemandsstadt wird man zwar ab und zu von jemandem gebissen, aber ausgelacht wird man nie. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, muss ich sagen, dass ich drüben ziemlich häufig gebissen werde. Während mich, wenn ich nicht drüben bin, fast nie jemand beißt, erst recht keine wildfremden Leute irgendwo in der Stadt. Hier Hier bin ich Josefine. Ich glaube, meine Eltern fanden den Namen irgendwie niedlich, als sie sich vorgestellt haben, dass ein kleines Baby zufrieden in der Wiege liegt und lächelnd an ihren Fingerchen nuckelt. Sie haben mich 'Finchen' genannt, weil das so nett klingt. Damit müssen sie aber ziemlich bald aufgehört haben, denn anstatt zufrieden zu lächeln und an den Fingerchen zu nuckeln, habe ich als Baby hauptsächlich geschrien. Etwa zwanzig Stunden am Tag, wenn man glaubt, was meine Eltern sagen. Zu so einem schreienden Bündel mit hochrotem Kopf passte 'Finchen' nicht mehr so gut, also sind sie zu 'Jo' gewechselt. So nennen meine Eltern mich fünfzehn Jahre später immer noch: Jo. Kurz und knackig. Klingt nicht nach Angsthase, obwohl ich ja einer bin. Inzwischen würde 'Finchen' vielleicht sogar besser passen. In der Schule habe ich aber einen anderen Spitznamen: 'Josef'. Ich bin ein Mädchen, das aussieht wie ein Junge, und Josef genannt wird. Josef wie in: Alter Mann mit Bart und Hut, der irgendwo in den Bergen ein Bündel Reisig durch eine verschneite Landschaft schleppt.
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