Der Traum vom Frieden und die Versuchung der Macht

Deutsche Geschichte im 20.Jahrhundert

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783570550137
Sprache: Deutsch
Umfang: 336 S.
Format (T/L/B): 2.9 x 20 x 12.7 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

"Ein glänzender Kenner der jüngeren deutschen Geschichte und ein Mann von faszinierender Darstellungskraft." Helmut Schmidt

Autorenportrait

Fritz Stern wurde 1926 in Breslau geboren und floh im Alter von zwölf Jahren mit seinen jüdischen Eltern vor den Nazis in die USA. Seitdem lebt er in New York und ist Professor an der Columbia-Universität. Der deutsch-amerikanische Historiker gilt als ein

Leseprobe

Fritz Stern im Gespräch mit Helmut Schmidt und Theo Sommer

Theo Sommer: Fritz Stern, Sie waren sieben, als Hitler an die Macht kam; zwölf, als Ihre jüdische Familie nach Amerika ausgewandert ist; neunzehn, als der von Hitler vom Zaun gebrochene Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Mit einundzwanzig sind Sie amerikanischer Bürger geworden. Aber das Drama der deutschen Geschichte ist Ihr Lebensthema geblieben. Wenn Sie heute auf achtzig Jahre Ihres Lebens und damit auf achtzig Jahre deutscher Geschichte zurückblicken - sind Ihre Sorgen über Deutschland größer als Ihre Erleichterung darüber, welchen Weg es in den vergangenen sechzig Jahren genommen hat?
Fritz Stern: Der Weg, den die Bundesrepublik genommen hat, hat eine große Vitalität gezeigt: die Möglichkeit, eine Demokratie aufzubauen. Das schafft natürlich Erleichterung. Was mich lange beschäftigt hat und wohl auch nie ganz loslassen wird, ist die Frage: Wie war das andere möglich? Wie war Hitler möglich?
Sommer: Es gibt zwei Denkschulen. Nach der einen war Hitler die logische Folge der vorangegangenen deutschen Entwicklung. Nach der anderen war er ein Unfall in der deutschen Geschichte.
Stern: Er war bestimmt ein Unglück. Unfall würde ich nicht sagen. Und Hitler war vermeidlich.
Sommer: Also war er nicht der logische Endpunkt einer Linie Luther - Bismarck - Hitler?
Stern: Das habe ich bereits 1946 als Blödsinn bezeichnet. Eine logische Folge, nein. Er konnte an Grundtöne deutscher Geschichte irgendwie anknüpfen. Aber es gab ja viele solche Töne, viele solche Strömungen.
Helmut Schmidt: Kann man sagen: Weil Weimar schief gegangen ist, ist Hitler möglich gewesen?
Stern: Das ist gar keine Frage. Aber ich würde noch einen Schritt weitergehen. Ich glaube nicht, daß man in der Entwicklung zu Hitler die Rolle des Ersten Weltkriegs überschätzen könnte, Tirpitz und seine Vaterlandspartei, die Niederlage, die Dolchstoßlegende. Weimar hat vielleicht eine schlechtere Presse, als es verdient hätte. Daß es nach 1930 nicht funktionsfähig war, ist allerdings ganz richtig.
Schmidt: Würden Sie zustimmen, daß ohne Versailles und ohne die Massenarbeitslosigkeit als Folge einer Weltdepression Hitler möglicherweise nicht an die Macht gekommen wäre?
Stern: Ich würde sagen: Trotz Versailles und trotz der gewaltigen Wirtschaftskrise, die Deutschland wie Amerika mehr als andere Länder ergriffen hat, wäre Hitler noch vermeidbar gewesen, wenn es wirklich einen demokratischen Willen gegeben hätte. Aber das ist auch unter Historikern umstritten.
Sommer: Sie haben gesagt, die Kette der Schrecken, die 1914 begann, sei 1989 zerrissen. Und Sie haben beklagt, daß die Deutschen dieses Glück der zweiten Chance nicht genug gewürdigt hätten, daß es nach der Wiedervereinigung keine Aufbruchstimmung gab, sondern sehr viel Bedrücktheit. Sehen Sie das heute noch so?
Stern: Eher noch schlimmer. Daß man in der alten Bundesrepublik das, was in Ostdeutschland vor sich gegangen ist, nicht richtig bewertet hat, daß man nicht verstanden hat, daß hier die erste friedliche Revolution der deutschen Geschichte geschah, war für mich moralisch bedrückend. Und es stellte sich die Frage: Was sagt das über die Zukunft, wenn ihr nicht anerkennt, was dort geschehen ist?
Sommer: War es nicht vielleicht ganz gut, daß wir nach der Wiedervereinigung nicht in einen Nationalrausch verfallen sind, sondern die Einheit mit Nüchternheit aufgenommen haben?
Stern: Gibt es da keinen Mittelweg?
Sommer: Die Furcht vor einem neuen Nationalrausch der Deutschen hatte ja durchaus auch Frangois Mitterrand beseelt und vor allem Maggie Thatcher. Sie, Fritz Stern, waren einer der sechs Historiker, die von Maggie Thatcher im März 1990 auf ihren Landsitz nach Chequers gebeten wurden. Wer waren die anderen fünf?
Stern: Der andere Amerikaner war Gordon A. Craig, dann kamen die Briten Timothy Garton Ash, Hugh Trevor-Roper, Norman Stone und George Urban. Außerdem ... Leseprobe