Die Erfindung Japans

Kulturelle Wechselwirkung und nationale Identitätskonstruktion

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593382241
Sprache: Deutsch
Umfang: 232 S.
Format (T/L/B): 1.7 x 21.4 x 14 cm
Auflage: 2. Auflage 2007
Einband: Paperback

Beschreibung

Die Fähigkeit, sich mit Menschen aus fremden Kulturen zu verständigen, ist heute unverzichtbar. Shingo Shimada legt eine Theorie zum Kulturvergleich vor, die eine Grundlage für interkulturelle Kommunikation bietet. Im Zentrum stehen die kulturelle Konstruktion nationaler Identität in Japan und die kulturellen Wechselwirkungen zwischen Japan und Europa, von denen dieser Prozess beeinflusst war.

Autorenportrait

Der Kulturtheoretiker und Soziologe Shingo Shimada ist Professor für Modernes Japan am Ostasien-Institut der Universität Düsseldorf.

Leseprobe

Seit dem Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wächst das Interesse an der »Kultur« als einer der wichtigsten Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens. Auf der weltpolitischen Ebene ist vom »Kampf der Kulturen« (Huntington) die Rede, auf der wissenschaftlichen Ebene spricht man von einem »cultural turn« (vgl. dazu Lackner/Werner 1999). Gemeinsam ist diesen Diskussionen die Annahme, dass sich in kultureller Hinsicht ein tief greifender Wandel von globalem Ausmaß vollzieht, der unsere Zukunft maßgeblich prägen wird. Vor diesem Hintergrund behandelt das vorliegende Buch die Problematik der kulturellen Wechselwirkungen und die Prozesse der politischen Identitätskonstruktion. Dieser Umstand hat sich seit dem 11. September 2001 radikal verschärft. Die kulturelle Differenz zeigte sich dort als eine offene Wunde. Es wurde sichtbar, dass das Überleben der Menschheit womöglich ebenso von unserem Umgang mit kulturellen Differenzen abhängen kann wie vom wirtschaftlichen Ungleichgewicht. Dieses Buch versucht, einen Ansatz zur Klärung der Frage anzubieten, wie man sich heute mit kulturellen Differenzen auseinandersetzen kann. Wenn von Kultur und Kulturbegegnungen gesprochen wird, geht man in der Regel von bestehenden kulturellen und regionalen Grenzen aus. Dagegen wird im vorliegenden Buch die Aufmerksamkeit auf die kulturell-diskursive Grenzziehung gelenkt, die erst durch kulturelle Wechselwirkungen in Gang gesetzt wird. Der Ausgangspunkt der Überlegungen ist daher der Zweifel an den bestehenden Grenzen »kultureller«, »religiöser«, »ethnischer« und »nationaler« Einheiten. Die Untersuchung konzentriert sich darauf, wie bestimmte Begriffe und Gesellschaftstheorien, die durch verschiedene gesellschaftliche Diskurse wirksam werden, kulturelle ebenso wie soziale Grenzen konstituieren. Dieser Vorgang wurde wohl bisher deshalb wenig beachtet, weil er, sobald die Grenzen fest etabliert sind, in der Regel in Vergessenheit gerät. Die Grenzen werden »naturalisiert«, so dass man nach ihrem Zustandekommen nicht mehr fragt. Dabei werden in der vorliegenden Untersuchung zweierlei Grenzen problematisiert: Die nationalen Grenzen und die zwischen dem »Westen und dem Rest«, die die unterschiedlichen nationalen Grenzen überlagern (vgl. dazu Randeria 1999). Diese Betrachtungsweise der Begriffe und auch der Gesellschaftstheorien ist angeregt vom »Orientalismus« Edward W. Saids. Seine Arbeit zeigt auf, wie der Orient als der Andere durch das ständige Reden über ihn vor allem im 19. Jahrhundert diskursiv konstruiert wurde (Said 1995: 2f). Damit wird zugleich angedeutet, dass auch der Okzident erst durch die Konstruktion des Anderen deutlich als »die Moderne« erfahrbar wurde. Von hier ausgehend wird diese Perspektive in der vorliegenden Untersuchung in zweierlei Hinsicht erweitert: Das Reden über sich selbst setzt eine Differenz zwischen sich und den Anderen voraus und schreibt sie zugleich fest. Dies bedeutet, dass man nicht nur den expliziten Diskurs über den Orient, sondern auch den Diskurs über die eigenen gesellschaftlichen Zusammenhänge unter dem Aspekt des Orientalismus zu interpretieren hat. So wird die sozialwissenschaftliche Theoriebildung unter diesem Aspekt als ein Selbstverständigungsdiskurs des Westens analysiert. Diese Theoriebildung wurde bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von außereuropäischen Kulturen rezipiert und diente zur Eigenpositionierung im neuen globalen Zusammenhang. Die vom Okzident aus gezogene Grenze zwischen dem Westen und dem Osten wurde seitdem von außereuropäischen Kulturen übernommen und dort wiederum konstitutiv für ihre Identitätsbildung. Dies wird anhand des japanischen Beispiels aufgezeigt. Daraus ergeben sich folgende zwei Hauptthesen: 1) Die Schlüsselbegriffe der Soziologie wie »Gemeinschaft«, »Gesellschaft«, »Individuum«, »Religion«, »Rationalität«, »Nation« und »Staat« gingen aus einem historischen Prozess hervor, in dem durch Aushandlungen und Abgrenzungen sowohl das nationale Bewusstsein als auch das Selbstverständnis des Okzidents mit einer klaren Kontur greifbar wurden. Anhand der Schlüsselbegriffe der Soziologie strukturierte man die »Meta-Erzählung« der Moderne (Lyotard) und thematisierte darin unaufhörlich das Selbst in Abgrenzung zum Anderen. So verkörperten diese Begriffe die »neuzeitliche Moderne«, beziehungsweise wurde anhand dieser Begriffe immer wieder die neuzeitliche Moderne als Prädikat des Eigenen entworfen, und durch diese Abgrenzungsbewegung der Begriffe und Sozialtheorien wurden die anderen Kulturen und ihre Mitglieder eindeutig zu Fremden gemacht. Paradoxerweise wurden die Anderen gerade durch den Universalitätsanspruch der neuzeitlichen Moderne zu Fremden. Darin liegt die ambivalente Bedeutung des Fremden in der Moderne schlechthin. Einerseits brauchte die Moderne für ihre Selbstbestätigung den Fremden, andererseits konnte sie mit ihrem Ausschließlichkeitsanspruch weder Pluralität noch Partikularität dulden (vgl. Welsch 1993: 76f). Daher blieb die Möglichkeit der Anerkennung des Anderen in seiner Andersartigkeit ausgeschlossen. Die konsequente Folge davon waren die Angleichung, Ausgrenzung oder im Extremfall Eliminierung des Fremden (vgl. Giddens 1990: 175). Es ist wichtig zu beachten, dass diese universalistische Denkbewegung keineswegs in sich kohärent und unilinear verlief. Vielmehr wurde sie geradezu durch ihre Gegenpositionen z. B. der Modernisten und der Antimodernisten vorangetrieben, und diese Gegenpositionen konstituierten eben durch ihre antagonistische Ausprägung die Grundlage für die Wahrnehmung der einheitlich-ganzheitlichen Moderne (vgl. Welsch 1993: 74). 2) Die zweite Hauptthese dieser Arbeit besagt, dass diese soziologischen Schlüsselbegriffe einschließlich ihrer abgrenzenden Bedeutungen von den nicht-westlichen Kulturen in Form von Übersetzungen übernommen wurden und zur Konstitution der eigenen Identitäten dienten. Der Prozess der begrifflichen Abgrenzung, der also zunächst das Selbstverständnis des Okzidents formierte, überschritt somit die selbstkonstituierte Grenze und modellierte analog die nicht-westlichen Identitäten. Bezogen auf die erste These werden Reflexionen auf die Entstehungszusammenhänge der soziologischen Grundbegriffe durchgeführt. Es wird wie angedeutet davon ausgegangen, dass diese Begriffe nur angesichts der historischen Konstellation des 19. Jahrhunderts verständlich werden, da sie das Spannungsverhältnis dieser Konstellation in ihrer Semantik tragen. Und diese Semantik ist durch die Interpretation der »Welt« mit dem okzidentalen Blick geprägt, so dass der eurozentrische Blick in diesen Begriffen zwangsläufig enthalten ist. Und aus dieser eurozentrischen Perspektive stellte der Okzident mit seinen Gesellschaften die einzig mögliche Moderne dar, während die Anderen in ihrer Traditionalität verharrten. Damit sind die Koordinaten der Interpretation in dieser Untersuchung bestimmt: In der Semantik der Moderne und der Tradition ist das Verhältnis zwischen dem Eigenen (Selbst) und dem Fremden aus okzidentaler Perspektive inhärent enthalten. Die zweite These betreffend wird der Prozess analysiert, wie diese okzidentale Perspektive von der japanischen Kultur durch die Übersetzung der Begriffe und Gesellschaftstheorien übernommen wurde, anhand derer schließlich die kulturelle Identität als eine Antwort auf die universalistisch konzipierte Zivilisation aus dem Okzident konstruiert wurde. Der Titel des letzten Kapitels »In/Zwischen« steht unter anderem für die Charakterisierung dieses Prozesses, denn die kulturelle Identität Japans ging aus den Zwischenräumen zwischen der modernistischen Identifikation mit dem Westen und der traditionalistischen Suchbewegung nach dem Eigenen in der Vergangenheit hervor. Darüber hinaus wurde diese Selbstverortung durch die Bezeichnung »Asien« in ein orientalistisch-okzidentalistisches Gegensatzverhältnis eingeordnet, so dass sich das japanische Selbstverständnis unentwegt zwischen »Europa« und »Asien« b...

Inhalt

Vorwort Einleitung I. Identitätskonstruktion und Übersetzung 1. Asymmetrie der Übersetzung 2. Übersetzte Begriffe und kulturelles Selbstverständnis: der Fall Japan 3. Wissenssoziologie der kulturellen Wechselwirkungen II. Gemeinschaft und Gesellschaft 1. Das Selbstverständnis des Okzidents vor dem historischen Hintergrund des 19. Jahrhunderts 2. Der japanische Diskurs über das "ie" als Konstitutionsprozess des Eigenen 3. Zwischen Orientalismus und Okzidentalismus III. Individuum 1. Der Diskurs der Individualisierung im Okzident 2. Die Individualisierung als Ziel - Die Differenz als Grundlage der Moderne in Japan 3. "Zwischen Mensch und Mensch" - Gibt es eine spezifisch japanische Subjektivität? IV. Religion und Rationalität 1. Die Entstehung des sozialen Bereichs "Religion" und seine Problematisierung im Okzident des 19. Jahrhunderts 2. Die Konstitution der Religionen im Modernisierungsprozess Japans 3. Was ist anders an den japanischen Religionen? V. Staat und Nation 1. Staat und Nation im Okzident 2. Der japanische Nationalstaat als das Problem des Eigenen 3. Die Relevanz des Nationskonzeptes in Japan VI. In/Zwischen: Japan zwischen Orient und Okzident Literatur

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Japan und Europa im Vergleich>