Das System der Dinge

Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen, Campus Bibliothek

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593384702
Sprache: Deutsch
Umfang: 264 S.
Format (T/L/B): 1.8 x 21.5 x 13.9 cm
Auflage: 3. Auflage 2007
Einband: Paperback

Beschreibung

'In der städtischen Zivilisation sieht man, wie Generationen von Gegenständen, Apparaten und Gadgets einander in immer schnellerem Tempo ablösen ' - so beginnt Jean Baudrillards Erstlingswerk von 1968, in dem er die uns umgebenden, hergestellten Dinge als ein geschlossenes Zeichensystem deutet: als eine Scheinwelt des Konsums, in der Wunsch und Ware untrennbar miteinander verknüpft sind. Als das Werk entstand, gab es noch keine PCs, geschweige denn das Internet. Angesichts globalisierter Märkte und einer inflationären Apparatewelt lohnt es sich, dieses faszinierende Dokument postmodernen Denkens heute wieder zu lesen.

Autorenportrait

Jean Baudrillard, 1929 - 2007, Medientheoretiker, Philosoph und Soziologe, war bis zu seinem Tod Professor an der European Graduate School in Saas-Fee, Schweiz.

Leseprobe

Die Ausgestaltung des Wohnraums Das überlieferte Milieu In der Ausgestaltung des Wohnraums spiegeln sich die Familien- und Gesellschaftsstrukturen einer Epoche wider. Das typisch bürgerliche Interieur hat ein patriarchalisches Gepräge: Es stellt die Einheit von Speise- und Schlafzimmer dar. Die Möbel, unterschieden nach ihrer Funktion, doch streng aufeinander bezogen, kreisen um den Tisch oder um das Bett in der Mitte. Die Tendenz, den Raum anzufüllen, auszufüllen, ihn abzugrenzen, ist offensichtlich. Eindeutigkeit, Unverrückbarkeit, beeindruckende Gegenwärtigkeit und rangachtende Förmlichkeit bestimmen das Bild. Jedes Stück hat, den einzelnen Verrichtungen der familiären Zelle entsprechend, eine fest umrissene Bestimmung und verweist überdies auf eine Auffassung von der Person als eines ausgewogenen Gefüges distinkter Fähigkeiten. Die Möbel starren einander an, behindern einander und fügen sich zu einer Einheit zusammen, die weniger eine räumliche, als eine moralische ist. Sie ordnen sich entlang einer Achse, die den regelmäßigen Ablauf des Tages und die symbolische Anwesenheit der Familie versinnbildlicht. In diesem privaten Raum verinnerlicht jedes Möbelstück, jeder Gegenstand auch seine eigene Funktion und verleiht ihr eine symbolische Würde - wie das Haus selbst die Integration der persönlichen Beziehungen innerhalb der halb geschlossenen Familiengruppe zur Vollendung führt. All dies verbindet sich zu einem Ganzen, dessen Struktur auf der patriarchalischen Tradition und Autorität beruht und in dessen Mitte jene gefühlvollen und komplexen Beziehungen Platz greifen, die alle Mitglieder untereinander verbinden. Dieses Heim bildet einen spezifischen Raum, der an einer sachlich-objektiven Einrichtung nur wenig Geschmack findet, weil hier die Möbel und Gegenstände vor allem die Funktion haben, die menschlichen Beziehungen zu personifizieren, den Raum, in den sie sich teilen, zu bevölkern und selbst eine Seele zu besitzen. Die reelle Dimension, in der sie leben, ist der moralischen unterstellt, welche sie anzuzeigen haben. In diesem Raum ist ihnen eine ebenso begrenzte Autonomie zugestanden, wie sie die verschiedenen Familienmitglieder in der Gesellschaft haben. Wesen und Dinge sind übrigens miteinander verbunden und nehmen in dieser heimlichen Übereinkunft eine Innigkeit, einen affektiven Wert an, den man überkommenerweise als ihre "Präsenz" bezeichnet. Was die Tiefe des Elternhauses auszeichnet, sein Erfülltsein mit Erinnerungen veranschaulicht, beruht offensichtlich auf dieser komplexen Struktur der Verinnerlichung, in welcher die Gegenstände vor unseren Augen eine symbolische Konfiguration annehmen, die man als das Zuhause bezeichnet. Die Zäsur zwischen Innen und Außen, ihre formelle Gegenüberstellung als Eigentum unter dem sozialen und als Familienimmanenz unter dem psychologischen Vorzeichen, macht aus diesem traditionellen Raum eine abgeschlossene Transzendenz. Hausgöttern gleich leben die Gegenstände hier, verkörpern die affektiven Bindungen in diesem Milieu, die ständige Anwesenheit der Gruppe, und umgeben sich mit einem milden Abglanz der Unsterblichkeit - bis eine neue Generation kommt und sie verbannt, in den Wind zerstreut oder sie bisweilen mit einer frischen Nostalgie nach altehrwürdigen Dingen aus der Vergessenheit zurückholt. Wie oft selbst Götter haben auch die Möbel gelegentlich die Chance eines wiederkehrenden Daseins, indem sie, ihrer alltäglichen Verpflichtungen enthoben, zu einer barocken Ausschmückung aufgewertet werden. Die Anordnung des Speise- und des Schlafzimmers, dieser beweglichen Struktur über dem starren Grundriß des Hauses, ist noch die gleiche, welche die Werbung einem breiten Publikum anpreist. Die Großkaufhäuser bestimmen immer noch für den Massengeschmack die Normen des "dekorativen" Ensembles, obwohl die Linienführung sich "stilisiert" und die Ausschmückung bereits ihre Anziehungskraft eingebüßt hat. Diese Einrichtungen finden nicht deshalb Abnehmer, weil sie preiswert sind, sondern weil sie das Merkzeichen der offiziellen Anerkennung der Gruppe und die Billigung der Bourgeoisie erhalten haben. Übrigens deuten diese Möbelungeheuer (Kredenz, Bett, Kasten) und ihre Kombinationen auf das Fortbestehen der traditionellen Familienstrukturen noch in breiten Schichten der modernen Gesellschaft hin.

Inhalt

Inhalt Einleitung 9 Die Sprache der Gegenstände 21 Die Ausgestaltung des Wohnraums 23 Das überlieferte Milieu 23 Der moderne Gegenstand - von seiner Funktion befreit 25 Das Modell-Interieur 28 Vor einer Soziologie der Ausgestaltung? 34 Der Raumgestalter 37 Die Strukturen der Stimmung 42 Stimmungswert Farbe 42 Stimmungswert Material 50 Persönliche Beziehungen und Stimmung 57 Stimmungswerte: Gebärden und Formen 62 Stilisierung - Handlichkeit - Verhüllung 69 Naturalität und Funktionalität 83 Nachtrag: Wohnung und Wagen 86 Der subjektive Ausdruck 93 Das alte Objekt - Zeit und Dauer 95 "Stimmungswert" Historizität 95 Symbolischer Wert: Mythos des Ursprungs 96 Die "Authentizität" 98 Die "Beseelung" des Hauses 99 Legende und Nützlichkeit 103 Kontrapunkt: das technische Objekt und die Primitiven 106 Der Antiquitätenmarkt 108 Der kulturelle Neo-Imperialismus 109 Die Sammlung 110 Gegenstand ohne Funktion 110 Die Sammelleidenschaft 112 Das schönste Haustier 114 Das Spiel mit der Serie 116 Von der Quantität zur Qualität: das Unikat 117 Gegenstände und Gewohnheiten: die Uhr 120 Gegenstand und Zeit: der geregelte Kreislauf 122 Gegenstand im Gewahrsam: die Eifersucht 126 Entstrukturiertes Objekt: die Perversion 128 Freude an der Freude 132 Selbstgespräch 135 Gadgets und Roboter 137 Technische Konnotation: Automatismus 139 Der Automatismus 140 Der funktionelle Rausch 143 Das Trugbild des Automaten 145 Der Roboter als Supergegenstand 150 Metamorphose der Technik 156 Technik und System des Unbewußten 161 Gegenstände und Verbrauch 169 Modelle und Serien 171 Vorindustrieller Gegenstand und industrielles Modell 171 Der "verpersönlichte" Gegenstand 174 Die Idealität des Modells 178 Vom Modell zur Serie 180 Der Kredit 194 Rechte und Pflichten des Konsumenten 194 Eine neue Ethik: Verbrauch vor Erzeugung 197 Der Kaufzwang 199 Der wunderbare Einkauf 200 Die Doppeldeutigkeit der Haushaltswaren 201 Die Werbung 203 Gespräch über den Gegenstand und Gesprächsgegenstand 203 Befehl und Aussage im Werbegespräch 204 Die Logik des Weihnachtsmanns 205 Die mütterliche Instanz: das moderne Sitzmöbel 207 Kaufkraftfestival 212 Doppelte Instanz: Belohnung und Strafe 216 Die kollektive Annahme 220 Ein neuer Humanismus? 225 Eine neue Sprache? 231 Vor einer neuen Definition des "Verbrauchs" 243 Die Rache der Dinge und der Terror des Systems Nachwort von Florian Rötzer (2007) 250

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