Auf dem Weg zu internationaler Rechtsherrschaft?

Streitbeilegung zwischen Politik und Recht, Staatlichkeit im Wandel 10, Staatlichkeit im Wandel 10

44,00 €
(inkl. MwSt.)
In den Warenkorb

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593389158
Sprache: Deutsch
Umfang: 328 S.
Format (T/L/B): 2 x 21 x 14 cm
Auflage: 1. Auflage 2009
Einband: Paperback

Beschreibung

Immer mehr internationale Streitigkeiten werden durch gerichtliche oder gerichtsähnliche Instanzen beigelegt. Die klassische Diplomatie verliert zunehmend an Bedeutung. Sind wir auf dem Weg zu einer internationalen Rechtsherrschaft - dem Äquivalent zur nationalen Rechtsstaatlichkeit? Zur Beantwortung dieser Fragen werden zahlreiche grenzüberschreitende Streitigkeiten in der Handels-, Sicherheits-, Umwelt-, Menschenrechts- und Arbeitsschutzpolitik analysiert. Mit Beiträgen von Kerstin Blome, Achim Helmedach, Alexander Kocks, Aletta Mondré, Gerald Neubauer und Bernhard Zangl.

Autorenportrait

Bernhard Zangl ist Professor am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Leseprobe

Judizialisierung als Bestandteil internationaler Rechtsherrschaft: Theoretische Debatten Bernhard Zangl Gerichte gelten als das institutionelle Rückgrat von Rechtsstaatlichkeit. Rechtsstaatlichkeit ist zumindest national ohne Gerichte kaum vorstellbar. Denn Gerichte entscheiden in Streitfällen, was das Recht verlangt und wie mit Rechtsbrüchen umzugehen ist (Kleinfeld 2006). Sind sich Käufer und Verkäufer einer Immobilie nicht einig, ob durch bestehende Schäden An-sprüche des Käufers gegenüber dem Verkäufer entstehen, so können sie ein Gericht anrufen, um die Rechtslage zu klären. Will der Staat einen Verbrecher für seinen Raubüberfall belangen, so hat ein Gericht zu ent-scheiden, ob dies dem Recht entspricht. Und zweifelt ein Staatsbürger an einem staatlichen Steuerbescheid, so kann er ein Gericht anrufen, das des-sen Rechtmäßigkeit prüft. International hingegen gab es traditionell kaum Gerichte, die autoritativ hätten festlegen können, was das internationale Recht den Staaten abverlangt (Merrills 1998; Romano 1999). Kein interna-tionales Gericht hat sich jemals mit der Intervention der USA in Vietnam befasst, die nukleare Teilhabe Deutschlands im Rahmen der Nato geprüft, die Menschenrechtssituation in China beurteilt oder über mögliche Kriegsverbrechen der UdSSR in Afghanistan gerichtet. Aus Mangel an Gerichten fehlte dem internationalen Recht traditionell das Rückgrat, das eine inter-nationale Rechtsherrschaft - also das internationale Äquivalent zu nationa-ler Rechtsstaatlichkeit - hätte ermöglichen können (Watts 1993; Allain 2000; Merten 2003). Der moderne Staat blieb letztlich ein weitgehend halbierter Rechtsstaat (Zangl 2006: 11). In den vergangenen Jahrzehnten deutet sich jedoch an, dass die innere Rechtsstaatlichkeit des modernen Staates durch eine zunehmend zuverläs-sige äußere Rechtsbindung ergänzt wird, so dass aus dem halbierten ein kompletierter Rechtsstaat werden könnte. So sind zahlreiche internationale Gerichte oder gerichtsähnliche Streitbeilegungsinstanzen entstanden, die dem internationalen Recht ein institutionelles Rückgrat bieten, mithin die staatliche Willkür einschränken und eine internationale Rechtsherrschaft ermöglichen könnten (Allain 2000; Orrego Vicuña 2004; Zangl/Zürn 2004a; Sampford 2005). Blieben bis in die 1990er Jahre internationale Ge-richte wie der Europäische Gerichtshof (EuGH), der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und der Internationale Gerichtshof (IGH) die Ausnahme, sind seit den 1990er Jahren zahlreiche neue Gerichte beziehungsweise (gerichtsähnliche) Instanzen entstanden, die für die Streitbeilegung in unterschiedlichen Rechtsbereichen zuständig sind (Ro-mano 1999; Keohane/Moravcsik/Slaughter 2000). Neben dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) mit Sitz in Den Haag, der gegen Kriegsverbrecher vorgehen kann, wurde ein Internationaler Seegerichtshof (ITLoS) mit Sitz in Hamburg geschaffen, um bei Streitigkeiten im Seerecht zu ent-scheiden. In zahlreichen internationalen Umweltvereinbarungen wurden gerichtsähnliche Streitbeilegungsinstanzen verankert, die angerufen werden können, um bei Streitigkeiten über vermeintliche Regelverstöße zu richten. Die Vereinbarungen zum Schutz der Ozonschicht sowie zum Schutz des Klimas sind Beispiele dafür. Und das diplomatische Streitverfahren des alten Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) wurde in der Welthandelsorganisation (WTO) durch ein gerichtsähnliches Streitverfah-ren abgelöst, das bei internationalen Handelsstreitigkeiten angerufen wer-den kann (Jackson 1998; Merrills 1998). Das vorliegende Buch will sich allerdings nicht mit der Annahme be-gnügen, dass mit gerichtsähnlichen internationalen Streitbeilegungsinstan-zen die internationale Rechtsherrschaft automatisch gestärkt wird; vielmehr ist sein zentrales Anliegen, empirisch zu untersuchen, ob internationale Streitverfahren - und zwar gerichtsähnliche ebenso wie eher diplomatische - heute besser in der Lage sind, das Streitverhalten der daran beteiligten Staaten in geordnete Bahnen zu lenken, so dass eine internationale Rechts-herrschaft entstehen kann. Wie verhalten sich Staaten bei internationalen (Rechts-)Streitigkeiten? Werden die zuständigen Streitverfahren von den beteiligten Staaten heute mehr als noch vor zwei Jahrzehnten genutzt und akzeptiert? Oder werden diese Streitverfahren ebenso wie vor zwei oder drei Jahrzehnten von den beteiligten Staaten weiterhin oftmals ignoriert und missachtet? Ein Vergleich des Verhaltens der USA in ihrem Streit mit der Europäischen Union (EU) über deren Einfuhrverbot für so genanntes Hormonfleisch in den 1980er Jahren mit ihrem Verhalten zum gleichen Streitgegenstand in den 1990er Jahren mag das Entstehen einer Rechts-herrschaft andeuten. Denn während sich die USA im ersten Hormonstreit im Rahmen des GATT nicht lange damit aufhielten, das Streitverfahren des GATT einzuschalten, um die Rechtmäßigkeit dieses Einfuhrverbots prüfen zu lassen und stattdessen der EU unilateral mit Sanktionsmaßnahmen drohten, agierten sie im zweiten Hormonstreit ganz innerhalb des reformierten Streitverfahrens der WTO, welches die Rechtswidrigkeit des europäischen Einfuhrverbots schlussendlich bestätigte und US-amerikanische Sanktionsmaßnahmen autorisierte (Zangl 2006: 171-200). Der Vergleich des Verhaltens der USA in ihrem ersten Irakkrieg von 1991 mit dem im zweiten Irakkrieg von 2002 mag dagegen darauf verweisen, dass keine Rechtsherrschaft entsteht. Denn während die USA vor dem ersten Irak-krieg den Sicherheitsrat einschalteten, um sich ihre Gewaltmaßnahmen zur Befreiung Kuwaits autorisieren zu lassen, agierten sie vor dem zweiten Irakkrieg jenseits des Sicherheitsrats. Als sich abzeichnete, dass dieser die amerikanische Gewaltanwendung nicht autorisieren würde, bauten sie auf Selbstjustiz, um den Irak wegen eines vermeintlich illegalen Atomwaffenprogramms zur Rechenschaft zu ziehen (Brock 2007).

Inhalt

Inhalt Vorwort7 Judizialisierung als Bestandteil internationaler Rechtsherrschaft: Theoretische Debatten11 Bernhard Zangl Judizialisierung von Streitverfahren und Staatenverhalten: Methodisches Vorgehen37 Achim Helmedach/Aletta Mondre/Gerald Neubauer/Bernhard Zangl Judizialisierungsprozesse im Handelsbereich: Streitbeilegung in GATT und WTO71 Achim Helmedach Judizialisierungsprozesse im Sicherheitsbereich: Friedensbedrohungen vor dem UN-Sicherheitsrat119 Aletta Mondre Judizialisierungsprozesse im Umweltbereich: Streitigkeiten über Verletzungen von CITES161 Gerald Neubauer Judizialisierungsprozesse im Arbeitsschutzbereich: Vom Vorreiter zum Nachzügler - die ILO191 Gerald Neubauer Judizialisierungsprozesse im Menschenrechtsbereich: Erfolgsmodell EGMR229 Kerstin Blome/Alexander Kocks Uneinheitliche Judizialisierung der internationalen Streitbeilegung: Empirische Ergebnisse267 Achim Helmedach Anhang: Liste der untersuchten Streitfälle295 Abkürzungsverzeichnis323 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis325 Autorinnen und Autoren327