Beschreibung
Kritiker des Staates Israel und seiner Siedlungspolitik geraten schnell unter den Verdacht des Antisemitismus - so auch die prominente jüdische Philosophin Judith Butler. In ihrem neuen Buch geht Butler der Frage nach, wie eine Kritik am Zionismus aus dem Judentum selbst heraus möglich, ja ethisch sogar zwingend ist. In einer eindringlichen Auseinandersetzung mit Hannah Arendt, Emmanuel Lévinas, Walter Benjamin, Primo Levi und den Palästinensern Edward Said und Mahmoud Darwish entwickelt sie eine neue jüdische Ethik, die sich gegen die von Israel ausgeübte und vom Zionismus legitimierte staatliche Gewalt sowie Israels koloniale Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen wendet. Diese Ethik steht ein für die Rechte der Unterdrückten, für die Anerkennung des Anderen und die Infragestellung der jüdischen Souveränität als alleinigem Bezugsrahmen der israelischen Staatsraison. Aus der Erfahrung von Diaspora und Pluralität heraus plädiert Butler für einen Staat, in dem Israelis und Palästinenser, Juden und Nichtjuden gleichberechtigt zusammenleben.
Autorenportrait
Judith Butler ist Professorin für Rhetorik und Komparatistik an der University of California, Berkeley. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart und gilt als wichtigste Theoretikerin der Geschlechterforschung und Begründerin der Queer Theory. Ihr wohl bekanntestes Buch ist "Das Unbehagen der Geschlechter" (1991). Bei Campus erschien von ihr zuletzt "Raster des Krieges" (2010).
Leseprobe
Einleitung Trennung von sich, Exil und die Kritik des Zionismus
Vielleicht beginnt jedes Buch in einem formalen Sinn mit dem Nachdenken über seine eigene Unmöglichkeit, aber der Abschluss des hier vorgelegten Buches hing davon ab, dass mit dieser Unmöglichkeit gearbeitet wurde, ohne zu einer klaren Lösung zu kommen. Von dieser Unmöglichkeit muss etwas im Text erhalten bleiben, auch wenn es das ganze Projekt ständig in Gefahr bringt. Sollte das Buch zunächst die Behauptung widerlegen, jegliche Kritik am Staat Israel sei faktisch antisemitisch, wurde daraus später eine Meditation über die Notwendigkeit des Verweilens beim Unmöglichen. Ich will das im Folgenden zu klären versuchen, zunächst aber klipp und klar das Risiko benennen, das mit diesem Versuch einhergeht. Sollte es mir gelungen sein zu zeigen, dass man zur Kritik der staatlichen Gewalt, der kolonialen Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen, der Vertreibung und Enteignung auf jüdische Quellen zurückgreifen kann, dann habe ich damit zugleich zeigen können, dass eine jüdische Kritik der von Israel ausgeübten staatlichen Gewalt zumindest möglich, wenn nicht sogar ethisch geboten ist. Wenn ich ferner zeigen kann, dass durchaus jüdische Werte der Kohabitation oder des Zusammenlebens mit Nicht-Juden zum ethischen Kernbestand des Diaspora-Judentums gehören, dann lässt sich daraus auch ableiten, dass die Verpflichtung auf soziale Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit integraler Teil säkularer, sozialistischer und religiöser jüdischer Traditionen ist. Das sollte nicht weiter überraschen, muss aber inzwischen konsequent betont werden angesichts eines öffentlichen Diskurses, der jede Kritik der israelischen Besatzung, der innerisraelischen Ungleichbehandlung, der Beschlagnahmung von Land und der Bombardierung eingeschlossener Bevölkerungsgruppen (wie im Zuge der Operation Cast Lead), ja der schon Einwände gegen die Einbürgerungsvoraussetzungen in diesem Land für antisemitisch oder antijüdisch erklärt und zwar nicht im Dienst des jüdischen Volkes und ohne jede Berufungsmöglichkeit auf das, was wir allgemein als jüdische Werte bezeichnen könnten. Anders gesagt: Es wäre schon eine schmerzliche Ironie, wenn der jüdische Kampf um soziale Gerechtigkeit selbst als antijüdisch hingestellt würde.
Gehen wir einmal davon aus, dass ich zeigen kann: Wesentliche jüdische Überlieferungen lassen Widerstand gegen staatliche Gewalt und koloniale Vertreibung und Beherrschung nicht nur zu sie verlangen sie sogar. In diesem Fall kann ich mich auf ein anderes Jüdischsein berufen als das, in dessen Namen der israelische Staat zu sprechen behauptet. Und ich helfe damit zu zeigen, dass es nicht nur bedeutsame Unterschiede säkulare, religiöse, geschichtliche unter Juden gibt, sondern dass es in dieser Gemeinschaft auch aktive Auseinandersetzungen über den Sinn von Gerechtigkeit, Gleichheit und die Kritik staatlicher Gewalt und kolonialer Unterdrückung gibt. Wäre das alles und hätte ich bis hierhin überzeugend argumentiert, dann wäre damit belegt, dass es bestimmt nicht anti-jüdisch oder gegen-jüdisch ist, die Formen der staatlichen Gewalt zu kritisieren, die der politische Zionismus eingeführt und aufrecht erhalten hat (wozu die umfangreichen Enteignungen der Palästinenser 1948, die Landannexion 1967 und die fortlaufenden Konfiszierungen palästinensischer Grundstücke im Zuge der neuen Grenzbefestigungen und des Siedlungsbaus gehören). Das allein ist schon wichtig, da Israel beansprucht, das jüdische Volk zu vertreten und die öffentliche Meinung zu der Annahme neigt, Juden »unterstützten« Israel, ohne an ebenfalls jüdische Traditionen des Anti-Zionismus und an die Mitarbeit von Juden in Bündnissen gegen die israelische Kolonialherrschaft über die Palästinenser zu denken.
Gelingt mir das alles, stehe ich jedoch sofort vor einem anderen Problem. Mit der Behauptung, es gebe eine bedeutende jüdische Tradition des Einsatzes für Gerechtigkeit und Gleichheit, eine Tradition, die notwendig zu einer Kritik am israelischen Staat führen muss, eröffne ich eine jüdische nicht-zionistische, ja anti-zionistische Perspektive mit dem Risiko, aus dem Widerstand gegen den Zionismus selbst einen »jüdischen« Wert zu machen und damit indirekt ethische Ausnahmeressourcen des Judentums zu beteuern. Soll die Kritik des Zionismus jedoch effektiv und substanziell sein, muss dieser Anspruch auf eine Sonderstellung zugunsten fundamentalerer demokratischer Werte zurückgewiesen werden. So wichtig es auch sein mag, jüdische Widerstände gegen den Zionismus aufzuzeigen, erfordert dies doch, kritisch infrage zu stellen, dass ein rein jüdischer Bezugsrahmen wie alternativ und progressiv auch immer hier als definierender Horizont des Ethischen ausreicht. Die Opposition gegen den Zionismus verlangt den Bruch mit einem exklusiv jüdischen Denkrahmen der Ethik sowie der Politik.
Inhalt
Inhalt
Danksagung 7
Einleitung Trennung von sich, Exil und die Kritik des Zionismus 9
Kapitel 1: Unmögliche, unumgängliche Aufgabe Said, Lévinas und die ethische Forderung 41
Kapitel 2: Unfähig zu töten Lévinas kontra Lévinas 70
Kapitel 3: Walter Benjamin und die Kritik der Gewalt 86
Kapitel 4: Aufblitzen Benjamins messianische Politik 119
Kapitel 5: Ist Judentum Zionismus? Oder: Arendt und die Kritik des Nationalstaates 137
Kapitel 6: Das Dilemma des Pluralen Kohabitation und Souveränität bei Arendt 179
Kapitel 7: Primo Levi für die Gegenwart 213
Kapitel 8: »Was sollen wir tun ohne Exil?« Said und Darwish an die Zukunft 240
Abkürzungen 262
Anmerkungen 263
Schlagzeile
Warum Israel sich wandeln muss>
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