Antisemitismus und andere Feindseligkeiten

Interaktionen von Ressentiments, Jahrbuch 2015, zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593504698
Sprache: Deutsch
Umfang: 197 S.
Format (T/L/B): 1.3 x 21.3 x 14.1 cm
Auflage: 1. Auflage 2015
Einband: Paperback

Beschreibung

Wie verhält Antisemitismus sich zu anderen Formen gruppenbezogenen Hasses? Bisher hat man in der Forschung vor allem die Frage nach den Unterschieden und den Ähnlichkeiten derartiger Feindseligkeiten gestellt. Dieser Band geht dagegen - anhand von zahlreichen Beispielen aus der Geschichte wie aus der Gegenwart - der Frage nach, wie sich die verschiedenen Formen gruppenbezogenen Hasses aufeinander beziehen, wie sie einander rechtfertigen, wie sie miteinander agieren und welche Funktion dem Antisemitismus in diesen Interaktionen von Ressentiments zukommt.

Autorenportrait

Katharina Rauschenberger, Dr. phil. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Programmkoordinatorin am Fritz Bauer Institut. Apl. Prof. Dr. Werner Konitzer ist stellvertretender Direktor des Fritz Bauer Instituts.

Leseprobe

Einleitung Im Juni 2014 wurden drei israelische Jugendliche im Westjordanland entführt und etwa zwei Wochen später nördlich von Hebron ermordet aufgefunden. Die israelische Armee nahm auf der Suche nach den Verschwundenen 300 Personen aus dem Umkreis der Hamas im Westjordanland fest. Die Hamas reagierte darauf mit Raketenangriffen aus Gaza auf Israel. Die Situation spitzte sich weiter zu, als die israelische Armee bei systematischen Luftangriffen auf Stützpunkte und das Tunnelsystem der Hamas auch viele zivile Einrichtungen zerstörte und Zivilisten tötete. Anfang Juli wurde zudem ein palästinensischer Jugendlicher in Ostjerusalem von jugendlichen jüdischen Extremisten verschleppt und brutal ermordet. Der Nahost-Konflikt war in eine neue Phase getreten. In Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten fanden in vielen Städten Demonstrationen statt, auf denen Sympathie mit der palästinensischen Zivilbevölkerung bekundet wurde. In kürzester Zeit jedoch wurden dabei Parolen skandiert wie "Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein", wie auf einer Demonstration in Berlin, oder man sah Transparente mit der Aufschrift "Angeblich früher Opfer - heute selber Täter" wie in Essen. In manchen Städten gab es täglich Demonstrationen und Kundgebungen gegen die israelischen Militäreinsätze; oft schlossen sich religiös-muslimische Demonstranten mit Vertretern der Partei "Die Linke" zu Aktionsbündnissen zusammen. Die Essener Synagoge, eine städtische Kultureinrichtung, und jüdische Institutionen in Essen mussten wegen konkreter Hinweise auf Gewalttaten einem besonderen Schutz unterstellt werden. In Frankfurt am Main skandierten Demonstranten Hetzparolen wie "Kindermörder Israel!". Auch in Frankreich griffen Demonstranten Synagogen an. Die Berichterstattung in der Presse wurde als parteiisch und israelfreundlich diskreditiert. Nie zuvor waren pro-palästinensische Kundgebungen in Europa mit einem so unverhohlenen Antisemitismus verbunden gewesen. Am 10. Oktober 2014 fand in der Dresdener Innenstadt eine Solidaritätskundgebung für den Kampf der auch in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gegen das Vorgehen der Bewegung "Islamischer Staat" (IS) in Syrien und im Irak statt. Diese Kundgebung wurde von verschiedenen Personen zum Anlass genommen, eine Facebook-Gruppe zu gründen, aus der kurze Zeit später die Gruppe "Pegida" (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) hervorging. Sie rief zu wöchentlichen Demonstrationen gegen "die fortschreitende Islamisierung des Abendlandes", gegen "Glaubenskriege auf unseren Straßen", gegen "Political Correctness", gegen "die ständige Beschimpfung als Nazi" auf. Die Demonstrationen, die dann ebenfalls in Dresden stattfanden, erregten in der Medienöffentlichkeit vor allem deshalb großes Aufsehen, weil sie von Woche zu Woche deutlich an Teilnehmern zulegten. Waren es bei der ersten Pegida-Demonstration noch 350 Teilnehmer, nahmen anderthalb Monate später schon 3.000 Personen teil. Dieses dynamische Wachstum fand erst bei einer Zahl von 20.000 Demonstranten im Januar 2015 sein Ende. Die Dresdener Demonstration, die als Auslöser der Pegida-Bewegung fungierte, war eine Reaktion auf den Vormarsch des "Islamischen Staats" gewesen, einer radikal-islamistischen, antiwestlichen und antiliberalen Bewegung in den zerfallenden Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und in Nordafrika. Diese Bewegung war nach der militärischen Niederwerfung des Regimes von Saddam Hussein durch amerikanische Truppen im Gebiet des Irak entstanden und in den Kämpfen des syrischen Bürgerkrieges erstarkt. Durch einen extremen Fundamentalismus wie auch durch ihre im Internet offen dargestellte und propagierte Gewalt und Grausamkeit wurde sie weltweit bekannt. Im Frühsommer des Jahres 2014 eroberte sie mit militärischen Mitteln ein zusammenhängendes Gebiet im Nordwesten des Irak und im Osten Syriens und rief am 29. Juni 2014 einen als "Kalifat" bezeichneten Staat aus. Der IS griff dann die kurdische Grenzstadt Kobane an, wandte sich gegen die in der Region lebende jesidische Bevölkerung und ermordete eine große Zahl von Zivilisten. Tausende von Frauen und Kindern wurden gefangengenommen, zum großen Teil vergewaltigt und in die Sklaverei verkauft; offen äußerten die Akteure des IS in Bezug auf die Jesiden ihre genozidalen Absichten. Während diese Bewegung, die auch viele Aktivisten aus den Ländern des Westens anzog, ihr von Massakern, Massenmorden und einer Propaganda tätlicher Grausamkeit begleitetes Vorgehen durch eine eigene Auslegung islamischen Rechts zu rechtfertigen versuchte, wandten viele Muslime sich gegen sie. Wichtige muslimische Gelehrte und Institutionen verurteilten das Vorgehen des IS und sprachen ihm jede Legitimität ab. Die Demonstration in Dresden am 10. Oktober 2014 war die letzte in einer Reihe von Demonstrationen, mit denen in Deutschland lebende Kurden, Aleviten und Jesiden auf die Verbrechen des "Islamischen Staats" reagierten. Aber es gab auch in Deutschland Unterstützer der Bewegung. In Celle und Hamburg wurden kurdische und jesidische Demonstranten von Unterstützern des IS angegriffen, es kam zu Straßenschlachten und Messerstechereien. Solche Auseinandersetzungen waren es, die die späteren Pegida-Akteure zum Anlass für ihre islam- und fremdenfeindliche Bewegung nahmen. Als in Deutschland die Diskussion über diese neue Bewegung einer islamfeindlichen Rechten allmählich Konturen annahm, wurde die europäische Öffentlichkeit durch einen Anschlag in Frankreich erschüttert. Zwei islamistische Terroristen drangen in die Pariser Redaktionsräume der Satirezeitschrift Charlie Hebdo ein, stürmten die dort gerade stattfindende Redaktionskonferenz und erschossen nahezu alle Mitglieder der Redaktion. Kurz darauf überfiel ein weiterer islamistischer Terrorist einen koscheren Supermarkt in Paris und nahm mehrere Geiseln, um durch diesen offen antisemitischen Anschlag den ersten Anschlag, der sich gegen eine ehemals linksradikale, nun vor allem antiklerikale Satirezeitschrift richtete, zu unterstützen. Die französische Öffentlichkeit reagierte mit einer breiten Solidaritätsbewegung, die sich vor allem auf die durch den Terrorakt angegriffene Satirezeitschrift bezog: Unter der Parole "Je suis Charlie" demonstrierten in Paris Hunderttausende gegen den islamistischen Terror; viele Regierungschefs, vor allem aus der westlichen Welt, nahmen an der Demonstration teil. Auch in Deutschland wurden die Ereignisse mit großer Aufmerksamkeit wahrgenommen. Die neu entstandene Pegida-Bewegung versuchte die Demonstrationen gegen den Anschlag für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, zunächst jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Welche Bedeutung antisemitische Ressentiments und Überzeugungen in diesen verschiedenen, teils gegeneinander gerichteten Bewegungen haben, lässt sich nicht leicht ermitteln. Zwar wird inzwischen schon länger eine Diskussion darüber geführt und es gibt auch entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen über Antisemitismus und seine langen und einflussreichen Traditionen in den verschiedenen islamistischen Strömungen; aber speziell über den "Islamischen Staat" ist wegen der Neuheit der Bewegung, auch wegen ihrer Hermetik, nicht viel zu finden. Dass diese extrem antiwestliche und antiliberale Bewegung auch antisemitisch ausgerichtet ist, darauf verweisen nicht nur die verschiedenen antisemitischen Anschläge ihrer Anhänger - so der Anschlag in Paris, aber auch der Anschlag auf das jüdische Museum in Brüssel -, sondern ebenso die starke antiisraelisch-antisemitische Ausrichtung der meisten islamistischen Strömungen. Wie sehr und in welcher Form der Antisemitismus speziell die Bewegung des IS prägt, ist jedoch nicht klar. Manche der Kräfte, die sich im Nahen Osten gegen die Bewegung richten, etwa die vom Iran militärisch unterstützten Schiiten, haben mit ihr die antiisraelische und verschwörungstheoretisch-antisemitische Grundorientierung gemein. Das gilt auch für die islamistische Szene in Deutsch...

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