Ein Erinnerungs- und Lernort entsteht

Die Gedenkstätte KZ-Außenlager Laagberg in Wolfsburg

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593509723
Sprache: Deutsch
Umfang: 233 S.
Format (T/L/B): 1.5 x 21.3 x 14 cm
Auflage: 1. Auflage 2018
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

2017 wurde die Stadt Wolfsburg einmal mehr mit ihrer NSVergangenheit konfrontiert, als bei Vorarbeiten zu einem Bauprojekt unerwartet die Fundamente der ehemaligen Gefangenenbaracke 4 des KZ-Außenlagers Laagberg sichtbar wurden. Das Außenlager war Ende Mai 1944 von 756 aus dem KZ Neuengamme abkommandierten Häftlingen außerhalb des werdenden Zentrums der "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben " errichtet worden. Die Häftlingsbaracken dienten nach Kriegsende als Unterkunft für "Displaced Persons", später für "Heimatvertriebene". Anfang der 1960er-Jahre erfolgte der Abriss der Steinbaracken. Wie in jener Zeit üblich, wurde deren Bedeutung für eine mögliche Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Geschichte weder reflektiert noch weiter verfolgt. Über den Umgang mit den Relikten der NS-Gewaltherrschaft entbrannte 2017 eine lokale wie überregionale politische Debatte. Dieser Band dokumentiert den Findungs- und Entscheidungsprozess ebenso wie die Konzeptionierung des anvisierten Gedenk- und Lernorts KZ-Außenlager Laagberg.

Autorenportrait

Alexander Kraus, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation (IZS) der Stadt Wolfsburg. Aleksandar Nedelkovski leitet dort die Geschichtswerkstatt. Anita Placenti-Grau ist die Leiterin des IZS.

Leseprobe

Von den Fundamentresten zu ihrer Geschichte Alexander Kraus "Wer eine Erfahrung machen will, muss akzeptieren, dass er nicht weiß, was geschehen wird." Lukas Bärfuss Nur einen Tag, nachdem der Rat der Stadt Wolfsburg in der Sondersitzung vom 21. August 2017 beschlossen hatte, am Laagberg "innerhalb der ehemaligen Lagergrenzen [] eine Gedenkstätte und einen Bildungsort" zu verwirklichen und in "Beteiligung der Opferverbände und der politischen Gremien" eine Konzeption zu erarbeiten, titelte die taz über die Entscheidung: "Für das Vergessen in Wolfsburg". Ausgangspunkt der journalistischen Kritik war der Ratsbeschluss, auf dem bereits mehrfach überformten ehemaligen KZ-Gelände ein Einkaufszentrum und Wohnhäuser zu errichten und dafür "[g]ut erhaltene Reste von Fundamenten ehemaliger KZ-Baracken" zu translozieren und sie auf dem historischen Areal als zentrales Exponat eines neu zu konzipierenden Gedenk- und Bildungsortes zu platzieren. Mit dem Ratsbeschluss, insbesondere aber mit dem diesem vorausgehenden monatelangen intensiven Findungs- und Abwägungsprozess, der in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten vollzogen wurde, haben sich die Stadt Wolfsburg und alle beteiligten Akteure in eine aktuelle Diskussion zum Umgang mit aus erinnerungsgeschichtlicher Perspektive als problematisch erachteten Orten eingeschrieben. Diese Diskussion wird deutschlandweit geführt - und dies gerade mit Blick auf die lange in Vergessenheit geratenen KZ-Außenlager, deren Entstehen der Auschwitz-Überlebende Primo Levi wie folgt umschrieben hat: "Jedes der ursprünglichen Lager bekommt Ableger: Es werden neue Außenlager geschaffen, große und kleine, von denen viele ihrerseits wieder Satelliten bekommen, bis ein monströses Netz Deutschland wie die nach und nach besetzten und unterworfenen Länder überzieht." So sind es eben just diese Orte, die trotz langjähriger Aufarbeitung zunehmend ins Blickfeld des öffentlichen Gedenkens rücken. Die Stadt Schwerte etwa machte im Jahr 2015 mit ihrem Plan Schlagzeilen, aus pragmatischen Gründen Asylsuchende in einer Baracke auf dem Gelände eines ehemaligen Außenlagers des Konzentrationslagers Buchenwald in Schwerte-Ost unterzubringen. Trotz der öffentlichen Kritik und des Vorwurfs des Zynismus und der Geschichtsvergessenheit wurde der Plan in die Tat umgesetzt. Doch greift der Vorwurf der Geschichtsvergessenheit, wenn man sich vor Augen führt, dass die Stadt Schwerte bereits 1990 die Gedenkstätte "KZ Buchenwald - Außenlager Schwerte Ost" realisiert hatte? Anfang Juni 2018 wurde wiederum in München das Ergebnis einer Machbarkeitsstudie für den Erinnerungsort Ehemaliges KZ-Außenlager Allach präsentiert, die durch die KZ-Gedenkstätte Dachau und die Landeshauptstadt München in Auftrag gegeben wurde. Dieses Gutachten ging auf ein langjähriges bürgerschaftliches Engagement zurück, wollte sich die Initiative doch nicht mit den bestehenden zwei Gedenktafeln zufrieden geben. Explizit formuliertes Ziel der "geplanten Maßnahmen" ist "ein würdiges Gedenken und die Erinnerung an das ehemalige Außenlager im öffentlichen Bewusstsein nachfolgender Generationen [zu] verankern". Auch in Frankfurt am Main ist hinsichtlich des ehemaligen KZ-Außenlagers Adlerwerke in den letzten Jahren Bewegung in eine über einen langen Zeitraum hinweg auf der Stelle tretende Diskussion um ein angemessenes Erinnern inmitten des Stadtzentrums gekommen. Am historischen Ort ist zwar seit 1994 eine Bronzeplatte angebracht, die an das Arbeitslager erinnert, doch setzen sich inzwischen auch hier verschiedene Akteursgruppen, darunter die Initiative gegen das Vergessen, für eine Gedenkstätte ein. Seit 2014 läuft nun das durch das Kulturamt der Stadt Frankfurt geförderte Projekt "Mitten unter uns", indem "vier Frankfurter Künstlerinnen und Künstler, die sich bereits mit Themen der Erinnerungskultur beschäftigt haben, beauftragt [wurden], entsprechende Konzepte [für einen Gedenkort] zu entwickeln". In Düsseldorf dagegen erarbeiteten Schüler und Schülerinnen von insgesamt acht Schulen im Projekt "Erinnerungszeichen für KZ-Außenlager in Düsseldorf" zu fünf ehemaligen Außenlagern im Stadtgebiet einheitlich gestaltete Erinnerungszeichen. Sie waren damit maßgeblich daran beteiligt, die Ergebnisse einer 2016 publizierten wissenschaftlichen Studie im Stadtbild sichtbar zu machen. Wie in den hier kursorisch vorgestellten Beispielen sah sich auch die Stadt Wolfsburg bezüglich ihres Umgangs mit dem ehemaligen KZ-Außenlager Laagberg dem Vorwurf der Geschichtsvergessenheit ausgesetzt: Selbst die Beiträge der drei für die Ratssondersitzung geladenen Sachverständigen - der Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Detlef Garbe, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner und der Referatsleiter des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege in Braunschweig, Michael Geschwinde - hätten "nicht alle Bedenken zu diesem Kompromiss ausräumen [können]", hieß es in der taz. "Allem voran, wie es zu diesem geschichtsvergessenen Umgang mit dem Ort kommen konnte." Und so deutet dieser letzte Satz auch auf den tieferen Stachel der Kritik hin, nämlich, dass diesem Vergessen eine langjährige Praxis der Verdrängung der NS-Vergangenheit in Wolfsburg vorausgegangen war, rückte das einstige KZ-Außenlager doch erst mehr als vierzig Jahre nach Kriegsende wieder ins Bewusstsein der Stadt: Mit der am 8. Mai 1987 eingeweihten Stele Mahnmal für das Außenlager des KZ Neuengamme am Laagberg an der Breslauer Straße in Wolfsburg war erstmals ein Erinnerungsort entstanden, initiiert unter großem Engagement der Amicale Internationale KZ Neuengamme (AIN) und des ehemaligen französischen KZ-Häftlings Maurice Gleize, politisch unterstützt durch die Fraktion der Grünen und schließlich enthüllt worden im Rahmen einer Feierstunde unter Anwesenheit weiterer ehemaliger KZ-Häftlinge. Seit dreißig Jahren dient die Stele als Erinnerungs- und Gedenkort an die Verbrechen und Opfer des Nationalsozialismus. Der Vorwurf des Vergessens könnte - gerade was die Leiden der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anbelangt - größer und schärfer nicht sein, insbesondere, wenn man sich vor Augen führt, was die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann über das "Vergessen" geschrieben hat: Es geschehe "lautlos, unspektakulär und allüberall". Auf den Umgang mit der NS-Geschichte ließe sich diese Aussage noch dahingehend zuspitzen, dass das Vergessen, wie Assmann ebenfalls schreibt, zwar durchaus der "Normalfall" sei, in Fragen der Schuld und Moral jedoch häufig nicht nur zufällig, sondern eben auch zielgerichtet erfolge. Gerade für die frühe Bundesrepublik ist auffällig, "wie wenig die ehemaligen Konzentrationslager [] als Schauplätze der NS-Verbrechen und damit als Erinnerungsorte wahrgenommen wurden", wie die Germanistin Andrea Höft schreibt. Dieses gilt insbesondere für die zahlreichen KZ-Außenlager, für die der Historiker Marc Buggeln am Beispiel des KZ Neuengamme herausgearbeitet hat, dass bis in die 1970er Jahre hinein "an keinem einzigen Standort eines Außenlagers" in Hamburg, Bremen und Hannover "eine Hinweistafel zu finden" war, mittels derer inmitten der Städte an das begangene Unrecht erinnert worden wäre. Gleiches gilt auch für Wolfsburg, in dem bis weit in die 1980er Jahre hinein das städtische Gedenken an das NS-Unrecht vor Ort gelinde gesagt nur wenig ausgeprägt war. So habe in den 1950er wie 1960er Jahren dem Historiker Günter Riederer zufolge eine Art "stillschweigende Übereinkunft" vorgeherrscht, "sich über die nationalsozialistischen Wurzeln von Stadt und Werk nicht weiter auszutauschen". Ein sprechendes Beispiel dafür ist damit auch die Anfang der 1960er Jahre im Zuge des Teilbebauungsplans Laagberg Nord erfolgte großflächige Überformung des einstigen Außenlagerareals, während der alle baulichen Zeugnisse des ursprünglichen Lagergeländes, das in der Nachkriegszeit zahlreiche Nachnutzungen erfahren hatte, abgetragen ...

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