Beschreibung
Mord und Reliquienhandel, Pilgersehnsucht und AberglaubeBayern 1392: Eigentlich will der Lübecker Mörderfänger Rungholt auf Wallfahrt zu den bekannten Reliquien nach München fahren. Doch der Weg zur Absolution ist ihm verwehrt. Kann er sein Seelenheil finden, indem er für einen reichen Goldschmied die vermisste Ehefrau findet? Ein einfacher Auftrag, der sich jedoch als tückisch entpuppt und Rungholt immer tiefer und tiefer in den finsteren Knochenwald um Kloster Andechs führt
Autorenportrait
Derek Meister wurde 1973 in Hannover geboren. Er studierte Film- und Fernsehdramaturgie an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg und schreibt erfolgreich Serien, abendfüllende Spielfilme fürs Fernsehen " und Romane. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe des Steinhuder Meers.
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Verkrüppelte Fichtenstämme schlugen dem Lichtfuchs entgegen. Der Mond wischte mit bleichem Licht hinter den Ästen vorüber, erweckte Schatten zum Leben. Dario hörte Leder reißen und sah seine Kisten vom Pferderücken rutschen und klatschend im Nassen landen. Für einen hektischen Moment befürchtete er, auch sein Weib könne vom Pferd gerissen werden.
"Hast du dich verletzt?" "Nein. Schneller."
Dario trat dem schweren Hengst in die Seite. Er spürte, wie das Tier trotz der umgehängten Leinensäcke noch einmal an Geschwindigkeit gewann. Das Pferd schnaubte vor Anstrengung.
"Ist er noch hinter uns?" Dario riss seinen Kopf zur Seite, doch die gedrungenen Bäume versperrten ihm die Sicht.
"Wir müssen im Wald bleiben. Wenn wir es bis zum See schaffen ..."
"Da! Siehst du ihn? Dario, rechts!"
Erschrocken blickte Dario zur Seite und erkannte nur einige Lidschläge lang den Schatten eines schlanken Reiters. Der Mann beugte sich im Galopp hinab, um nicht von einem der Äste getroffen zu werden. Keine fünf, sechs Klafter neben ihnen. Als das Gestrüpp lichter wurde, erkannte Dario mehr: Der Unbekannte ritt beinahe mit ihnen gleichauf, er hatte einen Lederpanzer umgeschnallt und steckte soeben sein Schwert zurück in den Gürtel, um mit beiden Händen die Zügel fester greifen zu können. Und plötzlich erschien es Dario, als lächle der Mann ihnen zu, als verhöhne er sie beide mit einem Grinsen. Doch dann wurde Dario bewusst, dass es keine Zähne waren, die er im Mondlicht hatte aufblitzen sehen, sondern der Stahl einer Klinge.
Erneut gab Dario dem Lichtfuchs die Hacken, er konnte spüren, wie sich der Griff seiner Geliebten in seinem Wams verkrampfte, während der Hengst über morsche Baumstämme sprang. Dario wurde nach vorne gerissen, als das Pferd knöcheltief im Morast landete. Verzweifelt klammerte sich Dario an die Mähne und schrie seiner Geliebten zu, nur nicht loszulassen.
"Was tut er?" Dario versuchte, einen Blick auf den Mann zu erhaschen, doch ein Ast peitschte seine Wange und riss sie auf.
"Ich weiß nicht!" Ihre geschriene Antwort vermischte sich mit dem Schnauben des Hengstes und dem Hämmern seines Herzens.
Das Tier galoppierte zwischen Fichten und Erlen hindurch, sprang über ein hüfthohes Gebüsch, und mit einem Mal waren sie nicht mehr im dichten Wald. Schlagartig hatten sich die Bäume gelichtet, und nur noch wenige Birken, gedrungene Weiden und die verfaulten Stämme von umgeknickten Erlen des Bruchwaldes staken aus dem Morast.
Der Hengst preschte hinaus auf die Fläche des Bruchs und hinein in Farne und Riedgräser. Dario spürte, wie das schwere Tier bei jedem Schritt einsank, er riss die Zügel zurück und verhinderte mit knapper Not, dass das Pferd stürzte. Wasser spritzte bei jedem Schritt auf.
"Wir müssen zurück", rief sie. "Dario, bitte!"
Sie hatte ja recht, aber was sollte er tun? Ihrem Verfolger direkt in die Klinge laufen? Nervös sah Dario sich noch einmal um. Dort hinter den moosbewachsenen Weiden - kaum im blauen Mondlicht vor der dunklen Wand des Waldes zu erkennen - huschte er entlang. Doch der Schatten hielt sich hinter den Bäumen und folgte ihnen aus irgendeinem Grund nicht.
Ein jähes Aufblitzen. War es das Blitzen der Klinge, die bereits ...
"Ich weiß, ich weiß! Wir ... Ich ... Ich versuche, dort rüberzureiten!" Dario hatte eine kleine Insel aus Büschen im Moor ausgemacht und lenkte den Lichtfuchs darauf zu. Fluchend blickte er auf die Beine des Pferdes hinab. Der Hengst hatte Mühe, die Hufe aus dem Schlick zu ziehen.
Etwas traf den Hals des Hengstes und blieb stecken. Das Tier scheute und quiekte wie ein Schwein auf der Schlachtbank. Dario wollte nach dem Ding greifen, es dem Pferd herausziehen, aber der Hengst stieg so stark in die Höhe, dass ihm die Zügel aus der Hand gerissen wurden. Plötzlich spürte Dario einen Stich in seiner Seit bewegen, und immer wieder vergeblich versuchte, sich aufzurichten.
Dann erstarb alles Schnauben. Der Lichtfuchs war tot. Lediglich Darios Schreie hallten über die Ebene.
Er wagte erst nicht, sich unter dem Pferd zu bewegen, und langsam wurden die Schmerzen zu einem dumpfen Pochen. Das kalte Nass umschloss seine Beine. Es dauerte lange, bis er sie doch unter dem schweren Pferd hervorgezogen hatte. Er versuchte, voranzurobben zu seiner Geliebten, aber der Morast war zu gierig. Mit dutzender Männer Hände zog er an ihm. Der Moorgriff war unbeugsam. Schmerzverzerrt versuchte er, sich auf die Seite zu rollen, sich abzustützen, doch der Schlick gab unter seinen Händen nach. Er hörte seine Geliebte.
Wo war sie? Panisch sah er sich um, doch sie war bereits im Morast versunken. Nur ihre Schulter und ihr Kopf blickten noch aus dem Dreck. Er wollte rufen, aber nichts drang aus seiner Kehle, denn das Moor presste ihm bereits den Brustkorb zusammen. Panisch versuchte er, sich an einem Moosgeflecht festzuhalten, sich irgendwie herauszuziehen, und versank noch tiefer. Seine letzten Blicke streiften den Waldrand. Der Mond. Die Krüppelfichten. Die Schatten.
Zu dem schlanken Mann, der sie angegriffen hatte, traten drei weitere Gestalten. Sie alle blieben am Waldrand zwischen den Fichten und stakenden Baumleichen stehen und starrten auf das Moor hinaus.
Diesmal drang tatsächlich ein Laut aus Darios Kehle.
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