Beschreibung
In dreiundzwanzig philosophischen Essays erschließt Hartmut Sommer Leben und Werk bedeutender Denker der Geistesgeschichte. Den lebendigen Zugang findet er jeweils mit einer Reise zu den Orten, die für Leben und Wirken dieser Denker wichtig oder sogar prägend waren. So nimmt er den Leser mit auf den Weg des Albertus Magnus von Paris nach Köln, geht mit ihm die Wege Schopenhauers in Frankfurt und Edith Steins in Beuron, besucht das Stift in Tübingen, Ort des schwärmerisch-jugendlichen Aufbruchs von Hegel, Schelling und Hölderlin, führt zur einsiedlerischen Kammer Nietzsches im Hochgebirgsort Sils Maria und zur Berghütte Heideggers im Schwarzwaldort Todtnauberg. Damit öffnet er jeweils das Tor zu einer Zeitreise, die in unmittelbarer Einfühlung die existenzielle Lebenssituation der Denker und damit den Hintergrund ihres Philosophierens besser verstehen lässt. Zugleich durchläuft der Leser anhand der chronologisch angeordneten Essays auf kurzweilige und verständliche Weise die Geschichte des philosophischen Denkens von der Scholastik bis zur Moderne. Praktische Hinweise für philosophische Reisen auf den Spuren der behandelten Denker runden die Darstellung ab.
Autorenportrait
Dr. Hartmut Sommer, geb. 1952, war nach einem Studium der Erziehungswissenschaften und Philosophie als Berater für Bundesministerien und -behörden sowie in der Digitalen Bildung und philosophischen Erwachsenenbildung tätig. Daneben umfangreiche Publikationstätigkeit mit Veröffentlichungen zur Philosophie, Theologie und Didaktik. Er lebt als freier Autor und Übersetzer in Bad Honnef.
Leseprobe
Bis heute ist das Stift Ausbildungsstätte für protestantische Theologen und wie zu Zeiten Hegels, Schellings und Hölderlins wird es von einem Ephorus geleitet. Eine Gedenktafel am Brunnen im Vorhof erinnert an den Orientalisten Professor Schnurrer, der während der Studienzeit der drei dem Stift vorgestanden hat. Im Innenhof, dem ehemaligen Kreuzgang, hört man fröhliche junge Stimmen. An seine Nordseite grenzt eine große überdachte Terrasse, die sogenannte Altane. Ein Stiftler läutet dort ausgelassen die kleine Glocke auf dem Dach eines baldachinartigen Überbaus. Sie ruft in den Speisesaal, der sich noch immer im Südflügel befindet, mit freiem Blick über die Stiftsgärten zum Neckar hin. Der lange Saal mit den rissigen alten Holzsäulen in der Mitte hat etwas von einem mönchischen Refektorium, nur dass nicht Äbte auf den Gemälden an der Wand abgebildet sind, sondern württembergische Herzöge. Insgesamt ist es jetzt wohl bequemer im Stift. Die Stubenöfen wurden durch eine Zentralheizung ersetzt und der Altbau mit einem Lift ausgestattet. Wir gehen durch das kahle Gemäuer des Treppenhauses neben dem Lift auf die Altane und schauen hinunter in den Innenhof, der mit Rosen schön berankt ist. Vielleicht haben sich die drei genau hier nebeneinander auf die Brüstung gelehnt und ihre Ideen ausgetauscht. Sie hätten sich nicht träumen lassen, dass hinter ihnen an der Wand einmal ihr Bronzerelief hängen würde, zusammen mit dem Keplers. Von David Friedrich Strauß (1808-1874) konnten sie noch nichts wissen. Er sollte vier Jahrzehnte später als Repetent am Stift lehren und anknüpfend an Hegels Philosophie in seinem umstrittenen Buch Das Leben Jesu die biblischen Geschichten als bloße Mythen deuten. Er musste das Stift nach Erscheinen des Buches verlassen. In einem Eck der Altane hat er trotzdem eine Gedenkplatte erhalten, allerdings ohne Porträt. Mit noch immer nachklingender Bitternis wird darauf vermeldet: 'Repetent von 1832-35. Verfasser des Leben Jesu. Ärgernis und Anstoß für Theologie und Kirche.' Vom Stift geht man in wenigen Minuten zum Markt, den wie zu Zeiten der drei Freunde das Rathaus von 1435 mit seiner bemalten Fassade dominiert. Dort, wo jetzt das Geschäftshaus mit der Nummer 7 steht, war das Wirtshaus zum Alten Lamm, in dem die drei kräftig dem Wein zugesprochen und ihre Köpfe über philosophischen Ideen zusammengesteckt haben. Zurück sind sie vielleicht auf Schleichwegen gegangen, über die schmalen Treppen von der Münzgasse hinunter zum Stift, ein wenig unsicher, Hölderlin dabei seine neuen Verse rezitierend.