Beschreibung
Er gilt manchen als der freundliche große Bruder des ikonischen Karl Marx, vielleicht nicht so wichtig, doch am Ende hat Friedrich Engels den Marxismus erfunden. Und ohne sein Geld, seine gründliche Recherche und seine Geduld hätte der Marxismus ohnehin seine Väter nicht überlebt. In zwölf Sprachen bewegte er sich wie in seiner Muttersprache, kaum einer hat die wissenschaftlichen Errungenschaften seiner Zeit so umfassend aufzuarbeiten und zu durchdringen versucht. Und doch steht er stets im Schatten des anderen Bärtigen. Dieser gänzlich neu konzipierte Auswahlband ist eine kompakte, zeitgemäße Einführung in das Leben und Werk Friedrich Engels.
Autorenportrait
Friedrich Engels (1820-1895), im heutigen Wuppertal als Sohn eines Textilfabrikanten geboren, beginnt Ende der 1830er-Jahre seine ersten sozialkritischen Schriften zu veröffentlichen. 1842 geht er nach England, 1844 beginnt in Paris seine Freundschaft mit Karl Marx - 1848 veröffentlichen beide in London das Manifest der Kommunistischen Partei. Bis zu seinem Tod forscht und publiziert Engels zu sozialwissenschaftlichen, ökonomischen und politischen Themen seiner Zeit.
Leseprobe
DER ERFINDER DES MARXISMUS Kein Zweifel: Ohne Engels wäre das Marx?sche Werk kaum zustande gekommen. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf seine äußere, finanzielle Unterstützung und im Hinblick auf so manchen darüber hinaus gehenden Freundschaftsdienst, sondern gleichermaßen für seine wesentlichen inhaltlichen Beiträge, für die gemeinsame literarische und politische Arbeit, für die herausgeberische Tätigkeit und für die - wie wir noch sehen werden, nicht immer unproblematische - Popularisierung und Verbreitung des Marx?schen Denkens. Den größten Teil seines Lebens hat Engels in den Dienst des Werkes seines Freundes und Kampfgefährten gestellt. Ihn aus dem übergroßen Schatten des Karl Marx herauszuholen, ihn als eigenständigen, originellen Denker und als Intellektuellen des 19. Jahrhunderts von außergewöhnlichem Format vorzustellen: Dies ist unter anderem das Anliegen dieser kleinen kommentierten Textsammlung. Der Mann, der den Marxismus erfand - So lautet der Untertitel einer der besten Engels-Biografien (Hunt 2017). Und tatsächlich war es Engels, der aus den vielfältigen Elementen der Marx?schen kritischen Gesellschaftstheorie ein in sich geschlossenes, umfassendes Lehrgebäude zu errichten bestrebt war, was der Intention von Karl Marx selbst allerdings zuwiderlief und dessen Denken groben Entstellungen und Missverständnissen aussetzte. Darin liegt wohl die Tragik des Friedrich Engels: In seinem Bestreben, Marx groß zu machen, hat er ihn zugleich auch verfälscht, hat er zumindest einer recht einseitigen Rezeption Vorschub geleistet. Eins ist sicher: Ich bin kein Marxist. Nach Auskunft seines Schwiegersohns Paul Lafargue soll Marx mit diesem Satz darauf reagiert haben, dass die französische Arbeiterpartei in ihrem Programm erstmals vom Marxismus sprach. Und in der Tat: Das Marx?sche Werk weist zwar ohne Zweifel starke sich durchhaltende Denkmotive auf (ich zähle hierzu vor allem seinen historischen Materialismus und seine Charakterisierung der kapitalistischen Ökonomie als Fetisch), die es verbieten, sich daraus einfach nach Belieben zu bedienen. Andererseits aber ist es, liest man es diachron, so vielen Selbstkorrekturen unterworfen, enthält es neben Grundsätzlichem so viel der Tagespolitik Geschuldetes, führt es so viele wichtige Denklinien nur andeutungsweise aus, dass es sich einer vollständigen Systematisierung sperrt. Vor allem aber hatte Marx selbst keinen weltanschaulichen Anspruch in dem Sinne, dass er eine umfassende Deutung der Wirklichkeit im Stile Hegels liefern wollte. In seinem Bestreben, das Marx?sche Denken dem positivistischen und szientistischen Geist einer Zeit nahezubringen, die geprägt war von den atemberaubenden Fortschritten in fast allen naturwissenschaftlichen Disziplinen, ist Engels der Versuchung erlegen, sich und seinen Freund Marx diesem Zeitgeist anzudienen - mit fatalen Folgen. Als Friedrich Engels am 28. November 1820 in Barmen geboren wird, ist seine Familie bereits in dritter Generation im Textilgeschäft tätig. Friedrichs Urgroßvater Johann Kaspar hatte die industrielle Karriere mit einer Bleicherei begonnen und den Aufstieg der ursprünglich bäuerlichen Familie zu führenden Fabrikanten ihrer Zeit initiiert. Der Vater, Friedrich Engels sen., führte diese Tradition fort und gründete zusammen mit den aus den Niederlanden stammenden Brüdern Ermen eine Baumwollspinnerei mit einer Niederlassung in Manchester. Die Textilproduktion bescherte den Gemeinden im Wuppertal einen wahren Boom. Flachsbleichereien, Garnspinnereien, Spitzenfabrikation usw. in mehr als 200 Produktionsstätten sorgten für einen Zulauf an Arbeitskräften und wirtschaftlichen Aufschwung, dessen Kehrseite allerdings das Elend und die Verwahrlosung der Arbeiter und Arbeiterinnen selbst waren. Das geistig abstumpfende Klima seiner Heimatstadt schildert der junge Friedrich Engels selbst mit galligem Spott: (.)