Der Bismarck-Mythos

Die Deutschen und der Eiserne Kanzler

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783886808717
Sprache: Deutsch
Umfang: 285 S., 15 s/w Illustr., mit Abb.
Format (T/L/B): 3 x 22 x 14.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Bismarcks langer Schatten - der politische Gebrauch einer Legende Wie kein zweiter deutscher Staatsmann hat Otto von Bismarck Generationen von Deutschen fasziniert und ihre politischen Vorstellungen beeinflusst. Robert Gerwarth zeichnet Entstehung und Entwicklung des Bismarck-Mythos nach, der die politische Kultur Deutschlands seit dem Kaiserreich wesentlich prägte und mit dem wachsenden Wunsch nach einem neuen 'charismatischen Führer' Hitler den Weg zur Macht erleichterte. Die Erinnerung an Bismarck (1815-1898) diente in der Weimarer Republik vor allem antidemokratischen und nationalistischen Strömungen als Instrument zur Verbreitung ihrer Ideologie. Versuche der politischen Linken, mit der Rückbesinnung auf den ersten Kanzler des Deutschen Reichs Unterstützer für die Demokratie zu mobilisieren, blieben dagegen ohne große Resonanz. Mit der Stilisierung Otto von Bismarcks zum Retter wurde vielmehr die Sehnsucht nach einem 'charismatischen Führer' angeheizt, die Hitler erfolgreich für sich nutzen konnte.So wurde der Bismarck-Mythos von entscheidender Bedeutung für die Schwächung der ersten deutschen Republik. Auch nach 1945 endete der Kampf um die Deutung des 'Eisernen Kanzlers' nicht: In Ost- und Westdeutschland diente die Legendenbildung um Bismarck sowie der Streit um seine Leistungen und Fehler stets politischen Zwecken.Robert Gerwarth belegt mit seiner Studie überzeugend und präzise, welche Sprengkraft der Bismarck-Mythos für die politische Kultur im 20. Jahrhundert besaß. Bismarck zählt auch heute zu den beliebtesten Deutschen. Über den gefährlichen Wunsch nach einem 'starken Mann' im Staat.

Autorenportrait

Robert Gerwarth, geboren 1976, hat Geschichte in Berlin studiert und in Oxford promoviert. Nach Stationen an den Universitäten Harvard und Princeton lehrt Gerwarth heute als Professor für Moderne Geschichte am University College in Dublin und ist Gründungsdirektor des dortigen Zentrums für Kriegsstudien, das vom European Research Council und der Guggenheim Stiftung gefördert wird. Er ist Fellow der Royal Historical Society, Mitglied der Royal Irish Academy und Autor zahlreicher Publikationen. Sein Buch »Der Bismarck-Mythos. Die Deutschen und der Eiserne Kanzler« (2007) wurde mit dem renommierten Fraenkel Prize ausgezeichnet. Bei Siedler erschien zuletzt seine hochgelobte Biographie Reinhard Heydrichs.

Leseprobe

Einleitung Im Frühjahr 1921, gut zwei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Ausbruch der deutschen Revolution im Spätherbst 1918, verfasste der angesehene Journalist Richard Lewinsohn für die linksliberale Wochenschrift Die Weltbühne einen vielbeachteten Artikel, der nach Ansicht des Verfassers einem drängenden politischen Problem gewidmet war: der 'Bismarck-Legende'. Lewinsohns Befund war alarmierend: Der 1898 verstorbene Reichsgründer Otto von Bismarck sei für die Weimarer Republik zu einer 'schweren politischen Gefahr' geworden. Bismarcks Vermächtnis, der Glaube an den starken Führer, der allein befähigt sei, die sprichwörtliche Zwietracht der Deutschen zu überwinden und die Macht des Deutschen Reiches mit allen Mitteln zu mehren, besaß nach dem politischen Regimewechsel von 1918 unzweifelhaft eine besondere Brisanz. Um sich als historisch legitimer Staat zu etablieren, müsse die Republik, so Lewinsohns Schlussfolgerung, deshalb endgültig aus Bismarcks Schatten hervortreten. Lewinsohn war keineswegs der einzige Demokrat, der die Erinnerung an den Eisernen Kanzler und seine politische Inanspruchnahme durch die deutsche Rechte als Bedrohung für die junge Republik empfand. Auch der liberale Rechtstheoretiker Hermann Ulrich Kantorowicz schrieb in seinem Pamphlet Bismarcks Schatten, dass die Konsolidierung der Demokratie in Deutschland nur auf den 'Trümmern des Bismarckkultes' gelingen könne.Beweise für die Gültigkeit dieser Aussage lieferten die rechten Gegner der Demokratie zuhauf. Während in Weimar noch über eine neue Verfassung verhandelt wurde, erhob die konservative Zeitschrift Die Tradition - eine Wochenschrift der Vaterländischen Verbände - schon im April 1919 den schweren Vorwurf, das Bismarckreich sei keineswegs der feindlichen Übermacht der Gegner, sondern einem von langer Hand geplanten 'Staatsstreich' zum Opfer gefallen: 'Während der ganzen Dauer des Krieges verfolgten die Männer der Revolution nur das eine Ziel, sich selber in die Macht zu setzen.' Als 'Zerstörer der Schöpfung Bismarcks' und 'Schänder seines geheiligten Namens' würden sich Sozialdemokraten, Zentrumskatholiken und Liberale dereinst vor der Geschichte verantworten müssen.Kaum ein Jahr später, im Januar 1920, wiederholte Kuno Graf von Westarp, einer der Führer der monarchistischen DeutschnationalenVolkspartei (DNVP), den an die Republik gerichteten Vorwurf der historischen Illegitimität und verknüpfte ihn mit der Hoffnung auf ein baldiges Ende Weimars. Nach seiner Ansicht widersprach die Gründung der Weimarer Republik dem 'Geist Bismarcks', weshalb sie kein historisches Existenzrecht besitze. Westarp war jedoch zuversichtlich, dass das demokratische 'System' nur eine Episode in der deutschen Geschichte bleiben werde: 'Die Deutsche Republik des 9. November., die Knechtschaft des Versailler Vertrages vom 28. Juni 1919, sie werden sich als die Übergangszeit erweisen. Auf den Grundlagen, die am 18. Januar [dem Tag von Bismarcks Kaiserproklamation in Versailles] besiegelt und geschaffen worden sind, wird Preußen, wird Deutschland neu erstehen.'Entzweiende polemische Äußerungen wie diese waren typisch für die Art und Weise, wie in der tief gespaltenen Weimarer Gesellschaft das Erbe Bismarcks interpretiert wurde. Wann immer sich konservative und nationalistische Kreise zwischen 1918 und 1933 auf Bismarck beriefen, taten sie dies, um die von ihnen verachtete Republik an der mythisch überhöhten Figur des Eisernen Kanzlers und der glorifizierten Zeit seiner Herrschaft über Deutschland zu messen. Für Linksliberale und Sozialdemokraten dagegen hatte Bismarcks semiautoritäres Regime den Prozess von Liberalisierung und Demokratisierung unterbrochen, der mit den Befreiungskriegen begonnen und in der Revolution von 1848 seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Nach dem Zusammenbruch des kleindeutschen Hohenzollernreiches, so sahen es die Republikaner, hatten die Revolutionäre von 1918 Bismarcks historischen Irrweg korrigiert und ein gerechteres Leseprobe