Beschreibung
1976 veröffentlichte Fritz Scharpf die Monographie Politikverflechtung: Theorie und Empirie des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, in der er einen direkten Zusammenhang der verflochtenen Politik auf den politischen Prozess nachweisen konnte, der sich in einer Vielzahl von Problemen äußert. Im schlimmsten Fall konkretisieren sich diese festgefahrenen Strukturen in einer Politikverflechtungsfalle in Form von nicht aufzulösenden Blockaden.Seit der Veröffentlichung dieses Werk sind mehr als 30 Jahre vergangen, die Möglichkeiten der Politikverflechtung sind in dieser Zeit vielseitiger geworden, unter anderem durch den Prozess der deutschen Wiedervereinigung und den der Europäisierung. Mit Einsetzen der Föderalismuskommissionen ab dem Jahre 2003 sind die deutschen Probleme der Aufgabenverflechtung gezielt thematisiert und angegangen worden.Die vorliegende Arbeit widmet sich dieser Problematik, indem sie untersucht, in wie weit die Gefahr einer Politikverflechtungsfalle in der Bundesrepublik Deutschland in Zeiten vor der Föderalismuskommission I bestand und in wie weit die strukturellen Gegebenheiten durch die Reform verbessert wurden.
Autorenportrait
Henry Mayer wurde 1983 in Karlsruhe geboren. Er studierte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg Politikwissenschaften, Neuere deutsche Literaturwissenschaft, Mediävistik und Linguistik und schloss das Studium im Jahre 2009 erfolgreich mit den Abschlüssen Magister und Staatsexamen ab. Seine Forschungsschwerpunkte in der Wissenschaftlichen Politik liegen in der Politischen Theorie sowie in der Analyse des politischen System Deutschlands.
Leseprobe
Textprobe:Kapitel 2, Der deutsche Föderalismus:Basis des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland ist das Konzept des kooperativen Föderalismus, der durch die im Grundgesetz (GG) festgelegte Gewaltenteilung (Artikel 20 GG) bedingt ist und als intrastaatlicher Föderalismus bezeichnet wird. Dieser zeichnet sichdurch ein Überwiegen kooperativer, auf Konsens und Koordination sowie Konfliktminimierung ausgerichteter Politikmechanismen aus. Er birgt damit die Tendenz zur Vereinheitlichung bereits in sich, da Konkurrenzmechanismen, aus denen Heterogenität überhaupt erst erwachsen kann, nicht so stark zum Zuge kommen. Ausgehend von diesem Tatbestand lässt sich auch die in Deutschland beklagte Verwischung der für den Bundesstaat traditionell als essentiell angesehenen Kompetenz- und Funktionsdifferenzierung im deutschen Föderalismus erklären, deren Auswirkungen Gegenstand der Politikverflechtungstheorie nach SCHARPF et al. und der Analyse in Kapitel 4 dieser Arbeit sind.Nachfolgend werden die einzelnen Bereiche der Kooperation und die damit verbundene Verflechtung vorgestellt sowie deren Entstehung beleuchtet.2.1, Die Grundlagen der deutschen Politikverflechtung:Nie gab es aufgrund [der deutschen] Geschichte Tendenzen hin zu einem Zentralstaat und zu einer einheitsstaatlichen Ordnung stellte der ehemalige Ministerpräsident Baden-Württembergs, Erwin Teufel, in einem Vortrag über den Föderalismus in Deutschland im Jahr 1998 fest. Im Hinblick darauf ist es zu erklären, dass mit dem Ziel der (Wieder-) Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse nach Ende des Zweiten Weltkriegs kein rein föderales Trennmodell nach Sachgebieten für die Bundesrepublik Deutschland ent-stand, sondern ein Föderalismusmodell, bei dem die Aufgaben nach Kompetenzarten bzw. Funktionen miteinander verschränkt sind. So ist zunächst der Bund hauptsächlich für die Legislative zuständig (Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes, Art. 71 GG) und die Bundesländer führen vornehmlich in der Exekutiven die Gesetze und Verwaltungsvorschriften des Bundes aus (Art. 83 GG). Dabei ist es unter allen föderalen Staaten weltweit einzigartig, dass Gliedstaaten unmittelbar, durch den Bundesrat, an der Gesetzgebung des Bundes teilhaben können. Als Vertretung der Länder muss der Bundesrat den Gesetzen zustimmen, bei denen Länderinteressen behandelt werden; als Bundesorgan hat er Widerspruchsmöglichkeiten bei der generellen Bundesgesetzgebung. Er kann ein suspensives Veto gegen Gesetze einlegen (Einspruchsgesetze), dieses kann jedoch vom Bundestag wieder überstimmt werden, oder mit einem absoluten Veto die Zustimmung gänzlich verweigern (Zustimmungsgesetze), so dass das Gesetz gescheitert wäre. Die Gegenstände der Zustimmungsgesetze sind im Grundgesetz aufgeführt (Art. 76 und 77 GG). Durch das Anrufen des Vermittlungsausschusses hat der Bundesrat darüber hinaus die Möglichkeit, bei beiden Arten von Bundesgesetzen nach seinen Interessen mitzugestalten. Bei der Ausführung von einmal beschlossenen Bundesgesetzen ist die Eigenständigkeit der Länder jedoch wiederum er-heblich eingeschränkt, da die Länder in diesem Fall lediglich einen ausführenden Part haben, die Gesetze aber nicht mehr weiter nach ihren Vorstellungen gestalten können. SCHARPF hat diesen Tatbestand mit der Umschreibung, die Länder hätten das Erstgeburtsrecht ihrer Autonomie für das Linsengericht der Mitbestimmung im Bund verkauft, kommentiert und so den Machtverlust der Landesparlamente bildlich verdeutlicht. Zwar haben auch die Länder im Bereich der Konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72 GG) Gesetzgebungskompetenzen, jedoch nur solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Erschwerend hinzu kommt die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 75 alt), durch welche den Ländern Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung gegeben werden, zum Beispiel im Hochschulbereich. Insgesamt hat der Bund seine Kompetenzen in den genannten Bereichen in der Zeit vor der Föderalismusreform weitreichend wahrgenommen. Bei der Verwaltung, die mehrheitlich den Ländern obliegt, existiert neben dem landeseigenen Vollzug (Art. 84 GG) und der Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG) darüber hinaus auch eine Bundeseigene Verwaltung (Art. 86 GG), so dass auch der administrative Bereich der Politikverflechtung unterliegt.Die geschilderten Kompetenzverschränkungen bedingen eine enge Zusammenarbeit aller beteiligten Institutionen und haben zu einer weiteren Verflechtung innerhalb der bestehenden Aufgabenverteilung geführt. Zum einen existiert eine starke horizontale Vernetzung der einzelnen Politikressorts auf Bundesebene sowie eine vergleichbar starke Vernetzung der einzelnen Bundesländer untereinander. Gleichzeitig besteht zum anderen eine ebenso starke vertikale Vernetzung zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden. Die Zusammenarbeit der Länder untereinander wird dabei als Kooperation auf der dritten Ebene neben der vertikalen und der horizontalen Kooperation der einzelnen Politikressorts bezeichnet. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von formellen, aber auch informellen Ausschüssen bzw. Treffen, so dass sich das politische System Deutschlands zu einem Mehrebenenmodell der Entscheidungsfindung entwickelt hat. 2.2, Vertikale Politikverflechtung:Als Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf der vertikalen Ebene sind die Bund-Länder-Ausschüsse zu nennen, die u. a. Gesetzesentwürfe vorbereiten oder über Themen beraten, die Bund und Länder einheitlich betreffen, wie die Frage nach der Unterbringung und dem Bleiberecht von Asylbewerbern. Daneben existieren etablierte Bund-Länder-Kommissionen, wie etwa die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK), welche ein einheitliches Bild bei der Weiterentwicklung und Planung des Bildungswesens zu einem gewissen Grad wahren soll. Ein weiteres Beispiel sind die Besprechungen des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer sowie die ständigen Vertretungen der einzelnen Bundesländer beim Bund, die für einen stringenten Kontakt und Informationsaustausch zwischen der Bundesregierung sorgen und so die Interessen des jeweiligen Bundeslandes auf Bundesebene wahren sollen.
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