Einsam, das sind die anderen, dachte Anja Rützel immer: Sie sei schlimmstenfalls allein – und das aus freien Stücken. Doch als ihr geliebter Hund Figo stirbt, merkt sie auf einmal: Im Zeitalter von Facebook & Co., die einem Verbundenheit vorgaukeln, wo keine existiert, ist die Grenze zwischen wohligem Alleine-Sein und Einsamkeit dünn.
In ihrer ureigenen Rützel-Manier begibt sie sich auf eine Reise in die Welt der Einsamkeit, der Einsamen, in die Welt der vermeintlich sozialen Netzwerke, analogen Netzwerke, Albträumen zu zweit u.v.m. Am 2. Oktober stellt sie ihr neuestes Werk in der Backfabrik vor. Für eine dem Anlass angemessene musikalische Begleitung sorgt Stella Sommer von der Band "Die Heiterkeit".
Anja Rützel, Jahrgang 1973, ist Journalistin, bekennender Trash-TV-Fan und große Tierliebhaberin. Sie arbeitet als freie Autorin u.a. für »SPON«, »SPEX« und das »SZ-Magazin«. Am liebsten jedoch geht sie raus in die Welt und schaut sich sonderbare Tiere an. Mit ihrem Hund Juri lebt sie in Berlin. Hier geht's zu ihrem Twitter-Account.
Foto: © Annette Koroll
Stella Sommer ist Sängerin und Gitarristin der deutschen Band "Die Heiterkeit", die 2010 gegründet wurde. Hier kann man mal reinhören.
Online-Tickets sind hier erhältlich.
Leute, kommt allein zur Lesung! Ein Loblied auf die Einsamkeit -
Interview mit Autorin Anja Rützel
Über Anja Rützel kann man im Internet lesen, sie beschäftige sich “überwiegend mitden Themenbereichen Popkultur, Fernsehen und Tiere”. Und was im Internet steht, stimmt bekanntlich: Sie veröffentlichte das Buch “Saturday Night Biber” (S. Fischer, 2017), eine Reportagen-Sammlung über Tierbegegnungen, und ein Basiswissen-Bändchen zum Thema “Trash TV” (Reclam, 2017). Für letzteres Thema watet sie außerdem bei Spiegel Online unermüdlich durch die Untiefen des Fernsehens und hat sich damit eine beträchtliche, begeisterte Fangemeinde erschrieben. Texte von Anja Rützel haben einen unverwechselbaren, umwerfend beißenden und dennoch liebevollen Humor.
Und jetzt das: In ihrem neuen Buch geht es um das Alleinsein, um die Einsamkeit. Kann das lustig sein? Der Titel ist es schon mal: “Lieber allein als gar keine Freunde”. Aber was steht drin? Wir durften exklusiv vorab lesen und Anja Rützel mit Fragen löchern. Es stellte sich heraus, dass das Buch ernst gemeint ist, dass ein Alpaka-Einfangkurs mit deutlich weniger Nervenverlust zu durchleben ist als ein Jodel-Workshop – und dass es absolut okay ist, alleine auf Lesungen zu gehen.
Anja, am Anfang des Buchs beschreibst du sehr offen, wie du irgendwann überrascht feststellst, dass du seit einer Weile kaum noch Freunde hast und viel allein bist. Das war stellenweise fast schmerzhaft zu lesen. Wie ging es dir beim Schreiben?
AR: Es war tatsächlich nicht ganz einfach, und ich habe beim Schreiben deutlich mehr mit mir gerungen, als ich das sonst von mir kenne. Das Buch ist sehr persönlich, und obwohl ich Einsamkeit kein bisschen peinlich finde, macht man sich doch verletzlich, wenn man erzählt: Ich bin oft alleine, und das ist nicht immer lustig – meistens zum Glück schon. Alleinesein ist für viele Menschen aber tatsächlich ein Tabu, wenn ich jemandem erzähle, dass ich gerne alleine bin, werde ich manchmal angeschaut, als hätte ich gerade gebeichtet, dass ich spielsüchtig bin. Es gibt da eine komische Schieflage: Wenn man das Radio anschaltet, dauert es höchsten zehn Minuten, bis jemand seine Einsamkeit beträllert, aber im Alltag wollen viele Leute nicht darüber sprechen.
Du verhandelst die verschiedensten Aspekte des Alleinsein, vom historischen Job des Eremiten in Parkanlagen (gab es!) bis hin zu Freund*innen im Internet. Welches Kapitel ist dein liebstes?
AR: Als erfahrene Einsamkeitspraktikerin hat es mir Spaß gemacht, mal die Gedankengeschichte der Einsamkeit zu erforschen. Und mich bestätigt zu sehen: Früher war der Einsiedler mehr wert als der Networker. Ich bin also nur ein bisschen in der Zeit verrutscht - früher hätte man mein selbst gewähltes Einzelleben topcool gefunden und mich nicht dauernd belämmet, ob ich nicht vielleicht doch zum Spieleabend kommen oder mit aufs knallvolle Craftbierfestivall will. Richtig erschüttert war ich, als ich für ein Kapitel Anti-Einsamkeits-Ratgeber untersucht habe. So schlimm hatte ich mir das nicht vorgestellt. Unglaublich, wie sich die Autoren da in das Leben ihrer Leser reindrängeln, mit furchtbarsten Tipps wie dem “Lächel-Programm”.
Buchhändler*innenfrage: Wo würdest du “Lieber allein als gar keine Freunde” im Laden sehen, wo sollen wir es hinsortieren?
AR: Ich würde es am liebsten auf die Kante zwischen verschiedenen Abteilungen legen. So zwischen “Populäres Sachbuch”, “Lustig” und “Selbsthilfe”. Oder vielleicht einfach mehrfach einsortieren! Wobei der Selbsthilfe-Anteil sehr dezent ist, ich maße mir nicht an, jemandem zu raten, wie er sein Leben führen soll. Aber ich habe ein paar vorsichtige Tipps.
Wie auch schon in “Saturday Night Biber” besuchst du Kurse und Workshops und erzählst davon. Dieses Mal, um Freund*innen zu finden. Was war der beste Kurs, den du besucht hast? Und was der schlimmste?
AR: Ich besuche generell wahnsinnig gerne Kurse, das Thema ist dann fast schon egal. Hauptsache, etwas Neues lernen. Ich komme mir dann immer vor wie Goethe, der Universalgelehrte. Ich würde zum Beispiel auch gerne noch lernen, wie man Pfirsichbäume beschneidet, und letztens habe ich von einem Wanzenbestimmungskurs gehört, der steht jetzt ganz oben auf meiner Liste. Wobei der Alpaka-Einfangkurs, den ich für „Saturday Night Biber“ gemacht habe, schwer zu toppen ist, das war ein großer Spaß. Ausnahmsweise habe ich für mein Einsamkeitsbuch keinen Tierkurs gemacht. Dafür einen Töpferkurs, den ich jetzt übrigens gleich nochmal mache, weil mich das total entspannt. Neue Freunde habe ich da allerdings keine gefunden. Ich habe im Kurs ein wirklich sehr gutes Gürteltier getöpfert, trotzdem wollte mich niemand weiter kennenlernen. Schlimm war der Jodelkurs, eine meiner größten Niederlagen im Leben. Ich konnte es einfach nicht. Das war so kompliziert! Es gibt beim Jodeln ja keinen Text im klassischen Sinn, du hast nur diese Laute - und dazu musst du dir noch die Melodie merken. Ich schaffte immer nur eins von beiden, aber die anderen waren alle richtig super. Ich habe das Jodeln unterschätzt, muss ich zugeben. Ich habe mir am Ende trotzdem noch die Übungs-CD gekauft, weil ich etwas in meinem Ehrgeiz gekränkt war und dachte, dann übe ich das eben alleine in meiner Wohnung, bis ich das kann. Überraschenderweise habe ich das kein einziges Mal gemacht.
Okay, letzte Frage zum Buch: Wenn du dir wünschen könntest, was deine Leser*innen daraus mitnehmen, wenn sie sich nur eine Sache merken - welche sollte das sein?
AR: Meine Traumvorstellung wäre, dass sie sich einfach ein bisschen locker machen. Dass sie nicht reflexhaft das Gefühl haben, allein zu sein ist ein Defizit, sondern zumindest in Betracht ziehen, dass das auch wirklich schön sein kann. Was der Buchtitel ja auch schon sagt: Man kann ganz wunderbar mit sich selbst befreundet sein. Und man muss sich nicht davor fürchten, mit sich allein zu sein - das ist mir, glaube ich, das Wichtigste. Viele Menschen fürchten sich leider schon davor, mal alleine Essen zu gehen, oder ins Kino: “Ich wollte ja eigentlich in den Film, aber es niemand mitgekommen”, sagen sie dann. Es wäre toll, wenn Leute Alleinesein nicht mehr als bedrohlich, komisch, abwegig und generell nicht normal betrachten würden, sondern die entsprechenden Worte wieder positiv besetzen könnten. Ich habe mich mal mit einer Französin unterhalten, die meinte, “alleinstehend” sei für sie kein trauriges, schwaches Wort, ganz im Gegenteil: Sie denkt dabei an einen großen, starken Baum, der so tief verwurzelt ist, dass er eben keine schützenden Mit-Bäume um sich herum braucht, sondern jedem Sturm auch ganz alleine trotzen kann. Das ist doch ein schönes Bild, so kann man’s auch sehen.
Am 2. Oktober machen ja wir eine Lesung mit dir in der Backfabrik. Magst du Lesungen? Freust du dich?
AR: Ich freue mich tatsächlich, ja! Auch, weil ich nicht alleine auftreten werde, sondern Stella Sommer ein paar Lieder beisteuern wird, die natürlich zum Thema des Abends passen werden. Ich mag ihre Musik sehr, sie ist Sängerin der Band “Die Heiterkeit”, gerade ist ihr Soloalbum “Thirteen Kinds of Happiness” erschienen, das ebenfalls toll ist – und natürlich geht es darauf um dreizehn Arten der Einsamkeit. Stella hat mir schon bei der Releaselesung von “Saturday Night Biber” einen Lebenstraum erfüllt: Sie hat mein liebstes „Heiterkeit“-Lied, „Alle Menschen mögen mich“, der Tierthematik entsprechend zu „Alle Molche mögen mich“ umgetextet. Da musste ich mich stark beherrschen, nicht zu weinen. Ihre Musik wird also garantiert auch dieses Mal wieder ans Herz gehen. Gerade denke ich auch noch über die Sitzordnung für die Lesung nach. Am liebsten würde ich die Stühle ganz weit auseinander stellen, damit jeder mal ein bisschen für sich sein kann. Aber ich will die Einamkeits-Newbies auch nicht überfordern.
Bei unseren Lesungen gibt es ja manchmal noch eine Fragerunde. Zum Abschluss darfst du dir jetzt was wünschen: Welche Frage möchtest du bei deiner Lesung am liebsten vom Publikum gestellt bekommen?
Mh, vielleicht der schönste Ort, an dem ich jemals alleine war. Den muss ich mir allerdings noch überlegen - oder nee, ich weiß es schon!
Das Interview führte unsere Kiezbuchhändlerin Lea.