Beschreibung
Marco Lodoli, der mit seinen "Inseln in Rom" Leser und Kritiker gleichermaßen beglückt hat, bietet sich erneut als Führer an durch eine Stadt, deren versteckte Winkel und verborgene Schönheiten oder Kuriositäten unerschöpflich sind. Wir beobachten die berühmten Transsexuellen Roms, in der Nähe von Santa Maria delle Grazie empfiehlt uns Lodoli eine billige Pizzeria, und überhaupt spart er nicht an Tipps, wo man merkwürdige Waren kaufen und gut und preiswert essen kann.
Autorenportrait
Marco Lodoli, 1956 in Rom geboren, lebt und arbeitet dort als Lehrer. Sein 1986 erschienenes Buch Diario di un millennio che fugge wurde mit dem Premio Mondello und dem Premio Elsa Morante ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm in deutscher Übersetzung Der große Anarchistenzirkus (Roman, 1996), Der Wind (Roman, 1998) sowie Hunde und Wölfe (Erzählungen, 1999).
Leseprobe
Die Kolonnade des Borromini Es gibt Kunstwerke, bei denen die Intelligenz als das beherrschende Element erscheint, bei denen jedes Detail von scheinbar einem Gedanken erzeugt wurde, der von der eigenen Vortrefflichkeit überzeugt ist. Das sind Werke, die durch ihre Perfektion beinahe eine Art Unbehagen hervorrufen, weil ihnen etwas Unmenschliches anhaftet, ein Ehrgeiz ohne Maß, eine rein vom Verstand bestimmte Vorliebe für unmögliche Herausforderungen. In Rom ist das in dieser Hinsicht erstaunlichste Werk die sogenannte Kolonnade des Borromini im Palazzo Spada auf der Piazza Capodiferro. Wir können dieses Kunstwerk hundertmal bewundern, und es wird uns immer wieder und jedesmal auf noch eindringlichere Weise beunruhigen. Es handelt sich um eine Galerie, die von einem besonders schönen Innenhof ausgeht, einem geheimnisvollen Garten mit drei märchenhaften Pomeranzenbäumen: wir betrachten die Galerie, die dreißig oder vierzig Meter lang erscheint, die dorischen Säulen werden mit der Entfernung kürzer, die Muster des Bodens kleiner, je mehr das Auge in den Hintergrund vordringt, dort drüben, wo beim Aufeinandertreffen zweier Hecken eine antike Statue sich als Zielpunkt für den Blick anbietet. Und dabei ist alles Sinnestäuschung, ein aufsehenerregendes Gaukelspiel, das wir mit offenem Mund bestaunen. In Wirklichkeit ist die Galerie gerade mal acht Meter und sechzig Zentimeter lang, und die Säulen, der Boden, das Tonnengewölbe wurden mit einer architektonischen Schlauheit realisiert, die unserer Pupillen spottet. In Ordnung, denken wir, das ist eben noch so eine barocke Schlaumeierei, es ist die reine Intelligenz, die sich hinter unserem Rücken über uns Einfallspinsel lustig macht. Aber dann kehren wir hundertmal zurück, um diese Galerie des 17. Jahrhunderts, die einem Vergnügungspark entstammen könnte, zu betrachten, weil uns immer noch etwas entgeht, weil sich in dieser höhnischen Optik etwas verbirgt, was unser Gemüt bewegt. Und eines Tages lesen wir diese Verse des Kardinals Bernardino Spada, Verse voller Staunen und moralischer Reflexion: 'Unter geringen Dimensionen betrachtet man einen riesigen Säulengang, auf kleinem Raum erblickt man einen langen Weg. Wunder der Kunst: Bild einer trügerischen Welt. Groß bloß der Erscheinung nach, sind die Dinge klein für den, der sie aus der Nähe betrachtet. Auf der Welt ist das Große nichts anderes als Illusion.' Ja, das ist es, und endlich begreifen wir, was uns Tränen in die Augen treibt: Diese Galerie ist nicht bloß ein subtiler Scherz der Intelligenz, sie ist viel mehr, sie ist die Wahrheit der Welt, auf wenige Meter zusammengedrängt. Largo dei Librari Dann und wann platzt der übliche ausländische Freund in Rom herein, um uns einen Besuch abzustatten: 'He ciao, ich bin hier, was unternehmen wir heute abend, was zeigst du mir Schönes?' Sagen wir es freiheraus: das trifft uns wie ein Schlag ins Genick. Von der Stadt hat dieser Freund beinahe alles gesehen, das Kolosseum, Sankt Peter, die Fontana di Trevi und die Piazza Navona, aber auch den Aventin und San Clemente, auch die Katakomben und das Foro Italico und sogar das Coppede-Viertel, das wir ihm beim letztenmal gezeigt haben. Und doch ist er unersättlich, er giert danach, zumindest eine neue Erinnerung mitzunehmen, etwas Besonderes, ein kleines Detail, ein Eckchen, eine unvergeßliche Ansichtskarte: 'Also, dear friend, was bietest du mir heute?' Wir fühlen uns verpflichtet, ihn nicht zu enttäuschen, finden es aber auch mühsam, schon wieder ein prächtiges Kaninchen aus dem Zylinder zu zaubern. Wir sagen alle Verabredungen ab und, verdammter Mist, beginnen das Album der Erinnerung auf der Suche nach einem besonderen Bild zu durchblättern, nach etwas Wundersamem, das nicht allzuviel Zeit kostet. Wir würden uns gerne mit einem Aperitif begnügen, einem kleinen Plausch und einem Tellerchen Oliven an einem magischen Ort, und dann sehen wir uns in zehn Jahren wieder. Museen - nein, Ruinen - ... Leseprobe
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