Beschreibung
Wir schreiben das Jahr 1857. Abner Marsh, Flussschiffer auf dem Mississippi, steht vor dem Ruin. Da macht ihm der Aristokrat Joshua York ein verlockendes Angebot: Er soll das schnellste Dampfschiff aller Zeiten bauen - die "Fiebertraum". Doch was für Marsh als großes Abenteuer beginnt, wird bald zum Albtraum. Denn York entpuppt sich als Vampir - und er hat die "Fiebertraum" bauen lassen, um entlang des Mississippi die Letzten seiner alten, kranken Rasse einzusammeln . George R. R. Martins legendärer Vampir-Thriller - eine atemberaubende Mischung aus Stephen King und Mark Twain. Für alle Leser von Markus Heitz' "Ritus", Kit Whitfields "Wolfsspur" und J. R.Wards "BLACK-DAGGER"-Serie
Autorenportrait
George R. R. Martin, 1948 in Bayonne/New Jersey geboren, veröffentlichte seine ersten Kurzgeschichten im Jahr 1971 und gelangte damit in der Science-Fiction-Szene zu frühem Ruhm. Gleich mehrfach wurde ihm der renommierte Hugo Award verliehen. Danach arbeitete er in der Produktion von Fernsehserien, etwa als Dramaturg der TV-Serie "Twilight Zone", ehe er 1996 mit einem Sensationserfolg auf die Bühne der Fantasy-Literatur zurückkehrte: Sein mehrteiliges Epos "Das Lied von Eis und Feuer" wird einhellig als Meisterwerk gepriesen. George R. R. Martin lebt in Santa Fe, New Mexico.
Leseprobe
St. Louis, April 1857 Abner Marsh schlug mit dem Knauf seines Hickoryspazierstocks scharf auf das Hotelpult, um den Angestellten auf sich aufmerksam zu machen. »Ich bin hier mit einem Mann namens York verabredet«, sagte er. »Josh York, so nennt er sich, glaube ich. Gibt es hier einen solchen Gast?« Der Angestellte war ein älterer Mann mit Brille. Er zuckte bei dem Klopfen zusammen, dann wandte er sich um, entdeckte Marsh und lächelte. »Hallo, das ist ja Cap'n Marsh«, sagte er liebenswürdig. »Ich hab Sie ja seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen, Cap'n. Habe aber trotzdem von Ihrem großen Pech gehört. Schlimm, ganz einfach schlimm. Ich bin schon seit '36 hier, aber so viel Packeis habe ich bisher noch nie gesehen.« »Lassen Sie es gut sein«, antwortete Abner Marsh unwirsch. Er hatte mit solchen Kommentaren gerechnet. Das Planters' House war unter den Dampfbootleuten eine beliebte Herberge. Marsh selbst hatte dort vor jenem grausamen Winter regelmäßig gespeist. Aber seit dem Packeis hatte er sich davon ferngehalten, und nicht nur wegen der Preise. So gerne er das Essen im Planters' House mochte, so wenig erpicht war er auf die Gesellschaft, die er dort antraf: Lotsen und Kapitäne und Maate, allesamt Flussleute, alte Freunde und alte Rivalen, und sie alle wussten von seinem Missgeschick. Abner Marsh wollte kein Mitleid. »Verraten Sie mir nur, wo Yorks Zimmer ist«, forderte er den Angestellten bestimmt auf. Der Angestellte wackelte nervös mit dem Kopf. »Mister York ist nicht in seinem Zimmer, Cap'n. Sie treffen ihn im Speisesaal, wo er seine Mahlzeit einnimmt.« »Jetzt? Um diese Zeit?« Marsh blickte auf die reich verzierte Hoteluhr, dann öffnete er die Messingknöpfe seines Rocks und zog seine eigene goldene Taschenuhr hervor. »Zehn Minuten nach Mitternacht«, stellte er ungläubig fest. »Er isst, haben Sie gesagt?« »Ja, Sir. Das tut er. Er sucht sich seine Zeiten aus, dieser Mister York, und er ist keiner von der Sorte, der man etwas verweigert.« Abner Marsh erzeugte einen unfreundlichen Laut tief in der Kehle, steckte seine Uhr wieder in die Tasche, wandte sich wortlos um und entfernte sich mit langen, festen Schritten durch die prachtvoll ausgestattete Hotelhalle. Er war ein großer Mann und nicht gerade der geduldigste, und er war an geschäftliche Treffen um Mitternacht nicht gewöhnt. Er trug seinen Spazierstock mit lässiger Gebärde, als hätte er nie einen Rückschlag erlebt und als wäre er noch immer der Mann, der er einmal gewesen war. Der Speisesaal war fast genauso erhaben und luxuriös wie der Hauptsalon auf einem Dampfboot, mit Kronleuchtern aus geschliffenem Glas und polierten Messingarmaturen und Tischen, die mit feinstem Leinen und bestem Porzellan und Kristall gedeckt waren. Während der normalen Essenszeiten hätten an diesen Tischen scharenweise Reisende und Dampfbootleute gesessen, aber nun war der Raum leer, die meisten Lampen gelöscht. Vielleicht ließ sich doch etwas Positives über solche mitternächtlichen Treffen sagen, überlegte Marsh; wenigstens brauchte er sich keine Beileidsbezeugungen gefallen zu lassen. Unweit der Küchentür standen zwei farbige Kellner und unterhielten sich leise. Marsh beachtete sie nicht und ging zum anderen Ende des Saals, wo ein gepflegt gekleideter Fremder saß und alleine speiste. Der Mann musste gehört haben, wie er näher kam, aber er blickte nicht auf. Er war damit beschäftigt, Mockturtle-Suppe aus einer Porzellanschüssel zu löffeln. Der Schnitt seines langen schwarzen Rocks machte deutlich, dass er kein Flussmann war; dann wohl einer aus dem Osten oder vielleicht jemand aus Übersee. Marsh sah, dass er groß war, wenngleich auch bei weitem nicht so groß wie Marsh; sitzend vermittelte er den Eindruck von Größe, aber er hatte nicht Marshs Statur. Zuerst hielt ihn Marsh für einen alten Mann, denn seine Haare waren weiß. Dann, als er näher kam, erkannte er, dass sie gar nicht weiß waren, sondern von einem sehr fahlen Blond, und plötzlich machte der Fremde einen fast jungenhaften E Leseprobe