Beschreibung
Ordnung und spätes Leid - Jens Sparschuhs tragischer Held kommt völlig durcheinander Hannes Felix ist seine Frau los: Monika kann sein sprödes Verhalten nicht mehr ertragen und packt ihren Koffer - leider völlig falsch. Sein Versuch, Ordnung in den wüsten Kofferinhalt zu bringen, gibt ihr den Rest und ihm die Gelegenheit, seine Vision von der optimalen Ordnung des Lebens künftig ganz ungestört umzusetzen. Jens Sparschuh erzählt von einem obsessiven Charakter und einem kollektiven Phänomen mit hohem Wiedererkennungseffekt: der Beschäftigung mit Strategien, das Leben und die Dinge effizient zu ordnen. Bei NOAH ist sein Held an der richtigen Adresse. Die unausgelastete Firma für Neue Optimierte Auslagerungs- und Haushaltsordnungssysteme hat ihn mit großen Hoffnungen eingestellt, aber seine Ideen zur Ankurbelung des Geschäfts nehmen immer groteskere und komischere Züge an. Rückblenden in Felix' Kindheit und seine beruflichen Anfänge liefern Einblicke in die subtilen Mechanismen, die diese komplexe Psyche formten. Und das Vorhaben, die Geschäftsinteressen von IKEA mit denen von NOAH zu verknüpfen, den Firmensitz von der städtischen Peripherie ins Zentrum zu verlegen und dafür endlich den Neubau des Berliner Stadtschlosses zu stoppen, entwickelt eine unheimliche Sogwirkung. Die große Kunst von Jens Sparschuh liegt darin, mit Sprachwitz und Feingefühl einen sympathischen und hochneurotischen Don Quichotte von heute zu entwerfen, dem der Leser bei seiner Suche nach einer neuen, perfekten Ordnung mit banger Hoffnung und großem Vergnügen bis zum bitteren Ende folgt.
Autorenportrait
Jens Sparschuh, geboren 1955 in Chemnitz (Karl-Marx-Stadt), studierte von 1973-1978 Philosophie und Logik in Leningrad. 1983 promovierte er in Berlin, seitdem arbeitet er freiberuflich. Er veröffentlichte eine Vielzahl von Hörspielen und Kinderbüchern. 2009 erschien 'Putz- und Flickstunde' (zusammen mit Sten Nadolny). 1989 erhielt er den Hörspielpreis der Kriegsblinden, 2018 den Prix Chronos und 2019 den Günter-Grass-Preis.
Leseprobe
'Fassen wir die zurzeit gängige Praxis zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Man erwirbt käuflich im schwedischen Einrichtungshaus einen Schrank, zum Beispiel, oder ein Regal, transportiert deren Einzelteile in einem braunen Flachkarton nach Hause, baut dort mühsam alles auf und verstaut seine Sachen darin. Schrank und Regal füllen sich allmählich mit allen möglichen Dingen, bis eines Tages die Frage Wegwerfen oder Auslagerung ansteht und die Dinge irgendwann (vielleicht) in einer SBEinlagerungshalle landen. In der Zwischenzeit bekümmert die Überfülle den Wohnungsinhaber. Das, was er nicht braucht, ist ihm ständig im Wege. Das, was er sucht, findet er nie. Bei verzweifelten, sporadischen Aufräumaktionen entsorgt er unter Umständen, was hier fast unausweichlich ist, wichtige Dinge. Mir schwebt nun folgendes vereinfachte >Alles-unter-einem-Dach<-Modell vor: Man sucht sich im blauen schwedischen Einrichtungshaus Schränke und Regale eigener Wahl aus. Die entsprechenden braunen Flachkartons werden per Fließbandoder Rohrpostsystem von der SB-Auslieferungshalle des schwedischen Einrichtungshauses direkt, ohne Umwege, zur unmittelbar benachbarten SB-Einlagerungshalle von NOAH weitertransportiert. Dort bauen kundige Mitarbeiter vor Ort, das heißt: in der Box des Kunden, die Möbel zusammen, worauf dieser sofort damit beginnen kann, seine Sachen einzulagern. Das schwedische Möbelhaus und NOAH wären somit kurzgeschlossen. Der Wohnungsinhaber gewinnt nun endlich den Platz, den er zum Leben braucht. Er erobert sich sein Zuhause zurück und kann sich dort wieder frei entfalten, weil er nicht mehr nur als lebendes Mobiliar zwischen lauter fremden Einrichtungsgegenständen herumläuft, die ihn bewegungslos umstehen und die ihm in einer derart vollgestellten Wohnung seinen Weg (den schmalen Trampelpfad!) vorschreiben. Mit dem Fehlen besagter Einrichtungsgegenstände wird ausreichend Raum geschaffen, sich so, so oder so entscheiden zu können - die Grundvoraus setzung persönlicher Freiheit.' Leseprobe