Beschreibung
Einmal im Leben muss man alle Hemmungen sausen lassen, sagt sich Titus Arnu, der seine Abenteuer sonst am Schreibtisch sucht. Er stellt sich Mutproben, die in keinem Handbuch stehen, aber den wahren Helden fordern. Bungee- Jumping? Kinderkram - aber sind Sie schon mal eine Sprungschanze hinabgesegelt? Triathlon kann jeder - aber sich beim Gourmet-Marathon durchs Land zu futtern erfordert mehr als ein Paar Turnschuhe. Frauen anbaggern ist das eine, einen echten Bagger fahren was anderes. Ganz zu schweigen von Partys im Nudistencamp. Die Chronik eines Bürohengstes, der auszog, um seinen Mann zu stehen.
Autorenportrait
Titus Arnu, Jahrgang 1966, war Chefreporter bei Glamour, Chef vom Dienst bei SZ Wissen und ist seit 2006 Reporter bei der SZ-Redaktion Panorama. Als freier Autor schreibt er unter anderem für das SZ-Magazin, Geo Saison, Eltern, Brigitte, Elle und Vogue. Er hat mehrere Bücher verfasst, darunter drei Bände der Übelsetzungen, die zu Bestsellern wurden.
Leseprobe
Laufen und Saufen Extrem-Degustation beim Gourmetmarathon Das Leben ist voller Rätsel. Warum zum Beispiel existieren Stechmücken, die keinen anderen Zweck erfüllen als den, einen nachts in den Wahnsinn zu treiben? Wohin verschwinden bloß all die zweiten Socken, die man nach dem Waschen nicht mehr in der Trommel findet? Und wie konnte es passieren, dass eine komplett lächerliche »Band« wie Modern Talking 120 Millionen Platten verkauft? Auf solche und ähnliche Fragen wird es nie Antworten geben. Eines aber steht fest, selbst für überzeugte Marathon-Fans: Es macht definitiv keinen Spaß, 42,2 Kilometer zu laufen. Alle, die behaupten, es bereite ihnen auch noch jenseits der 30-Kilometer-Marke eine Riesenfreude, sich schwitzend, keuchend und mit verhärteten Waden und schmerzenden Knien weiter über den Asphalt zu schleppen, sind Heuchler oder Dopingsünder oder wahrscheinlich beides. Trotzdem stand ich nun auf einem Laufband bei einem Sportarzt, um mich für einen Marathonlauf durchchecken zu lassen. Mein Körper war per Kabel und Elektroden mit einem Computer verdrahtet. Im Fenster der Praxis spiegelte sich mein Gesicht, das ziemlich verzerrt wirkte ob das am Fenster lag? Auch an meinem Ohr hing ein Kabel. Ich war ein schwitzendes Monster, und Dr. Frankenstein schaute gelassen auf die Kurven, die auf seinem Monitor aufflackerten. »Laufen Sie einfach locker weiter, ich sage Ihnen dann rechtzeitig, wenn es schneller wird.«Ich versuchte gelassen zu wirken, was gar nicht so einfach ist, wenn man mit nacktem Oberkörper auf der Stelle rennt und einem gerade eine hübsche Arzthelferin das Ohrläppchen angezapft hat, für die Laktatmessung. Ich dachte, hoffentlich fragt der Arzt mich jetzt nicht, bei welchem Marathonlauf ich eigentlich antreten wolle. Der Doktor schaute kurz vom Monitor auf und fragte: »Bei welchem Marathonlauf wollen Sie eigentlich antreten? «Offensichtlich diente die Apparatur also auch dazu, meine Gedankenströme zu überwachen. Auf dem Bildschirm konnte der Mann Wort für Wort lesen, was in meinem Kopf vorging. Na toll, dann hatte er wohl auch aufgezeichnet, was ich während des Laktat-Gefummels an meinem Ohr gedacht hatte . . . »Es ist so ein Lauf in . . . keuch . . . Südfrankreich.« Das Laufband hatte gerade einen Gang hochgeschaltet, ich musste einen Zahn zulegen. Mein Puls lag jetzt bei 130, Tendenz stark ansteigend. »Warum Südfrankreich?«, wollte Dr. Frankenstein wissen. Konnte er die Antwort etwa nicht auf seinem Bildschirm lesen? »Ein . . . besonderer Marathon«, brachte ich heraus, »gibts eben nur dort.« Für mich war das Thema damit ausdiskutiert. Ich bin generell kein Freund großer Worte, erst recht nicht auf dem Laufband. Ein Bekannter behauptet sogar ernsthaft, ich sei der einzige Mensch weltweit, der mehr Worte schreibt als spricht das ist natürlich eine üble Unterstellung. Und was ist mit Thomas Pynchon? Der gefeierte amerikanische Romanschriftsteller hat in 50 Jahren ungefähr ein Interview gegeben und trat genau dreimal als Gaststar in der Trickfilmserie »Die Simpsons« auf, jeweils für wenige Sekunden. Das wars, was er verbal zu bieten hatte. Geschrieben hat er dagegen ein Epos nach dem anderen. Der Arzt ließ nicht locker. Ich sah ihn jetzt nicht mehr in einer Frankenstein-Neuverfilmung, sondern als CIAErmittler, der einen Verdächtigen an den Lügendetektor anschließt, während er ihm scheinbar unverfängliche Fragen stellt. »Und was ist denn das Besondere daran?«, fragte er als Nächstes und musterte mich misstrauisch. »Es ist ein . . . Gourmetmarathon.« Ich hatte im Internet etwas über diesen besonderen Lauf in Cahors gelesen. Hauptziel des Marathon du Cahors war das Degustieren von Rotwein, Weißwein, Champagner, Gänseleber, Rohkäse und anderer Leckereien. Allerdings müssen die Teilnehmer dabei tatsächlich die Marathondistanz von 42,2 Kilometern zurücklegen zu Fuß. Die Strecke führte von Prayssac entlang des Flüsschens Lot durch hügeliges Gelände an Weingütern vorbei bis nach Cahors (daher der Name). Man konnte in einem schönen Landhotel übernachten, und nach dem Lauf sollte es ein Gelage im gallischen Stil geben. Das klang genauso anstrengend wie angenehm und vor allem konnte ich Christian mit meiner denkwürdigen Leistung demonstrieren, dass ein Marathon auch ein Fest für alle Sinne sein kann. So ausführlich konnte ich das auf dem Laufband natürlich nicht schildern, weil mir dafür schlicht die Puste fehlte. Außerdem war ich hier einem Gedanken lesenden Frankenstein-CIA-Arzt ausgeliefert, und vor Ärzten hatte ich mich sowieso schon immer gefürchtet. Ich murmelte daher lediglich etwas von Wein-Degustation und gesunden Häppchen. Der Arzt schaute mich so entgeistert an, dass ich schon fürchtete, er würde mir die Gesundheitsbescheinigung verweigern, die ich für die Anmeldung in Frankreich brauchte. »Heißt das, Sie trinken beim Laufen Wein?«, wollte er wissen. »Nein, nur in den Pausen«, antwortete ich wahrheitsgemäß, was in diesem Moment keine gute Antwort war. Den folgenden Vortrag über die Grenzen der Spaßkultur bekam ich nicht mehr so richtig mit, denn das Laufband raste nun wie zur Strafe mit Höchstgeschwindigkeit, und ich hatte genug damit zu tun, nicht nach hinten weggeschossen zu werden. Die Werte waren in Ordnung, und der Arzt unterschrieb murrend den Wisch, allerdings nicht, ohne mir noch einen guten Rat mit auf den Weg zu geben: »Viel trinken!« Kunstpause. »Und zwar Wasser!«
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