Autorenportrait
Hansen Hoepner, geboren am 6. April 1982 in Singen am Hohentwiel, hat an der Akademie für Bildende Künste Maastricht Produktdesign, Goldschmiede und Fotografie studiert und sich auf Fahrradkonstruktion und -design spezialisiert. Nach dem Studium arbeitete er bei dem Interiordesigner Maurice Mentjens, und seit 2014 wirkt er an dem Kreativprojekt »KAOS« mit und hat sich dort mit einer Werkstatt für Goldschmiede und Produktdesign selbstständig gemacht.
Leseprobe
ALGABAS Sasch / 19. Mai / Algabas, KASACHSTAN Paul Da liegen wir nun in einer kleinen Mulde, mitten in der Einöde von Kasachstan, mehr als 3000 Kilometer von zu Hause entfernt, und verstecken uns vor Sasch und seiner betrunkenen Bande, die uns eben auf der Landstraße angehalten und verprügelt haben. Wir verstecken uns mit allem, was man so braucht, wenn man den tollen und vielleicht auch völlig verrückten Plan umsetzen will, mit dem Rad von Berlin nach Shanghai zu fahren: ein kleines Zelt, Schlafsäcke, Werkzeug und Messer, Kleidung, Kompass und Karte, eine kleine Solaranlage zur Stromversorgung, Kameras, mit denen wir die Fahrt aufzeichnen, und unsere Pässe - nicht viel, aber jeder Fitzel davon ist umso wichtiger. In unseren übergroßen, blau-weiß gestreiften langärmeligen Shirts sehen wir ein bisschen aus wie ausgebrochene Sträflinge. Die Longsleeves sind aus billigem Stoff, aber mehr hat unser knappes Budget nicht hergegeben. Wir haben sie in einem Supermarkt irgendwo am Straßenrand in Russland gekauft und vorn in die Ärmel Löcher für die Daumen reingeschnitten. So schützen sie uns einigermaßen vor der Sonne und blähen sich im Fahrtwind auf wie kleine Segel, was den Rücken angenehm kühlt. Irgendwann ist uns aufgefallen, dass viele Lkw-Fahrer genau die gleichen Shirts tragen. Wir gehören also inzwischen zum Team der Straße. Es gab einige Momente während der letzten sechs Wochen, in denen ich mich zurück in mein Bett in der schönen, sonnigen Altbauwohnung in Berlin-Neukölln gewünscht habe, aber das waren nur kleine, sentimentale Schwächeanwandlungen. Jetzt, in diesem Augenblick, zweifle ich zum ersten Mal wirklich. Was für eine haarsträubend dumme Idee! Wie naiv von uns, zu glauben, die ganze Welt wäre zwei voll bepackten Radfahrern freundlich gesonnen. Ich muss an das Foto von Michael Rockefeller denken, das ich vor drei Jahren im Metropolitan Museum in New York gesehen habe. Da sitzt ein blonder, blasser Jüngling mit Button-down-Hemd, Brille und Kamera zwischen ein paar wild aussehenden Ureinwohnern von Neugui
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Reisegefährten, beste Freunde und eineiige Zwillinge>