Abwegig - Überleben und Therapie bei ritueller Gewalt

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783893346011
Sprache: Deutsch
Umfang: 185 S.
Format (T/L/B): 1.4 x 21 x 14.8 cm
Auflage: 1. Auflage 2016
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Die Eltern brachten ihr Ma¨dchen von Geburt an mit in ihre Sekte. Es war so bestimmt und vorgesehen. Da der Vater eine hohe Position und bestimmte Aufgabe in dieser Sekte innehatte, war auch die Entwicklung seiner Tochter von entschei- dender Bedeutung. Von klein auf, im Sa¨ug- lingsalter, wurde die Tochter "trainiert". Sie wurde darauf trainiert, starke psychische und ko¨rperliche Schmerzen auszuhalten. Im Alter von 1-3 Jahren fu¨r Stunden alleine in einem dunklen Raum zu sein und nicht zu weinen, aber stark und tapfer zu sein. Denn erst dann durfte die Tochter wieder aus diesem Raum heraus. Vor allem wurde sie gelehrt, sich abzuspalten. Ihr wurden Schmerzen und Leid angetan, so lange bis klar war, dass sie dissoziiert. Die Trainer in dem Kult verstanden sich sehr gut darin und konnten sehr leicht erkennen, wann ein Sa¨ugling, ein Kleinkind, ein Kind oder u¨berhaupt ein Mensch dissoziiert. Denn die Fa¨higkeit des Dissoziierens zu nutzen ist der Vorteil der Ta¨ter. Sie schufen bei dem Ma¨dchen bestimmte Anteile, gaben diesen einen Namen und "erschufen" sie fu¨r grausame Aufgaben. Dieses Buch ist aus der gemeinsamen Arbeit von Klientin und Therapeutin entstanden. Fu¨r die Therapeutin war die Arbeit mit der Klientin und deren Innenanteilen Neuland. Sie schreibt in ihrem Vorwort: "Als ich sie kennen lernte, hatte ich 20 Jahre Berufserfahrung im stationa¨ren und ambulanten Bereich, und mir war noch nie eine Patientin oder ein Patient mit einer multiplen Sto¨rung begegnet - dachte ich. Heute zweifle ich manchmal daran, denn ich hatte ja einfach nicht die kognitiven Schemata, um dissoziative Pha¨nomene und Wechsel von Perso¨nlichkeitsanteilen zu erfassen. Ich hatte u¨ber die dissoziative Identita¨tssto¨rung gelesen und kannte die kontroversen Diskussionen u¨ber die Echtheit der Erinnerungen der Betroffenen. Im Innersten war ich davon u¨berzeugt, dass die dissoziative Identita¨tssto¨rung ein in der Therapie entstandenes, zum Teil vom Behandler durch die hohe Suggestibilita¨t traumatisierter PatientInnen mit erzeugtes und aufrecht erhaltenes psychisches Krankheitsbild sei. Die intensive Arbeit mit Frau L. lehrte mich, anders wahrzunehmen und zu verstehen. Ich lernte, was schweres Leid mit einem Menschen macht und mit welchen psychischen Mitteln er oder sie u¨berleben kann. Die Zersplitterung der Identita¨t ist vielleicht die einzige und sehr funktionale Lo¨sung der Seele, furchtbare Traumatisierungen einigermaßen ada¨quat zu u¨berstehen. In der therapeutischen Auseinandersetzung mit den Perso¨nlichkeitsanteilen von Frau L. wurde ich mit Erinnerungen dieser Anteile konfrontiert, in denen sich grauenhafte Erlebnisse widerspiegeln. Die Anteile ließen mich - nachdem u¨ber eine lange Phase Vertrauen aufgebaut werden musste - teilhaben, ich war in den Flash- backs oft "Zeugin" von Qua¨lereien, die der Zersplitterung oder Programmierung dienten. Es war fu¨r mich kaum vorstellbar, was Menschen anderen Menschen antun, um sie fu¨r ihre Ziele gefu¨gig zu machen. So fragte auch ich mich immer wieder: "Kann das u¨berhaupt sein? Das ist so unvorstellbar und abwegig. Aber ich ließ mich darauf ein. Heute bin ich froh, den Mut aufgebracht zu haben, Frau L. bei ihrer Befreiung aus dem Kult zu begleiten."