Sally Rooneys Charaktere wachsen in ihrem neuen Buch mit. Statt um Schule und Universität geht es nun um das Arbeitsleben. Wir folgen einer erfolgreichen, aber verzweifelten Schriftstellerin, einer unterbezahlten und desillusionierten Redakteurin eines Literaturmagazins, einem politischen Berater, der seine Sicherheit und Identität im Glauben sucht, und einem Lagerarbeiter in einem großen Warenhaus, der zu einem unerwarteten Begleiter wird. Statt dem Thema "Wer möchte ich sein?", das in Rooneys vorherigen Romanen im Zentrum stand, ist "Wer bin ich eigentlich geworden?" die zentrale Frage von 'Beatiful World, Where Are You?'.
Behandelt wird diese Frage an den üblichen Themen Freundschaft, Liebe und Lebenssinn in einer Zeit der Entfremdung und der permanent bevorstehenden Katastrophe. Ungewohnt stark ist die Rolle, die die Religion in diesem Buch einnimmt, aber nicht unbedingt zum Schlechten. Im Gegensatz zu Rooneys früheren Büchern steht das Innenleben der Charaktere direkter im Mittelpunkt, das uns durch E-Mails zwischen den beiden Protagonistinnen gezeigt wird. Das mag für eingefleischte Rooney-Fans nicht unbedingt etwas sein, insgesamt werden die beiden Protagonistinnen dadurch aber deutlich dreidimensionaler. Die anderen Charaktere wirken dagegen im Vergleich dann doch etwas platter, aber auch das hilft, die intensive Freundschaft den schwierigen romantischen Beziehungen gegenüberzustellen. Auch die Frage von Klasse spielt wieder eine Rolle, hier bleibt Rooney aber unter ihrem Potential. Wo bei 'Normal People' der Klassenunterschied zwischen Conell und Marianne zentral für die Beziehung ist und die Lebenswelt jeweils entscheidend prägt, werden die Klassenunterschiede in 'Beatiful World, Where Are You?' zwar angesprochen und ausdiskutiert, führen die Charaktere und ihre Beziehung aber nicht effektiv weiter.
Ebenso fühlen sich das Ende und die Auflösung des Buches zwar nicht unnatürlich, aber nicht unbedingt ganz verdient an. Sprachlich bleibt Rooney allerdings sehr stark. Ihre kurzen aber prägnanten Sätze und das charakteristische Fehlen von Anführungszeichen funktionieren weiterhin und besonders die Beschreibung einer Dinnerparty zum Ende des Romans bleibt im Gedächtnis. Ein insgesamt starkes Buch, das noch stärker hätte sein können. Für die meisten Rooney-LeserInnen eine gute Mischung aus Altbekanntem und Neuem und für Menschen, denen Rooney sonst zu wenig zugänglich scheint, ist durch die zwischengestreuten E-Mails der Zugang zu den Charakteren vielleicht etwas einfacher.