Beschreibung
Die aus der Ich-Perspektive erzählte Geschichte handelt von einer jungen Frau, die 1970 aus dem Walliser Bergdorf Fiesch nach Genf auswandert. In einer ersten Lehre lernt sie kopieren, berechnen und Kaffee kochen. Nach einem Ferienaufenthalt in Finnland entdeckt sie ihr Interesse für Architektur und findet anschliessend eine Lehrstelle in einem Architekturbüro in Genf. Das soziale Leben der jungen Frau vom Dorf ändert sich in der anonymen Grossstadt radikal. Sie wird mit anderen Lebensformen konfrontiert, lernt die Liebe kennen und sucht ihren eigenen Weg. Die wilden Siebziger Jahre in der Schweiz und wie sie eine junge Frau erlebte, die vom Land in die Grossstadt kam, werden mit Distanz und Leichtfüssigkeit auf beeindruckende Art erzählt.
Autorenportrait
Die Autorin kam 1949 als zweites von fünf Kindern zur Welt. Der Beruf ihres Vaters als Bauingenieur bedingte immer wieder Umzüge, Arbeit fand er vorallem bei Kraftwerksbauten in den Schweizer Bergkantonen. Die Familie lebte im Goms, im Bergell und im Glarnerland. Die Autorin studierte, erwachsen geworden, Psychologie, arbeitete fast vier Jahrzehnte als Psychotherapeutin, hat zwei Kinder. Zum Schreiben kam sie spät zurück, veröffentlichte mehrere Bücher, zuletzt die Biografie eines Schweizer Migranten aus dem 18. Jahrhundert, Christian Cahenzli, im Südostschweizer Buchverlag, Glarus. Seit langem lebt sie mit ihrem Mann in Zürich an der Limmat, schreibt und nimmt an Landwirtschaftsprojekten teil.
Leseprobe
Das Gebimmel des Signals ist verstummt, der kleine rote Zug mit den drei Wagen ist quietschend zum Stehen gekommen. Ich schaue mich um. Vor mir, etwas unterhalb, liegt mein Dorf mit seiner alles überragenden Kirche, hinter mir braungebrannte kleinere Häuser und Ställe. Wie böse Geister kauern sie am steilen Hang, starren auf mich und meinen Koffer aus geflochtenem Bast, der von zwei Lederriemen zusammengehalten wird. Ich packe ihn am Holzgriff, hieve ihn die zwei Stufen hoch auf die Plattform, steige hinterher und verstaue ihn im Gepäcknetz. Dann setze ich mich in Fahrtrichtung hin, betrachte die anderen Passagiere, die ich alle kenne und sie mich. Es sind Arbeiterbauern, die in die Düngemittelfabrik Lonza fahren, um zusätzliches Geld zu verdienen. Noch vor zwanzig Jahren ging niemand in eine Fabrik arbeiten, alle Lebensmittel und einen grossen Teil der Gebrauchsgüter stellten meine Vorfahren selber her, Getreide, Milch und Fleisch, Gemüse, Obst, Wolle, Hanf und Leinen für die Kleider, Leder für die Schuhe. Bloss Salz und Eisenwaren mussten sie kaufen oder tauschen. Heute brauchen wir alle Geld. Wir sind modern geworden. Als der Zug zu ruckeln beginnt, schaue ich zurück, sehe eine Gruppe Kinder mit Taschentüchern winken. Mein jüngerer Bruder Arnold und vier meiner kleinen Schwestern stehen auf dem Kirchplatz vor unserem Elternhaus, das vom Pfarrhaus fast verdeckt wird. In diesem Haus wurden wir alle geboren. Schnell stehe ich auf, ziehe das Fenster herunter, so weit wie möglich, winke zurück. Ich werde sie vermissen, doch die Erleichterung überwiegt. Ich werde mich nicht mehr um sie zu kümmern brauchen. Als das Haus hinter der nächsten Kurve verschwindet, setze ich mich wieder hin. Von nun an schaue ich nur noch nach vorn.