Beschreibung
Das Schuljahr beginnt, und die neue Lehrerin fragt die kleine Mathilde nach dem Beruf ihres Vaters. 'Verschwunden', antwortet sie. Der Vater ist von einer Segeltour auf dem Ärmelkanal nicht zurückgekehrt. Wie kommt die Familie damit zurecht? Mathildes kindlich-groteske Reaktionen bestimmen den Roman. Sie zieht sich in ihren Schrank und in ihre Zahlenmanie zurück und kommuniziert fast nur mit dem älteren Bruder. Der schwänzt die Schule, Mutter Elise schleppt sich in das marode Museum für Porzellan und Silberwaren, in dem sie unter einem schrulligen Chef arbeitet. Melancholie und Tristesse in der langsamen Herstellung eines neuen Gleichgewichts im Leben verbinden sich mit humorvollen, sanft-bissigen, komischen Passagen. Laurence Boissier gelingt es, 'aus dieser Trauergeschichte, die ihr erster Roman ist, ein Buch zu machen, das von Leben vibriert.' (Isabelle Rüf, Le Temps).
Leseprobe
Die Lehrerin, Madame Boquet, geht zu jeder hin und begutachtet die Arbeit. Mathilde, die ins Leere starrt, flüstert sie zu 'bist eine Brave' und legt ihr die Hand aufmunternd auf den Kopf. Lehrer, Schüler, deren Eltern, alle haben plötzlich ihr Verhalten ihr gegenüber geändert. Seit dem VERSCHWINDEN achten sie auf das, was sie sagen. Sie sprechen leise mit ihr, aber ihr wäre es viel lieber, wenn sie ihr ins Ohr brüllten. Die Atmosphäre ist gedämpft wie in einem Sarg. Aber es gibt keinen Sarg, das ist es ja eben. Was das Verschwinden angeht, so ist es wirklich dumm, nur eine einzige Schülerin in der ganzen Schule dafür auszuwählen. Mathilde wäre es recht gewesen, wenn noch ein paar Eltern mehr verschwunden wären, wenn eine Klassenkameradin zu ihr käme und sagte, 'bei mir ist auch jemand verschwunden', oder wenn es sogar einen echten Toten gäbe, aber niemand kommt. Wie organisiert Gott das mit dem Verschwinden? Catherinas Vater, der kümmert sich nicht viel um die Erziehung seiner Tochter, der hätte sehr gut ausgewählt werden können. Mathilde hat sogar gesehen, dass er bei der Abschlussfeier im Juni eingeschlafen war. Oder der von Tania, der ist schon krank. Sie bekommt keine Antwort auf diese Frage, sie bleibt in ihrem Innern stecken. Wegen der Statistik sind die anderen Schülerinnen und Schüler unbekümmert. Wenig Gefahr, dass so etwas noch einmal passiert. Eine Klasse, in der zwei Väter Schlag auf Schlag verschwinden, erscheint unwahrscheinlich. Die Pause lässt auf sich warten. Als die Klingel endlich ertönt, ist die Fläschchenhülle immer noch nur drei Zentimeter hoch. Mathilde versteht nicht, wie sich die Information so schnell hat verbreiten können. Am Morgen des Schulanfangs schienen es alle schon zu wissen. Wer es noch nicht mitgekriegt hatte, wurde schnellstens von den aufgeregten, entsetzten Mitschülern zur Ordnung gerufen.