Beschreibung
Ihre unerklärliche Gabe wird zum Fluch . Das mitreißende Schicksal einer starken jungen Frau. Packende geschichtliche Details und ein Schuss Mittelalter-Mystik - spannend, dicht, atmosphärisch erzählt. Im Schatten der mächtigen Kathedrale von Bourges fristet Marie, die Tochter eines begüterten Tuchhändlers, ein einsames Dasein. Die Kathedrale ist es auch, die sie mit den drei Männern zusammenführt, die ihr Leben aus dem Gleichgewicht bringen werden: König Ludwig IX. stellt sie unter seinen Schutz; doch Bischof Radulfus, der eine krankhafte Leidenschaft für Marie hegt, liefert sie - von ihr zurückgewiesen - der Inquisition aus. Robert, ihrem Geliebten, bleiben nur wenige Tage, um sie vor dem Scheiterhaufen zu bewahren .
Autorenportrait
Hildegard Burri-Bayer wurde 1958 in Düsseldorf geboren. Nach dem Realschulabschluss ließ sie sich zur Dozentin für Museumspädagogik weiterbilden und wurde später Leiterin eines privaten Stadtmuseums für Ausgrabungen. Sie gehört zu den wenigen Menschen, di
Leseprobe
Der Aufruf der stolzen Bürgerschaft von Bourges, im Jahre 1247 des Herrn, verbreitete sich leise flüsternd mit dem Wind bis in die armseligste Behausung der Provinz und löste eine regelrechte Landflucht aus. 'Jeder, der ein Jahr innerhalb unserer Stadtmauern verbringt, ohne dass sein Herr ihn findet und zurückfordert, wird fortan ein freier Bürger sein', lautete die vielversprechende Botschaft der berittenen Stadtboten von Bourges, die so schnell wieder verschwanden, wie sie gekommen waren. Getragen von der stillen Hoffnung auf Freiheit und auf ein menschenwürdiges Leben, folgten einzelne Familien, aber auch ganze Dörfer deren verlockendem Ruf, und immer mehr ausgemergelte und verdreckte Gestalten tauchten mit ihren wenigen Habseligkeiten bepackt vor den Toren der Stadt auf. Die mächtige Steinmauer, die sich, nur von düster aufragenden Wachtürmen unterbrochen, um die Stadt zog, löste die verschiedensten Gefühle in den Menschen aus. Obwohl sie Schutz versprach, wirkte sie abweisend und bedrohlich. Allein die Hoffnung überwand alle Bedenken. Unter den misstrauischen Augen der Stadtwachen schlichen die Menschen geduckt durch die hohen Tore, um wenig später hilflos in einer anonymen, bunt brodelnden Masse aus Menschen und Tieren unterzugehen. Sie waren nicht vorbereitet auf den Lärm und den Gestank, der unvermittelt über sie hereinbrach und ihr schlichtes Gemüt hoffnungslos überforderte. Ergeben ließen sie sich treiben, vorbei an großen Steinhäusern und hübschen Fachwerkhäusern, die allesamt Paläste waren im Vergleich zu den primitiven Katen und Hütten, die sie bisher gekannt hatten. Irgendwann erreichten sie unweigerlich den Vorplatz der Kathedrale. Dort blieben sie unwillkürlich stehen und starrten geschockt zu dem kalten und stolzen Moloch empor, der sich in wahnwitziger Größe vor ihnen erhob und unter dessen Ehrfurcht einflößendem Schatten sie ihr weiteres Leben verbringen würden. Nachdem das letzte Gerüst entfernt worden war, konnte niemand mehr sagen, wie viele Jahre es insgesamt gedauert hatte, um die Kathedrale größer und mächtiger in die Höhe wachsen zu lassen als jedes andere Bauwerk in der Provinz Berry. Bischof Henri de Sully, der zu Ehren des Allmächtigen mit dem gewaltigen Bau begonnen hatte, war schon vor geraumer Zeit in dessen Reich eingegangen und genauso aus dem Gedächtnis der Lebenden verschwunden wie der Schweiß und das Blut mehrerer Generationen von Baumeistern, Handwerkern und Arbeitern, deren Leben allein durch den Bau der Kathedrale bestimmt worden war. Das fünfschiffige, lichtdurchflutete Bauwerk mit seinen unzähligen Pfeilern und Bögen war schlichtweg überwältigend und erschien den Menschen wie ein Wunder, und so kamen jeden Tag mehr Besucher, um es zu bestaunen und zu begaffen. Mochten sie sich im ersten Augenblick im Schatten dieses machtvollen Bauwerkes auch armselig und klein fühlen, letztendlich überwog in ihnen doch stets das triumphale Gefühl, die Schwerkraft überlistet zu haben. Die unermesslichen Waldgebiete, die dem Bau zum Opfer gefallen waren, zählten nicht mehr und auch nicht die vielen menschlichen Dramen, die sich in den vergangenen Jahren rund um die Baustelle herum abgespielt hatten. Obwohl es noch früh am Morgen war, hatte sich bereits eine lange Schlange gottesfürchtiger Menschen vor dem Westflügel gebildet, die geduldig darauf wartete, eingelassen zu werden, um auch das Innere dieses Wunders bestaunen zu können. Die vierzehnjährige Marie, Tochter eines ehrgeizigen Tuchhändlers, hatte an diesem Morgen von ihrer Mutter den Auftrag erhalten, der Bäckerswitwe die übrig gebliebenen Reste einiger Stoffballen zu bringen, aus der sie Kleider für ihre neun Kinder nähen konnte. Die Menschen, die ihr unterwegs begegneten, starrten Marie, deren ungewöhnlich helle, fast schon weiße Haut an jungfräulichen Neuschnee erinnerte, neugierig an. Ihr lockiges, dunkelbraunes Haar fiel ihr offen bis auf die schmale Taille herab und wurde nur am Kopf durch einen schmalen bronzenen Reif gebändigt Leseprobe