Die Nacht des Don Juan

Roman

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442724789
Sprache: Deutsch
Umfang: 384 S.
Format (T/L/B): 2.5 x 18.8 x 11.9 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

An einem Herbstabend des Jahres 1787 kommt Giacomo Casanova auf Einladung des Grafen Pachta nach Prag. Auch Mozart befindet sich in der Stadt an der Moldau. Er bereitet die Uraufführung der Oper aller Opern mit ihrer vollendet schwebenden Musik vor - Don Giovanni. Aber die Arbeit stockt. Der Librettist Lorenzo da Ponte gibt dem Verführer vulgäre, bestenfalls grobe Züge, die Sängerinnen neiden einander jede Arie, und Mozart fehlt die Ruhe, seine Partitur zu beenden; überall wird er von Verehrerinnen verfolgt. Casanova aber bringt den Glanz aus einer großen alten Zeit in die Stadt, er versteht Feste zu feiern, er weiß, über welche Rafinesse und Wortgewandtheit ein wahrer Verführer verfügen müsste. Und er hat es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht, diese Oper zur Vollendung zu bringen - auch wenn er dazu einige höchst irdische Intrigen einfädeln muss. Nach Faustinas Küsse und Im Licht der Lagune hat Ortheil nun das große Finale seiner erotischen Kunst- und Künstler-Trilogie geschrieben. In diesem Roman geht es um Musik und das, was die Musik allein zu gestalten vermag: um Liebe. In einem Wirbel von Geschichten schildert Ortheil, wie eine der bedeutendsten europäischen Opern entstanden ist. Überwältigend zart und klug wie Mozarts Musik entspinnt sich dieses Buch, und obwohl drei Männer das große Wort führen, halten andere darin die Hauptrolle besetzt und führen insgeheim Regie: die Frauen.

Autorenportrait

Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den beliebtesten und meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Thomas-Mann-Preis, dem Nicolas-Born-Preis, dem Stefan-Andres-Preis und dem Hannelore-Greve-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.

Leseprobe

1 In einer Herbstnacht des Jahres 1787 erwachte die junge Anna Maria Gräfin Pachta von einem furchtbaren Traum. Erregt, mit klopfendem Herzen, starrte sie gegen die dunkle Holzdecke des kleinen Zimmers, das sie erst seit einigen Wochen bewohnte. Es war eines der Zimmer des Damenstifts auf dem Hradschin, das die Kaiserin Maria Theresia für ausgewählte Töchter des böhmischen Adels eingerichtet hatte. Anna Maria lag still, angespannt, mit steifen Gliedern, als könnte sie sich nicht mehr bewegen. Sie versuchte den Traum loszuwerden und ihn aus ihren Gedanken zu verdrängen, doch sie spürte am leichten Zittern der Hände, daß sie die Bilder noch immer verfolgten. Langsam stand sie auf, um das Fenster einen Spalt zu öffnen, dann schmiegte sie sich wieder unter die Decke. Oft schon hatte sie so gelegen, tagsüber, mit geschlossenen Augen, den Klängen lauschend, die von der tiefer liegenden Stadt herauf drangen. Die Geräusche und Töne vermißte sie hier oben am meisten. Das elterliche Palais lag mitten im Gewimmel der Häuser, schon am frühen Morgen hatte man dort die Rufe der Händler gehört, das Knirschen der Kutschenräder auf dem Pflaster, die gedämpften Unterhaltungen und die am späten Vormittag in den Straßen und Wirtshäusern einsetzende Musik. Von Stunde zu Stunde hatte die Stadt mehr zu klingen begonnen, ein über den Mittag, wenn die Gaststuben längst gefüllt waren, anschwellendes Orchestrieren, als bliesen und geigten sie alle gegeneinander, bis von den Türmen nahe der Karlsbrücke die Posaunenchoräle erschallten und die Klangwelt der Stadt zudeckten mit den Echolauten ihres Geschmetters. Im Stift aber war es oft so still, daß sie unwillkürlich bei den leisesten Geräuschen erschrak. Im ummauerten Garten des verzweigten Gebäudes fuhr sie zusammen, wenn plötzlich der Strahl eines Springbrunnens hochschoß, in den weiten Korridoren verfolgte sie das rasch verebbende Huschen von Schritten, und in der kleinen Kapelle hörte sie das leise Ticken einer Uhr so deutlich, als befinde sich die Uhr ganz nahe, während alle doch wußten, daß sie in der entfernt liegenden Sakristei stand. Auch die anderen Stiftsdamen hatten ihre Empfindlichkeit bald bemerkt. Sie hatten ihr gut zugeredet und Rücksicht auf sie genommen, doch Anna Maria hatte sich weiter während des Tages bei geöffnetem Fenster auf ihr Bett gelegt, um mit geschlossenen Augen den von der Stadt aufsteigenden Klängen zu lauschen. Manchmal hatte sie sogar geglaubt, das feine Rauschen der Moldau am Wehr nahe der Karlsbrücke zu hören, es war ein summendes hintergründiges Rauschen gewesen, wie aus den Tiefen des Flusses. Jetzt aber gelang dieses Spiel nicht so leicht wie am Tag. Sie hörte nur das weit entfernte Bellen eines einzelnen Hundes, und so stand sie schließlich doch wieder auf, noch immer mit stark klopfendem Herzen. Dort unten lag die Stadt, ja, wie gern wäre sie jetzt die breite Stiege hinuntergelaufen, um durch die Gassen zu gehen, sie wäre zu sich gekommen und sie hätte die schändlichen Bilder nicht so nahe gespürt. Der breite, silbern glänzende Fluß, auf dem sich der Mondschein wiegte, war gut zu erkennen, kleine Fackeln schwirrten über die Karlsbrücke. Ihr Atem ging noch immer rasch, als wäre sie eine große Strecke gelaufen, sie wischte sich mit der rechten Hand über die Stirn. Sofort spürte sie den kalten, sich an den Haarenden ablagernden Schweiß, die feuchten Fingerkuppen waren so klebrig, als wäre die Feuchtigkeit Blut. Sie preßte die Finger gegen die Schläfen, doch während sie noch auf das nächtliche Stadtbild starrte, tanzten die Traumszenen wieder verstärkt vor ihren Augen. In Gedanken hing sie noch an der Vergangenheit im elterlichen Palais, sie konnte sich von den Klängen und Bildern dort so schnell nicht befreien, obwohl ihr die meisten der dreißig Stiftsdamen zur Seite standen und ihr die Eingliederung in das neue Leben, das jeden Morgen gegen sieben Uhr mit der Frühmesse begann, so leicht wie möglich machten. Ihre Mutter war vor drei Jahren gestorben, die größ Leseprobe