Mein Stifter

Portrait eines Selbstmörders in spe

Auch erhältlich als:
8,00 €
(inkl. MwSt.)
In den Warenkorb

Nicht lieferbar

Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442735075
Sprache: Deutsch
Umfang: 197 S.
Format (T/L/B): 1.7 x 18.8 x 12 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Arnold Stadlers Liebeserklärung an einen großen Erzähler des 19. Jahrhunderts "Es war einmal einer, der unglaublich dick war ." Lakonisch und doch voller Bewunderung nähert sich Arnold Stadler "seinem Stifter". Er tut dies auf ganz eigene Weise: als Leser, als Besucher von Stifters Orten, vor allem aber als Liebhaber. Denn für Büchner-Preisträger Stadler war Adalbert Stifter prägend, seit er dreizehnjährig dessen "Nachsommer" las - fasziniert von dem Blick hinter die Abgründe der vermeintlich heilen Welt. "Mein Stifter" ist nicht einfach nur Biographie, sondern Hinführung, Hommage und Vergegenwärtigung.

Leseprobe

Ich möchte und muß vorausschicken, daß dies keine wissenschaftliche Abhandlung zu Stifter ist, sondern das Zeichen einer persönlichen Anhänglichkeit. Ich möchte und sollte also nicht gemessen werden an anderen, wie manchmal noch gesagt wird: bedeutenden Veröffentlichungen zu Stifter. Dies ist kein Sachbuch, sondern eine - vielleicht sonderbare - Liebeserklärung. Es ist zudem eine Vergegenwärtigung, eine Erinnerung an das erste Mal, an die erste Begegnung mit Stifter vor nun bald vierzig Jahren und an die gemeinsame Zeit seither; ein Souvenir aus meinen frühen Tagen und an die Jahre mit Stifter und seinen Büchern, also auch ein Stück der Biographie eines Lesers (meiner Autobiographie als Leser). Ich habe mich nur mit Person, Leben und Nachsommer befaßt -es ist mir auf diesem beschränkten Raum nicht möglich, den ganzen Stifter zu vergegenwärtigen, wohl aber das Ganze im Fragment - etwas anderes wird auch niemand erwarten, der Stifter schon etwas kennt. Es ist ein Vergegenwärtigungsversuch von einem, der selbst schreibt, Romane und so weiter. Der Versuch einer Liebeserklärung, ein Essay. Stifter hat im Nachsommer dem Traum vom Glück ein Denkmal gesetzt. Er wollte auch nichts anderes als endlich leben, in einer Zeit, als es eigentlich schon zu spät war. Der Nachsommer ist Stifters Buch der Sehnsucht. Eine Utopie in Raum und Zeit. An diesem Traum entlang ist mein Essay geschrieben. Die Vergangenheit ist heute mein Heimweh, so wie damals die Sehnsucht meine Zukunft war Arnold Stadler, Sehnsucht. Versuch über das erste Mal Einleitung Die Photographien Die Photographien aus den Zeiten von Sechs oder mehr Forellen als Vorspeise. Und doch: ein Blick mit dem Selbstmord im Genick Es war einmal einer, der unglaublich dick war, als hätte er alles verfressen. Er kam in einem Treppenhaus sehr schwerfällig von oben herunter und hatte eine Frau dabei. Sie schauten ganz appetitlos in die Welt und waren trotzdem unterwegs zu einem Festessen. Von unten kam ein von weither angereister Verehrer des Dichters Adalbert Stifter und stieß auf die beiden. Können Sie mir sagen, wo es zu Stifter geht? fragte der Mann, der nicht weiter stören wollte. Stifter? - C'est moi! Hätte der sagen können oder müssen: Das bin ich! Angesichts dieser zwei Menschen, wegen des einen noch etwas mehr als wegen der anderen, verschlug es dem von weither angereisten Verehrer die Sprache, als wäre er gerade auf den Betrug seines Lebens gestoßen. Ich habe keine Zeit - kommen Sie morgen. Doch der Mann reiste ab und hat diesen Anblick bis heute nicht verwunden. Das ist ein Mensch, der erscheint in einer Fülle, als hätte er zu gut gelebt. Welches der schlimmste Vorwurf beim Blick eines Arztes auf die Blutwerte ist. Doch tatsächlich: Es war ein schwieriges, von Gläubigern bedrängtes Dasein (Urban Roedl). Eigentlich genügten die Augen, um zu sehen, was da vorlag: beim dicken Stifter. Damals nahm man das Photographiertwerden noch ernst. Es war fürs Leben. So standen die Leute auch bei uns noch in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, gleichsam als Übriggebliebene und Kinder von Übriggebliebenen mit ihrer Vergangenheit im Gesicht und einer ernsten Gegenwart für eine fernere Zukunft, mit ihrem Es wird a Wein sein - mir werden nimmer sein im Gesicht. Aber es gab auch schon Marlene Dietrich, die sich zuletzt in abgedunkelten Räumen in der Avenue Montaigne in Paris versteckte und die Welt ganz am Ende, als sie nicht mehr photographierbar war, wissen ließ: I have been photographed to death - Sie liebte es wohl, so festgehalten zu werden, wie sie nicht war und aussah. Eine Schauspielerin des Lebens. Was ist das für eine Welt! - in der ich leben muß. Man liefert mir mit dem Weltraumteleskop Aufnahmen von der Oberfläche des Mars, und nach neunjährigem Flug hat unsere Sonde den Saturn erreicht und wird bald von den Ringen die neuesten Daten liefern. Aber was fett macht, ist immer noch Ansichtssache. Kein Mensch und kein Wissenschaftler - die sogen Leseprobe