Beschreibung
Spätestens seit Beginn der zwanziger Jahre laufen die meisten Texte Thomas Manns auf Begriffskompositionen der Lebens- und Menschenfreundlichkeit zu. Die neuere Forschung hat diesen Aspekt ausgeklammert. Thomas Manns Werk wurde als Metaphysik in den Spuren Schopenhauers gelesen; mit der überstrapazierten Narzissmuspsychologie erschien der alte Vorwurf der "Kälte" in zeitgemäßem Gewand. Die Korrektur dieser Rezeption war überfällig. Kaum ein anderer Autor hat eine solche Fülle plastischer Gestalten und einprägsamer Portraits geschaffen, und oft ist gerade die "Gehässigkeit" in der Figurendarstellung beklagt worden. Wie Thomas Mann allmählich den lebensfreundlicheren Ton, wie er eine komplexere Gestaltung und einen geduldigeren Umgang mit menschlichen Unzulänglichkeiten und Mittelmäßigkeiten durchsetzt, verfolgt die Studie sowohl im Detail der Texte als auch im souveränen Blick auf das Gesamtwerk. Neben den raumgreifenden Helden werden insbesondere die bislang kaum beachteten Nebenrollen Gegenstand der Untersuchung. Aufmerksamkeit gilt dabei dem zwischen Faszination und Widerwillen wechselnden Verhältnis zum menschlichen Körper und der Vielfalt komischer Wirkungen, für die die Figurendarstellung Ansatzpunkt ist. So erschließt die Arbeit Hauptwerke wie den scheinbar gründlich ausgelesenen "Zauberberg" und die "Josephs"-Tetralogie aus neuer Perspektive. Die oft bezweifelte politische "Wandlung" wird in diesem Zusammenhang wieder ernst genommen - als Verantwortungsethik, die Kunst und Politik zu trennen lernt. Vor allem aber wird der Erzählreichtum Thomas Manns zurückgewonnen.