Beschreibung
Die Rezeption der amerikanischen Künstlerin Eva Hesse (1936-1970) ist beispielhaft für den Prozess von Mythenbildung in der Kunstgeschichte des 20. Jh. Sie wird als Überwinderin der Minimal Art und Bewahrerin des Humanen gesehen. Tietenberg bietet alternative Lesarten an, die Hesses Kunst neu deuten. Mit Anfang Dreißig hatte Eva Hesse erreicht, wovon die meisten Künstlerinnen und Künstler träumen: Sie war extrem erfolgreich. Ein produktives Künstlerleben mit Aussicht auf Anerkennung und finanzielle Unabhängigkeit standen ihr bevor, hätte nicht eine unheilbare Krankheit ihrem Schaffen im Alter von 34 Jahren jäh ein Ende gesetzt. Postum stieg Eva Hesse in den Rang einer Heroine der New Yorker Avantgarde auf - um den Preis, als 'exemplarisch Leidende' zu figurieren. In den kunstkritischen und kunsthistorischen Kommentaren herrscht eine Terminologie des Leidens, der Krankheit und des Todes vor. Dagegen fanden Hesses Experimentierlust, ihr humorvoller Umgang mit Sprache und Materialien sowie ihre Vorliebe für veränderbare Situationen und partizipatorische Produktionsformen kaum Berücksichtigung. Tietenberg kann zeigen, dass eine Rezeption, die auf Gegensatzpaare fixiert ist, um Geschlechterzugehörigkeit zu markieren, der Mythenbildung Vorschub leistet. Sie unterzieht die Texte, die im Laufe von vier Jahrzehnten zum Leben und Werk Eva Hesses veröffentlicht wurden, einer kritischen Relektüre und macht sichtbar, auf welche Stereotype Autoren und Autorinnen zurückgegriffen haben, um das Werk der Künstlerin als ein spezifisch 'weibliches' zu kennzeichnen. Es ist ihr gelungen, ein enormes Konvolut an Texten so gut zu strukturieren, dass die unterschiedlichen Problematiken des Umgangs mit dem Werk klar hervortreten. Tietenberg gelingt es, den Mythos Eva Hesse zu dekonstruieren und den Blick auf die Arbeiten der Künstlerin wieder frei zu machen. [Kerstin Skrobanek, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 2]
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