Beschreibung
Mit seinem Debütroman "Der geköpfte Hahn" hat der in Siebenbürgen lebende Eginald Schlattner Kritik wie Leser begeistert. In seinem zweiten Buch zeichnet er den Weg eines Menschen nach, der sich auf der falschen Seite wiederfindet: "Rote Handschuhe" ist eine beharrliche Selbsterforschung, ein Dokument einer dunklen Zeit und ein großer Roman.
Autorenportrait
Eginald Schlattner, 1933 in Arad am westlichen Rand Rumäniens geboren, wuchs in Fogarasch am Fuße der Kapaten auf und studierte bis zu seiner Relegation evangelische Theologie in Klausenburg, anschließend Mathematik und Hydrologie. 1957 wurde er verhaftet und 1959 wegen Nichtanzeige von Hochverrat verurteilt. Nach der Entlassung arbeitete er erst als Tagelöhner in einer Ziegelfabrik und später als Ingenieur. 1973 nahm Schlattner noch einmal das theologische Studium auf und ist seit 1978 Pfarrer in Rosia (Rothberg) bei Hermannstadt. Bücher: Der geköpfte Hahn (1998), Rote Handschuhe (2001), Das Klavier im Nebel (2005). 2021 wurde ihm das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.
Leseprobe
Der kleine Mann steht hinten in der Zelle mit dem Rücken zu mir. In der Düsternis ist er kaum auszumachen. Seine Kleider muten altmodisch an. Er reicht mir die Hand, sagt leise: "Grüß Gott! Mein Name ist Rosmarin", und tippt an die verwaschene Baskenmütze, "Anton Rosmarin aus Temesvar." Er verbeugt sich. "Sagen Sie mir nicht, seit wann Sie hier sind. Ich halte es keine Stunde mehr aus." Als ich mich aufs Bett strecke, stelle ich am Strohsack fest, daß es eine andere Zelle ist als die von heute nacht. "Liegen darfst nicht", sagt er sanftmütig. "Die müssen mich rauslassen. Es ist ein Mißverständnis." "Das glaubt im Anfang jeder Teifi", flüstert er. "Jetzt aber tu aufstehn. Wenn der draußen dir sieht liegen, bestraft er dir, du wirst stehn in der Ecken auf einem Fuß: Storch heißt das. Ich kenn mich aus beim Wurschtkessel. Seit sechs Jahren bin ich hier." "Seit sechs Jahren! Wo, hier? In diesem Loch?" "Hier in dieser Stuben nur seit sieben Monate. Aber allein." Ich ziehe den Mantel über mein Gesicht und sage weinerlich aus dem Halbdunkel: "Ich will nichts wissen. Nicht seit wann. Nicht warum. Nichts, gar nichts. Verschonen Sie mich gefälligst." Er schiebt den Mantel von meinem Gesicht weg, sagt: "Aber bald bin ich frei, die letzten zwei Jahr schenken's mir. Wenn ich tu kommen nach Haus", er schluckt, wischt den Speichel von den Lippen, das einzig Glänzende in seinem fahlen Gesicht, "dann tritt ich in die Kuchel, dann sag ich: Mitzi, sag ich, da bin ich, jetzt will ich essen, essen will ich brânza? mit Zwiefel!" Dabei zerhackt er mit der rechten Hand die Luft. "So will ich die Zwiefel! Geschnitten finom. Und den Käs will ich in Stückerln. Und nachher erst tu ich fragen: Wo sein die Kinder? Die Emma und der Toni? Die erkennen mir sowieso nicht. Und dann leg ich die Mitzi überm Kucheltisch aufs Nudelbrett, und dann tut's scheppern!" Pause. Er flüstert: "Meiner Seel, Sie sein ein rarer Vogel. Der gardian hat geglotzt herein, lange, und hat nichts krakeelt." "Woher wissen Sie das? Sie stehen ja mit dem Rücken zur Tür." "Ich hab's gehört mit meine Ohren. Du aber, was hast ausgefressen?" "Nichts, gar nichts!" "Tja", sagt er, "das glaubt jeder von sich selber, daß er ist unschuldig wie ein Mädchen, bevor sie in den Beichtstuhl kriecht. Auch ein Spion wie ich tut so glauben." Spion! Bis zur Stunde ein Fabelwesen in Romanen und Filmen, dem unsereiner nie Gefahr lief, leibhaftig zu begegnen. Nun steht er vor mir, zwar unansehnlich und bar jeder Glorie oder Dämonie, aber wirklich und wahr. Ich beteuere: "Nichts habe ich mir zuschulden kommen lassen! Rein gar nichts. Wenngleich ich ein Siebenbürger Sachse bin, bin ich doch für den Sozialismus." Und sage noch vieles, die Worte überschlagen sich, als wollte ich im Nu Realitäten schaffen. "So ist es, bei der Securitate sein's alle kommunistischer als der Papst. Hier wirft jeder seine Vergangenheit ab wie die Eidechs ihren Schwanz, wenn man drauf tut treten." Außerdem sei ich krank, leide an einer Art Entzündung der Seele. Zwangsideen überfielen mich wie Fieberschübe. "Dies hier ist pures Gift für mich, nicht zum Aushalten! Enge und düstere Räume haben die Ärzte ausdrücklich verboten." "Keiner tut es hier aushalten", sagt Rosmarin, "es ist Gift für jeden. Auch mir haben die Ärzte verboten, eingesperrt zu gehn. Und seit damals tut meine Seele verbrennen im Feuer." "Viel Bewegung auf weiten Wiesen", ich starre auf die weiße Wand, "das hat man mir empfohlen. Wiesen mit Gänseblümchen und Himmelschlüssel, mit Tannenwäldern, Höhenrauschen. Ja keine Konfliktsituationen. Und überhaupt, im Grunde genommen hab