Meine deutsche Mutter

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783570006894
Sprache: Deutsch
Umfang: 478 S.
Format (T/L/B): 4.2 x 22.3 x 14.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Eine rückhaltlose Auseinandersetzung mit der eigenen Mutter. Niklas Frank wurde mit einem gnadenlosen Porträt seines Vaters bekannt. Jetzt erzählt er das Leben seiner Mutter, der "Königin von Polen". Brigitte Herbst wurde 1895 in bescheidene Verhältnisse geboren. Schon früh erwachte in der Sekretärin ein brennender Ehrgeiz, es ganz nach oben zu schaffen. Und ganz oben, das war sie an der Seite des fünf Jahre jüngeren Hans Frank, der als Hitlers Verteidiger während der "Kampfzeit" begann, 1933 zum Reichsminister und nach Kriegsbeginn 1939 zum "Generalgouverneur" von Polen aufstieg. Eiskalt schaffte es Brigitte, den schwachen, aber aussichtsreichen Bewunderer Hitlers an sich zu binden. Ihr Lebenshunger ließ sie rücksichtslos wie Millionen anderer deutscher Frauen das "Wonneproppenreich " genießen. Sie handelte mit Pelzen und gestohlenem Schmuck, bereicherte sich schamlos in Gettos, leistete sich zahllose Affären - und wer ihr in die Quere kam, sah sich plötzlich bei SS-Chef Himmler als Jude verdächtigt. Nachdem Hans Frank - der noch in der Nürnberger Zelle Angst vor seiner Brigitte hatte - hingerichtet worden war, half Kardinal Faulhaber der Witwe über die ersten Hungerjahre hinweg. Später feierte Brigitte Frank mit anderen, gleichfalls verhafteten "Hohen Frauen" wie Emmy Göring oder Ilse Heß im Internierungslager Augsburg-Göggingen die gute alte Zeit, ohne dass sie angesichts der Verbrechen ihres Mannes je Reue geäußert hätte. Für ihren Sohn hatte die Mutter am Ende ihres Lebens nur ein verächtliches Achselzucken übrig. Brigitte Frank starb verarmt mit 64 Jahren. Eine Biografie, schonungslos und so schmerzlich wie die Erinnerung. Aus Briefen, Dokumenten, Tagebüchern und eigenen Erinnerungen zeichnet Niklas Frank das Bild einer deutschen Mutter, die wie Millionen anderer deutscher Frauen rücksichtslos das "Dritte Reich" genossen hat. "Ein schauriges Stück deutscher Geschichte, geschrieben aus Verzweiflung an den Eltern." Süddeutsche Zeitung "Ein Buch, das einem das Blut in den Adern gefrieren lässt und das gleichzeitig das Dokument des Schmerzes eines Sohnes ist, der seine Mutter gern geliebt hätte und doch nur Hass empfinden kann." Brigitte "Mit dem Buch klagt Niklas Frank nicht nur seine Mutter an, sondern alle "süßen furchtbaren Omas", die als Töchter, Ehefrauen und Mütter während der NS-Herrschaft "wie Fettaugen auf dem Leid der Geknechteten" schwammen und ihre Männer moralisch unbedingt unterstützten. Seine Biografie ist ein Pamphlet gegen das spätere Schweigen und stille Selbstmitleid dieser Frauen, die nunmehr kollektiv als Opfer von Bombenkrieg und Vertreibung wahrgenommen werden." Berliner Zeitung

Autorenportrait

Niklas Frank, geboren 1939, Sohn des von Hitler als "Generalgouverneur" von Polen eingesetzten Hans Frank, der im Nürnberger Prozess wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt und hingerichtet wird, wuchs im bayerischen Neuhaus am Schliersee und in Krakau auf. Er arbeitete mehr als zwei Jahrzehnte als Reporter und Autor beim "stern". In jahrelanger Arbeit hat er das Leben seiner Eltern rekonstruiert. Seine 1987 erschienene Abrechnung "Mein Vater" sorgte für großes Aufsehen.

Leseprobe

Als Prolog ein Gnadenmord Am 9. März 1959 liegt sie schon drei Wochen in der II. Klinik der Münchener Universität. Ziemssenstraße. In einem Einzelzimmer. Weiß der Himmel, wie sie das wieder geschafft hat. Vermutlich ein alter Nazi in der Verwaltung. Vierundsechzig Jahre ist Brigitte Maria Frank alt. Der Befund: Herzschwäche nach Herzinfarkt, Wasser in den Beinen, zu fett. Doppelkinn. Flaumiger Damenbart. Als ich leise die Tür aufmache, sind ihre Augen geschlossen. Ihre Lippen blutrot. 'Heute kommt mein Kleiner, er hat gerade Abitur gemacht und feiert mit mir seinen zwanzigsten Geburtstag, da muss ich mich schön machen', hat sie zu der Schwester gesagt und sich mit viel zu viel Lippenstift geschminkt. Ein Leben lang hat sie es nicht geschafft, dezent zu sein. Weshalb aus bleichem Laken auch ihre Wangen rosig leuchten: zu viel Puder. Ach Mutter! Und die Augenbrauen so schwarz - kleine Brösel vom Stift sind auf ihren Lidern. Vermutlich hat sie sich zu meinen Ehren auch die Hühneraugen beschnitten. Am Wohnzimmertisch schnippelte sie mit einer Rasierklinge stets so lange daran herum, bis die roten Bolleriche bluteten. Dann lachte sie, sagte: 'Wieder zu tief! Dass ich nicht lerne, früh genug aufzuhören!', und verband sich geübt die tropfende Zehe. Auf dem einzigen Stuhl liegen ihre Handtasche und ein seidener Morgenmantel. Relikt aus Krakaus Getto. Geschickt von ihr drapiert: Ich muss mich zu ihr aufs Bett setzen. Sie wacht auf, sieht mich an, zieht mich mit einem listigen Lächeln zu ihrem Mund, spitzt die Lippen. Ich küsse. Hoffentlich verlangt sie nicht den Nachttopf. Ich habe das nach 1945 ein paar Mal erlebt, wenn ich bei Verwandten oder 'Freunden des Generalgouvernements' mit ihr in einem Bett schlafen musste. Nie nahm sie Rücksicht auf meine empfindsamen Kinderohren, ließ hockend einen starken Strahl ins Geschirr plätschern, schob es danach wieder unters Bett. Ich hielt mir die Ohren zu. 'Na, mein Kleiner, war es schlimm?' Sie meint den Kuss, was mich giftet. Immer durchschaut sie meine Verklemmungen. 'Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag. Deine Geschenke bekommst du, wenn ich wieder gesund bin.' Sie riecht betäubend nach Parfüm. 'Krieg ich die Zither?' 'Ach, mein Kleiner, du mit deiner Zither! Zum Abitur so ein Gezirps? Denk doch an Vati.' 'Du meinst sein Harmonium? Das steht noch immer in der Neuhauser Leonhardikirche. Das gehört jetzt der katholischen Kirche.' Mutter stützt sich hoch. Wenn sie wütend wird, kann ich sie besser leiden. 'Wenn Kardinal Faulhaber noch leben würde, hätten wir das Ding schon längst wieder! Diese verflixten Neuhauser Plünderer!' Sie fasst sich ans Herz. Ihre Brüste unter dem Nachthemd bilden einen riesigen flach gewalkten Pudding. Sie deutet mit der anderen Hand auf den Nachtkasten. 'Da sind meine Tabletten drin.' Ich zieh die Schublade auf. Unter ihrem schwarzen Notizbuch liegen in einer kleinen offenen Blechschachtel mehrere weiße Pillen. Teilweise geviertelt. 'Gib mir zwei Viertel.' Ich fummle sie heraus, will ein Glas Wasser holen. 'Lass mal, Kleiner, die schlucke ich so.' Mutter nimmt mir die weißen Stückchen aus der Hand. Sie hat dickere Finger als letztes Weihnachten. Sie schluckt die Tabletten, einfach so. 'Ich könnte das nie ohne Wasser!', sage ich bewundernd. Wieder schaut sie mich mit einem Blick an, den ich als verächtlich beschreiben würde. Vielleicht - aber das mag nachgetragene Sehnsucht sein - vermischt mit einem Quäntchen Zuneigung. Sie beugt sich über die offene Schublade, nimmt die Blechschachtel heraus. 'Professor Bodechtel sagt, ich darf höchstens eine halbe Tablette pro Tag nehmen. Die hab ich gesammelt. Weil ich jetzt, wo du da bist, ganz schnell gesund werden will.' 'Das wär schön', sage ich, aber ich fürchte mich. 'Du musst jetzt wie Vati Jura studieren. Damit auch aus dir was Großes wird. Dann kannst du endlich unser gestohlenes Eigentum vom bayerischen St ...