Beschreibung
Die Reichen berauben, den Armen geben - Piraten- und Seeräuber-Geschichten faszinieren bis heute. Klaus Störtebeker (vermutlich 1360-1401) gehört zu den berühmtesten Seeräubern in der deutschen Geschichte. Als "Robin Hood" der Meere wird er seit dem 19. Jahrhundert romantisch verklärt. Matthias Puhle erzählt die sagenumwobene Geschichte von Klaus Störtebeker und den Vitalienbrüdern, die Ende des 14. Jahrhunderts einen gnadenlosen Kaperkrieg auf Ost- und Nordsee führten. Er macht gegenüber aller Legendenbildung die historisch verbürgten Gegebenheiten geltend und fragt nach den Gründen, die Störtebeker zu seiner posthumen Karriere verhalfen.
Autorenportrait
InhaltsangabeInhalt Einführung
Leseprobe
In Tratzigers Chronica der Stadt Hamburg steht zum Jahr 1402 u.a. folgende Notiz: "Im nächsten Jahr, da schrieb man 1402, gerieten die Englandfahrer bei Helgoland an etliche Vitalienbrüder, die in der Westsee noch raubten. Derselben Hauptleute waren: Clawes Stortebeker und einer mit Namen Wichman. Die Hamburger griffen die Seeräuber an und erschlugen 40 von ihnen, etwa 70 wurden gefangen und gen Hamburg geführt, wo die geköpft wurden und bekamen, was sie verdienten. Nicht lang danach in demselben Jahr fingen die Hamburger noch 80 Vitalienbrüder mit ihren Hauptleuten Godeken Michael und Wigbolden, welcher war ein promovierter Magister in den freien Künsten. Sie wurden alle gen Hamburg geführt, daselbst enthauptet und ihre Häupter auf das Brok zu den anderen gesetzt." Conrad Tratziger war Professor der Rechte in Rostock, später Syndikus in Hamburg. Der Text entstand um 1560, also rund eineinhalb Jahrhunderte nach den beschriebenen Ereignissen. Was Tratziger in seiner Chronik so nüchtern schildert, hat die Phantasie vieler Generationen bis in die Gegenwart beflügelt: der Sieg der Hanse über den "gefährlichsten" aller Seeräuber, Klaus Störtebeker. Die Mythen und Legendenbildung um Störtebeker begann zögernd bereits im 15. Jahrhundert, und vom 16. Jahrhundert an bemächtigte sich die Volkssage unaufhaltsam dieses Stoffes. Da das "kollektive historische Bewußtsein" sich nach ganz eigenen Gesetzen herausbildet und sich nur selten an den objektiv feststellbaren historischen Tatsachen orientiert, ist die Person Störtebekers zu der renommiertesten Persönlichkeit aufgestiegen, die in den hansischen Rahmen zu stellen ist. Die Geschichte der Hanse ist arm an überragenden Persönlichkeiten, denn es ist hauptsächlich eine Geschichte von Städten und genossenschaftlich vereinten Kaufleuten und Handwerkern. Fast immer steht das Handeln von Gruppen und ganz selten die Entscheidung einzelner im Vordergrund. So füllt Störtebeker diese Lücke durch seine schillernde und mit Abenteuern verknüpfte Person. Warum gerade er zu großer Prominenz gelangt ist und nicht andere Hauptleute der Vitalienbrüder wie die Seeräuber in Nord und Ostsee um 1400 genannt wurden , deren Bedeutung mindestens ebenso hoch oder sogar höher einzuschätzen ist, gehört zu den unenthüllbaren Geheimnissen um seine Person. Die häufig gestellte Frage nach der tatsächlichen Existenz Störtebekers ist dagegen klar zu beantworten. Er hat gelebt, er war einer der Hauptleute der Vitalienbrüder, und er ist von einer Hamburger Flotte besiegt und in Hamburg hingerichtet worden. Die schriftlichen Quellen, die über ihn berichten, vor allem Chroniken des 15. und 16. Jahrhunderts und eine englische Klageakte aus den Jahren 1394 bis 1399 über angeblich von der Hanse zugefügten Schaden, gelten in ihren Hauptaussagen als zuverlässig. Hamburger Schriftquellen aus diesen Jahren sind äußerst spärlich wegen der beträchtlichen Archivverluste aus dem großen Hamburger Stadtbrand von 1842. Immerhin sind die Hamburger Kämmereirechnungen aus dieser Zeit erhalten, und die weisen Ausgaben für die Kriegsführung gegen die Vitalienbrüder aus und berichten auch von der Hinrichtung von 73 "personas Vitalienses". Der Name Störtebeker fällt hier nicht, dagegen mehrfach der Name Godeke Michels. Auch die Hanserezesse, die Berichte und Korrespondenzen zu den Hansetagen, also die zentralen hansischen Schriftquellen, erwähnen den Namen Störtebeker nicht. Das besagt aber nicht, daß es die Person nicht gegeben habe, sondern daß möglicherweise Godeke Michels von Hamburg und anderen Hansestädten als der bedeutendste Anführer der Vitalienbrüder angesehen wurde - eine These, die in der Forschung weit verbreitet ist und weitere Beachtung verdient. Die Nachrichten über die Vitalienbrüder aus verschiedenen Schriftquellen aus der Zeit um 1400 und den nachfolgenden Jahrzehnten stützen sich, von einigen kleinen Abweichungen abgesehen, gegenseitig ab und vermitteln ein recht genaues und historisch abgesichertes Bild vom Ende der berühmten Seeräuber Klaus Störtebeker und Godeke Michels. Schwieriger wird es, wenn man den Weg der beiden und ihrer "Komplizen", so werden sie in den Hamburger Kämmereirechnungen genannt, bis zu ihrem Ende nachvollziehen will. Denn die historisch zuverlässigen Quellen sind doch eher spärlich und oft von nur geringem Aussagewert. Ganz unmöglich ist es, ein auch nur in Ansätzen erkennbares Persönlichkeitsprofil der beiden zu gewinnen. "Selbstzeugnisse der Vitalienbrüder fehlen nicht zuletzt wegen ihrer dauernden Mobilität und Segregation völlig." Sämtliche Störtebeker und Michels zugeschriebenen Charaktereigenschaften sind die Produkte einer fast unüberschaubar gewordenen Legendenbildung. So muß bei allen Quellen, die man für dieses Thema heranzieht, überprüft werden, ob sie der Geschichte näher stehen oder der Sage. Nur bei strikter Trennung von Wirklichkeit und Legende läßt sich ein einigermaßen zuverlässiges Bild von der Geschichte der Seeräuber der Hansezeit gewinnen. Die Lücken, die aufgrund fehlender Schrift- und Sachquellen nicht gefüllt werden können, dürfen auf keinen Fall nachdichtend überspielt werden - es sei denn, man wolle sich an der Legendenbildung beteiligen. Wir müssen uns damit abfinden, daß viele brennende Fragen im Zusammenhang mit dieser Problematik nicht oder nur annäherungsweise beantwortet werden können. Nach kurzer Einführung in die Vorgeschichte zwischen 1375 und 1389 stelle ich in den Kapiteln zwei bis sechs die Entstehung der Vitalienbrüder vor dem Hintergrund der politischen Vorgänge im Ostseeraum zwischen 1389 und 1395, ihre Herrschaft über dieses Meer von 1395 bis 1398, ihre Vertreibung und ihr Ausweichen in den Nordseeraum zu den ostfriesischen Häuptlingen und schließlich das Ende ihrer prominentesten Anführer Klaus Störtebeker und Godeke Michels in den Jahren 1400 und 1401 dar. Das siebente Kapitel faßt alles zusammen, was von den Vitalienbrüder sowie von Klaus Störtebeker und Godeke Michels historisch überliefert ist, während ich im achten und letzten Kapitel die Legenden um diese beiden Gestalten behandele und sie in ihrer Entwicklung vom 15. bis ins 20. Jahrhundert verfolge.