Black Box Berufung

eBook - Strategien auf dem Weg zur Professur

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593434834
Sprache: Deutsch
Umfang: 358 S., 13.25 MB
Auflage: 2. Auflage 2016
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Format: PDF
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

Wer sich für Wissenschaft als Beruf entscheidet, muss sich dem Auswahlprozess um die Professuren stellen. Der Konkurrenzdruck ist groß und trotz vorhandener gesetzlicher Regeln sind die Verfahren für Bewerberinnen und Bewerber meist undurchschaubar: Berufungsverfahren gleichen daher einer Black Box, sind sie doch Anlass für vielerlei Spekulationen und Projektionen. Das Buch erläutert die Abläufe und Anforderungen, von der Ausschreibung über die Arbeit von Auswahlkommissionen, von der schriftlichen Bewerbung über das "Vorsingen" bis hin zur Berufungsverhandlung und zur Besoldung. Auch über Berufungsverfahren im Ausland klären die Autorinnen auf. Darüber hinaus werfen sie einen Blick hinter die Kulissen des Prozesses. Sie zeigen, was Frauen beachten müssen und wie die Entmystifizierung einiger besonders hoch erscheinender Hürden gelingt.

Autorenportrait

Christine Färber ist Professorin für empirische Sozialforschung an der HAW Hamburg. Sie führt Berufungstrainings durch. Ute Riedler ist Universitätsrätin an der Kunstuniversität Graz sowie Kommunikations- und Karriereberaterin für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Leseprobe

Vorwort zur zweiten Auflage
Fünf Jahre Black Box sind ein Meilenstein. Da im Wissenschaftssystem Informationen schnell veralten, haben wir Black Box Berufung für die zweite Auflage vollständig überarbeitet und aktualisiert. Sehr hilfreich waren dabei für uns Rückmeldungen von Leserinnen und Lesern, die mit weiteren Fragen und mit interessanten Geschichten über ihre Erlebnisse in Berufungsverfahren auf uns zukamen. Dafür bedanken wir uns herzlich. Wir haben Black Box nicht nur aktualisiert, sondern auch um wesentliche Abschnitte erweitert: Die wichtigste Neuerung ist die Ergänzung zum Thema Bewerbungen auf Professuren im Ausland (Abschnitt 1.9). Wir blicken genauer auf Bewerbungen in den USA, in Großbritannien und Frankreich - betrachten auch die internationalen Verdienstmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang haben wir uns in der englischsprachigen Berufungsratgeberwelt umgesehen und einige Schätze zutage gefördert, die uns beim Lesen Freude gemacht haben und die wir weiterempfehlen möchten. Wir danken Frau Professorin Dr. Fridrun Rinner von der Universität Aix-Marseille und Frau Professorin Dr. Elisabeth Gross von der Universität Metz für ihre Erläuterungen zum Berufungsverfahren in Frankreich.
Black Box beleuchtet nun außerdem die Karriereplanung und Bewerbung von Zwei-Karriere-Paaren in der Wissenschaft im neuen Abschnitt 3.7, denn zu diesem Thema entstanden in den vergangenen Jahren hochinteressante Publikationen; wir vertiefen diesen Bereich auch im Kapitel zu Berufungsverhandlungen. Zudem betrachten wird den Bereich Mentoring und Training intensiver (Abschnitt 2.4). Die Black Box als mobile und immer greifbare Mentorin wird so um wichtige Informationen zu Förderinstrumenten reicher.
Gespannt verfolgen wir das Projekt zur Leistungsbewertung in Berufungsverfahren - Traditionswandel in der akademischen Personalselektion (LiBerTas) in Deutschland und danken Bernd Kleimann und seinem Team vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) für die Möglichkeit, hier Vorabergebnisse präsentieren zu dürfen. Wir hoffen, dass das Projekt mehr Licht in die Black Box Berufung bringen wird.
Besonders freuen wir uns darüber, dass Frauen in Berufungsverfahren immer erfolgreicher werden: In der Schweiz sind inzwischen mehr als 30 Prozent der Professuren an Fachhochschulen, mehr als 40 Prozent der Professuren an Pädagogischen Hochschulen und mehr als 20 Prozent der Professuren an universitären Hochschulen mit Frauen besetzt. In Österreich sind 2015 22,1 Prozent der Professuren mit Frauen besetzt und in Deutschland waren es im Jahr 2013 21,29 Prozent. Hierzu zählen auch befristete und Assistenz- beziehungsweise Juniorprofessuren, dennoch sind diese Zahlen für den deutschsprachigen Raum ein Erfolg.
Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel Spaß und einige neue Einblicke bei der Lektüre, vor allem aber: viel Erfolg bei Ihren Bewerbungen auf Professuren!
Potsdam und Graz, im Mai 2016
Christine Färber und Ute Riedler
Einführung
Wer sich für "Wissenschaft als Beruf" entscheidet, muss sich dem Auswahlprozess um Professuren stellen und ein Berufungsverfahren durchlaufen. Schon nach der Promotion, in der Post-Doc-Phase, beginnt die Bewerbung um Junior- oder Assistenzprofessuren. Der Konkurrenzdruck in Berufungsverfahren besteht vor allem bei Tenure-Stellen, die in vielen Fächern Seltenheitswert haben. Die Verfahren sind für Bewerberinnen und Bewerber oft undurchschaubar, sie variieren von Fall zu Fall und scheinen ungeschriebenen, willkürlichen Regeln zu folgen. Weil niemand vorab weiß, wie ein Verfahren ausgeht, sind Berufungsverfahren angstbesetzt. Die wenigsten WissenschaftlerInnen wissen genau, wie ein Berufungsverfahren abläuft. In der wissenschaftlichen Fach­gesellschaft kursieren viele Gerüchte, und nur wenige haben während ihrer wissenschaftlichen Qualifizierungsphase eine Berufungskommission als MittelbauvertreterIn erlebt.
Für Frauen besteht zusätzlich das Problem, dass sie in Berufungsverfahren bisher rein quantitativ unterrepräsentiert sind und oft auch in den Auswahlgremien eine Minderheit darstellen. Berufungsverfahren sind daher um hegemoniale Männlichkeit strukturiert. Viele Frauen erleben die Verfahren aus einer marginalisierten Position, die auf ihrem sozialen Geschlecht und den vergeschlechtlichten Projektionen der Kommissionen beruht. Die Auswahlverfahren bauen sich nach Abschluss der langwierigen Qualifikationsphase wie eine unüberwindbare Hürde vor ihnen auf. Viele Wissenschaftlerinnen haben das Gefühl, eine Black Box durchschreiten zu müssen, in der nicht nach Leistung entschieden wird (sonst wäre der Frauenanteil höher!), sondern in der unfaire Mittel wie Seilschaften wirken.
Männer aus bildungsfernen Schichten oder mit Migrationshintergrund, gelernte DDR-WissenschaftlerInnen nach der Wiedervereinigung oder "Linke", die sich in "rechten" Fächern durchsetzen wollen, können ähnliche Probleme mit der Verankerung im Zentrum des Systems haben. Wer sich dagegen kulturell im Hochschulwesen zu Hause fühlt, kennt die Bedeutung der Netzwerke und des Habitus und kann damit selbstbewusster umgehen. Ziel dieses Buches ist es, die Black Box Berufung durch Information über offizielle Abläufe und formale Anforderungen, aber auch durch die Vermittlung von Hintergrundwissen und den Blick hinter die Kulissen in die Arbeit der Auswahlkommission, zu erhellen. Dabei geht es um Chancen und Perspektiven für Frauen in Berufungsverfahren - und um die Entmystifizierung einiger besonders hoch erscheinender Hürden. Dazu gehört, dass viele Frauen - sowie andere marginalisierte Gruppen auch - erwarten, dass es in einer Berufung nur um Leistung geht, und die zwischenmenschliche Komponente, nämlich die Perspektive der Menschen in der Berufungskommission, unterschätzen.
Aus diesem Grund geht das Buch konsequent auf beide Perspektiven ein, die der BewerberInnen und die der Auswählenden. Die Autorinnen richten den Blick darauf, welche Anforderungen in einer schriftlichen Bewerbung, im Vortrag und im Kommissionsgespräch ebenso wie in der Berufungsverhandlung zu erfüllen sind, und welche Erwartungen die Kommission an die BewerberInnen stellt. Das Buch soll WissenschaftlerInnen dabei unterstützen, Sicherheit für ihre Selbstpräsentation im Verfahren zu gewinnen und Strategien zu entwickeln, mit denen sie sich konkret auf Berufungsverfahren vorbereiten können.
Da die meisten Verfahren mitten im Semester laufen, wenn ohnehin wenig Zeit für eine gute Vorbereitung bleibt, zeigen wir M­öglich­keiten auf, die weniger akute Vorzeit eines Berufungsverfahrens besser zu nutzen, etwa auch im Hinblick auf Laufbahnentscheidungen. Dazu zählen beispielsweise Fragen nach der Notwendigkeit und dem Nutzen der Habilitation, nach erfolgversprechenden Auslandsaufenthalten, nach der eigenen Profilbildung und dem Aufbau eines Netzwerks. Die potenzielle Professur ist eine neue Rolle, die man bisher entweder noch nicht ausgefüllt hat, oder eine, in der man sich verbessern oder aufsteigen möchte. Die Unterschiede zwischen Professuren sind in diesem Zusammenhang gradueller Natur, die Verfahren sind bei hoch bezahlten und unbefristeten Professuren allerdings etwas komplexer als bei befristeten Junior-, Assistenz- oder Laufbahnprofessuren. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass der Schritt in eine Professur immer auch mit einem Perspektivenwechsel von der MitarbeiterIn zur ChefIn verbunden ist.
Die meisten Frauen suchen die Gründe, warum sie in Berufungsverfahren nicht erfolgreich sind, bei sich selbst, in ihrem Auftreten oder ihrer Vorbereitung. Sie sind sehr selbstkritisch mit der eigenen Performance und werten Misserfolge in der akademischen Karriere als Zeichen schlechter Leistung (Färber u.a. 2008: 64). Deshalb wollen die Autorinnen mit diesem Buch Frauen in der Wissenschaft den Rücken stärken, sie dabei unterstützen, auf ihre Stärken aufzubauen und diese in Berufungsverfahren zu zeigen. Daher wird nicht nur über formale Verfahrensschritte informiert, sondern es werden auch Beispiele aus Bewerbungen geschildert, die es den Bewerberinnen ermöglichen, ihre Leistungen in Berufungsverfahren so zu reflektieren, dass sie sich - anstatt an der eigenen Qualifikation zu zweifeln - strategischer verhalten.
"Passt diese Person zu uns?" ist die Kernfrage, die sich eine Kommission in Bezug auf jede Bewerberin und jeden Bewerber stellt. Dabei entwickeln die Kommissionsmitglieder Projektionen, die in der Regel vergeschlechtlicht sind. Sie reichen von der Vorstellung, dass wissenschaftliche Genialität bei einer Frau nicht vorhanden sein kann, bis hin zur Frage, ob eine Wissenschaftlerin mit Partner und Kindern im Wissenschaftsbetrieb bestehen kann. Denn ein verheirateter Mann mit zwei Kindern wird in (West-) Deutschland, der Schweiz und Österreich noch immer weitgehend anders in Bezug auf seine erwartbaren beruflichen Leistungen beurteilt als eine Frau in derselben familiären Situation. Die Autorinnen eröffnen Perspektiven für den Umgang mit diesen Projektionen: Die Aufmerksamkeit der Auswählenden soll auf die Leistungen, Fähigkeiten und Kompetenzen einer Wissenschaftlerin gelenkt werden und nicht auf ihre Kinder, ihre Beziehung, ihr Äußeres oder ihre Probleme.
Selbstverständlich werden auch Männer von den Informationen über die einzelnen Stufen der Berufungsverfahren, über die Sichtweisen der HochschulakteurInnen und deren Erwartungen profitieren. Außerdem können Männer die Perspektiven von Frauen, die sich auf Professuren bewerben, kennenlernen. Besonders Männer, die noch keine feste Stelle als Professor haben, werden sich oft in den Perspektiven von Frauen wiederfinden. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist beiden Autorinnen ein zentrales Anliegen. Sie betrachten das Buch auch als einen Beitrag zur Verwirklichung der wissenschaftlichen Chancengleichheit. Denn die marginalisierte Perspektive von Frauen in der Wissenschaft wird sich nur verändern, wenn Frauen zahlenmäßig ausgeglichen mit Männern an der Spitze des Wissenschaftssystems repräsentiert sein werden.
Das Buch ist kein allgemeingültiges Rezept für den Weg in eine Professur. Angesichts der Spezialisierung jeder Wissenschaftlerin und jedes Wissenschaftlers und der Besonderheiten jedes Berufungsverfahrens verbietet sich eine allwissende Ratgeberperspektive. Daher werden Perspektiven aus der Praxis entwickelt, die Handlungsmöglichkeiten für WissenschaftlerInnen darstellen. Manchmal geht es dabei um Feinheiten, denn der Teufel steckt nicht selten in ganz einfachen Details, die vor dem Hintergrund des Kampfes um Reputation und Akzeptanz im Hamsterrad des Leistungsdrucks vergessen werden.
Das Buch stützt sich auf die Forschungen und Erfahrungen der Autorinnen in Berufungsverfahren. Die wichtigsten Datengrundlagen entstammen der Studie Wie werden Professuren besetzt? von Färber und Spangenberg (2008). Dort wurden in einer qualitativen Interviewstudie mit zehn Berufungskommissionsvorsitzenden, zehn Gleichstellungsbeauftragten und 15 Bewerberinnen sowie fünf Bewerbern deren Erfahrungen in Berufungsverfahren erhoben. Eine Analyse der rechtlichen Regelungen zeigt die Heterogenität der Verfahren, aber auch die ihnen zugrunde liegende Kernstruktur. Darüber hinaus hat Christine Färber als Frauenbeauftragte der Freien Universität Berlin in den 1990er Jahren circa 80 Verfahren begleitet und als Bundessprecherin der deutschen Hochschulfrauenbeauftragten Verfahren in den meisten Fächern und in allen Hochschultypen im deutschsprachigen Raum beraten. Als Professorin hat sie Berufungskommissionen geleitet - und nicht zuletzt auf dem Weg zur Professur Berufungsverfahren als Bewerberin durchlaufen. Seit Mitte der 1990er Jahre hat sie Berufungstrainings für Wissenschaftlerinnen aufgebaut und führt diese in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie für internationale Wissenschaftsorganisationen durch. Aus der teilnehmenden Beobachtung entstanden viele unterschiedliche Perspektiven auf Berufungsverfahren, die wiederum die Struktur derselben erhellen.
Ute Riedler ist als ehemalige Wissenschaftsjournalistin seit Ende der 1990er Jahre als Kommunikationsberaterin und Trainerin für WissenschaftlerInnen tätig. Mit ihren Seminarangeboten im Bereich der strategischen Karriereplanung, Berufungsberatung und Entwicklung von Soft Skills ist sie sowohl in den Frauenförderprogrammen als auch in allgemeinen Qualifizierungsmaßnahmen der österreichischen Universitäten fest verankert und hat eine Vielzahl von KandidatInnen in Berufungsverfahren erfolgreich begleitet. Als Universitätsrätin übt sie seit 2008 die Funktion eines Aufsichtsorgans an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz aus.
Die Konzentration auf den deutschsprachigen Raum resultiert aus den Erfahrungen der Autorinnen. Es war ihnen ein Anliegen, in der Neuauflage dieses Buches auch internationale Berufungsverfahren zu berücksichtigen. Ein kurzer Einblick in Berufungsverfahren in den USA, Frankreich und Großbritannien soll daher grundlegendes Wissen für Bewerbungen im internationalen Raum vermitteln, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Schon innerhalb des deutsch­sprachigen Raums bestehen erhebliche Unterschiede in der Hochschul­gesetzgebung und der Regelung der Berufungsverfahren: 16 deutsche Bundesländer regeln die Verfahren in ihrer Landesgesetzgebung, in Österreich ist jede Universität im Rahmen der Bundesgesetzgebung für eine eigene Verfahrensregelung zuständig und in der Schweiz werden die meisten Hochschulen von Kantonen getragen, die die Bildungshoheit besitzen. Das macht den Gegenstand komplex genug. Zu den Unterschieden gehören sprachliche Feinheiten. Berufungsverfahren finden an Hochschulen statt, dies ist in der Forschung der Oberbegriff für Universitäten, Kunst- und Fachhochschulen in Deutschland. In diesem Buch ist "Hochschule" der Begriff, der sich auf alle Hochschultypen bezieht, während nur bei Besonderheiten von Universitäten, Fach- oder Kunsthochschulen die Rede sein wird.
Das Buch richtet sich gleichermaßen an alle Fächer - die Geistes- und Sozialwissenschaften ebenso wie die Natur- und Ingenieurwissenschaften, die Künste und die Medizin. Selbstverständlich unterscheiden sich dabei die Fachkulturen. Wenn dies besonders bedeutend wird, gibt es fachspezifische Beispiele und Lösungsvorschläge.
Mikropolitische Spielräume erkennen und nutzen
Das Buch ergänzt die bisherigen Forschungen zu Berufungsverfahren um eine mikropolitische Perspektive: die Handlungsmöglichkeiten von Bewerberinnen. Die Struktur von Berufungsverfahren aus Akteurspers­pektive (Färber/Spangenberg 2008) und Handlungsmöglichkeiten für die institutionellen AkteurInnen, zum Beispiel die der Gleichstellungsbeauftragten (Färber 2009) oder die der Hochschulpolitik (AQA 2010, Färber 2000, Blome u.a. 2005), sind dagegen bereits systematischer erforscht.
Die Forschung zur Karriere von Frauen geht heute davon aus, dass Frauen Wissen über die Mikropolitik in den Unternehmen, in denen sie aufsteigen, und die damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten benötigen. Das nötige Wissen über mikropolitische Handlungsmöglichkeiten in der Scientific Community erstreckt sich von der Einsicht in Spielregeln und Abläufe des Wissenschafts­betriebs im Allgemeinen bis zur Kenntnis von Besonderheiten und V­arianten des Betriebs an einem konkreten Wissenschaftsstandort (Ortmann 1992).
Zum Funktionieren von Wissenschaft und zur Selbstorganisation der Scientific Community hat Polanyi bereits Mitte der 1960er Jahre angemerkt, dass mit ihren/seinen Ergebnissen nur wahrgenommen wird, wer sich innerhalb anerkannter wissenschaftlicher Traditionen bewegt. Diese Traditionen sind von tacit knowledge (implizitem Wissen) über interessante Themenfelder, wissenschaftliche Fragestellungen und Annahmen sowie anzuwendende Untersuchungsmethoden geprägt, die von Forschergeneration zu Forschergeneration weiterge­geben werden (Polanyi 1966). Dass dieses implizite Wissen über den wissenschaftlichen Wert von Arbeiten jeweils von denen definiert und weiterge­geben wird, die über die mächtigen Positionen innerhalb der Insti­tution verfügen und wachen, versteht sich dabei von selbst. Wie Ver­haltenskodizes für wissenschaftliche Kulturen von mächtigen Gate­Keepern aufgebaut, erhalten und überwacht werden, welchen Konzepten und Genialitätsunterstellungen unterschiedliche Disziplinen folgen und welche einschließenden und ausschließenden Mechanismen den Fachkulturen inhärent sind, haben Becher und Trowler in Academic Tribes and Territories ausführlich dargestellt (Becher/Trowler 1989; 2001). Dass der Wissenschaftsbetrieb nach wie vor Frauen strukturell diskriminiert, sie sowohl weniger gefördert als auch schlechter bezahlt werden und seltener in wissenschaftlichen Spitzenpositionen zu finden sind, hat im März 2013 ein ganzes Nature-Sonderheft über Frauen in der Wissenschaft dargelegt.
BeateKrais hat in Bezug auf das Konzept des sozialen Feldes von Bourdieu herausgearbeitet, wie sich die Definition von Spielregeln und das Fortschreiben impliziter Traditionen eines von männlichen Hegemonien geprägten Wissenschaftsbetriebs auf die Karrieremöglichkeiten von Frauen auswirkt (Krais 2000; Bourdieu 1988; 1998). Sie verweist auf die "Eigenlogik", die abgegrenzte soziale Sektoren oder Institutionen auszeichnet und die durch Einstellungen und Handlungen der in der Institution agierenden Personen definiert wird. Auch das soziale Feld "Wissenschaft" ist demnach als ein Kräftefeld aufzufassen, in dem Gate-Keeper im Zentrum des Feldes stehen und die Spielregeln bestimmen, zum Beispiel über den Zugang zu Publikationen und Stellen. Die Eigenlogik des Wissenschaftsbetriebs zieht auch die Marginalisierung bestimmter Personengruppen, ihrer Forschung und ihrer Ergebnisse nach sich. Dabei erscheint den Handelnden im Feld "Wissenschaft" diese Eigenlogik der Institution als selbstverständlich - wie Wissenschaft organisiert und durchgeführt wird, wie Entscheidungen und Bewertungen getroffen werden, wird meistens nicht hinterfragt. Die "Barrieren, auf die Frauen bei ihrem Weg durch die Wissenschaft treffen, sind so in die Strukturen, in die alltägliche Kommunikation, in selbstverständliche Handlungsweisen [] eingelagert, dass es den Beteiligten schwerfällt, sie überhaupt zu identifizieren." (Krais 2000: 34)
Dieses Buch setzt deshalb bei der Identifikation mikropolitischer Handlungsfelder an und vermittelt - basierend auf den Erfahrungen der Autorinnen und der an ihren Forschungen beteiligten Expertinnen und Experten - Strukturwissen über die ungeschriebenen und daher mikropolitisch besonders relevanten Verhaltensregeln. Die Autorinnen zeigen auf, welche Regeln und Normen im Berufungsverfahren herrschen, in welchem Rahmen Handlungsmöglichkeiten gegeben sind und wie die einzelne BewerberIn eine individuelle Strategie entwickeln kann.
Mikropolitik ist nach Oswald Neuberger (1995) verbunden mit der Unternehmenskultur, der Bildung von Netzwerken und Koalitionen, aber auch mit der Selbstdarstellung und Selbstkompetenz der in diesen Kulturen agierenden aufstiegswilligen Frauen und der anderen AkteurInnen. Zusammen werden in den einzelnen organisationalen Handlungen vielfältige mikropolitische Handlungen vollzogen, die immer wieder das Kräfteverhältnis der AkteurInnen neu bestimmen. Das ist ein zentrales Merkmal von Berufungsverfahren, in denen WissenschaftlerInnen sich allzu oft nur als "Prüfling" oder "Hineingeworfene" fühlen, als seien sie hilflos Naturgewalten ausgesetzt. Aufbauend auf Neuberger lassen sich folgende mikropolitische Handlungsfelder identifizieren, die in institutionelle und persönliche Faktoren unterteilt werden können: einerseits die von Menschen gemachten und fortgeschriebenen Hochschul- und Fachkulturen, andererseits die Voraus­setzunge­n der BewerberIn. Zwischen der einzelnen BewerberIn und der Hoch­schul- und Fachkultur liegen die Einstellungen der AkteurInnen, zum Beispiel zum Körper, zu Gefühlen, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zur Macht, zur Selbstdarstellung und zur Netzwerkbildung und gegenseitigen Unterstützung. Diese Einstellungen werden umgesetzt von der BewerberIn zum Beispiel in eine konkrete Selbstdarstellung oder in konkrete Netzwerke, von der Kommission in spezifische Gate-Keeping-Muster. Beim Gate-Keeping entscheidet die Kommission anhand von Passfähigkeitskonstruktionen, welche BewerberInnen sie als "passabel" (engl.: passable = geht durch) beurteilt, also zum Vortrag einlädt oder auf der Liste platziert.
Wieder spielt hier eine Rolle, dass im sozialen Feld "Wissenschaft" schon lange vor der Teilhabe von Frauen am "Spiel" die Gate-Keeper-Funktionen (männlich) besetzt waren und sich Imaginationen von "richtiger" Wissenschaft an den hegemonial männlich geprägten Bildern des Wissenschaftsbetriebs orientiert und verfestigt haben. Sowohl Frauen als auch Männer, die nicht dem kulturell festgelegten Bild des Wissenschaftlers entsprechen, werden daher tendenziell aus dem Spiel "Wissenschaft" ausgeschlossen oder als Nebenfiguren (Zuspielende, aber nicht Spielmacher) zum Einsatz gebracht.
Viele Wissenschaftlerinnen geben bei Befragungen an, dass sie im Hinblick auf die Darstellung ihrer Leistungen Beratungsbedarf haben und dass sie seltener als männliche Kollegen die Gelegenheit erhalten, ihre Erfolge zu präsentieren (Färber, Röttger 2010; Kröger 2014; Kröger, Färber 2015). Berufungsverfahren sind Situationen, in denen es ausschließlich um die Präsentation der eigenen Person und der eigenen Leistungen und Erfolge geht. Diese Unsicherheit in der Darstellung eigener Leistungen mag auf mehrere Ursachen zurückzuführen sein. Zum einen werden Frauen, aber auch andere marginalisierte Personen im Wissenschaftsbetrieb, häufig sehr früh auf eine Zulieferrolle festgelegt (ZuspielerIn, aber nicht SpielmacherIn sein): Sie werden öfter als männliche Kollegen in Forschungsnischen verdrängt (was wertvolle Forschung ist, wird von den Gate-Keepern bestimmt - in der Nische sind Frauen keine Konkurrenz) und sie wissen häufig nicht, welche Leistung in der institutionalisierten Auswahl gerade gut oder weniger gut bewertet wird (andere machen das Spiel und geben implizites Wissen nicht preis). Tendenziell haben Frauen auch weniger gut gelernt, sich und ihre Leistungen darzustellen, als ihre in der männlichen Hegemonie sozialisierten Mitspieler, denen aufgrund ihres Geschlechts schon mit Beginn ihrer Ausbildung Passfähigkeit im Wissenschaftsbetrieb zugesprochen wurde und die sich kommunikativ entsprechend selbstbewusst sozialisieren konnten. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kommunikationsprozess im Verlauf eines Berufungsverfahrens zwischen auswählender Kommission und Bewerberin sowohl interaktiv als auch sprachlich-performativ einer sozialen Grammatik folgt, die die eingeschriebenen Regeln und Rollen des hegemonialen männlichen Wissenschaftsbetriebs respektiert und fortschreibt.
Für Frauen stellt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch deshalb ein großes Problem dar, weil sie immer wieder mit der Frage nach ihrem persönlichen Kinderwunsch konfrontiert werden. Weibliche Führungskräfte haben hierzu die Strategie entwickelt entweder zu behaupten, dass (noch) kein Kinderwunsch bestehe oder dass sie aus medizinischen Gründen keine Kinder bekommen könnten. Ähnlich antworten auch Wissenschaftlerinnen, wenn sie im Berufungsverfahren mit der Frage konfrontiert werden. Denn obwohl die Frage nach Kinderwunsch beziehungsweise Familienplanung im Auswahlgespräch nicht zulässig ist, wird sie implizit oder explizit gerne gestellt.

Inhalt

Inhalt
Vorwort zur zweiten Auflage 9
Einführung 11
1. Stufen des Berufungsverfahrens und Handlungsmöglichkeiten 27
1.1 Vorfeld der Bewerbung 27
1.2 Bewerbung 35
1.3 Berufungskommission 37
1.4 Gleichstellungsstrukturen in Deutschland, Österreich und der Schweiz 39
1.5 Auswahlkriterien 44
1.6 Institutionelle Interessen 59
1.7 Anhörung 67
1.8 Entscheidung 73
1.9 Internationale Bewerbungen 80
2. Handlungsfeld"Vernetzung" 95
2.1 Vernetzungserfahrungen von Frauen in Wissenschaft und Wirtschaft 95
2.2 Das eigene Netzwerk sichtbar machen 104
2.3 Neue Kontakte planen und knüpfen 106
2.4 Mentoring und Training 111
3. Handlungsfeld strategische Karriereplanung 115
3.1 Wissenschaftliche Leistung sichtbar machen 116
3.2 Profilbildung in der Forschung 122
3.3 Praxis 126
3.4 Lehre 128
3.5 Management- und Führungswissen 132
3.6 Work-Life-Balance 138
3.7 Karriereplanung in Zwei-Karriere-Paaren 144
3.8 Plan B 150
3.9 Zusammenfassung: Strategische Karriereplanung 151
4. Schriftliche Bewerbung 153
4.1 Anschreiben 155
4.2 Lebenslauf 160
4.3 Anlagen/Beilagen 163
4.4 Wissenschaftliche und praktische Profile 173
5. Wissenschaftlicher Fachvortrag 189
5.1 Erwartungen der Kommission 189
5.2 Persönliche Präsentation beim Vortrag und im Gespräch 191
5.3 Vorbereitung eines selbstsicheren Auftritts 194
5.4 Selbstpräsentation und Kleidung 203
5.5 Technische Vorbereitung des Vortrags und Visualisierung 211
5.6 Auswahl des Themas 218
5.7 Aufbau des Probevortrags 219
5.8 Diskussion und Reaktionen im Publikum 227
5.9 Lehrprobe 230
6. Präsentation von Profilen und eines Zukunftskonzepts 233
6.1 Die hochschulöffentliche persönliche Kurzpräsentation 234
6.2 Die hochschulöffentliche Präsentation eines Konzepts zur Führung des Instituts 238
7. Kommissionsgespräch 243
7.1 Eröffnende Vorstellung zur Person 245
7.2 Fragen an die Bewerberin 250
7.3 Fragen zum Privatleben 261
7.4 Fragen an die Kommission 265
7.5 Frauen in Kommissionen 265
7.6 Nonverbales Verhalten im Kommissionsgespräch 267
8. Verfahrensdauer und Informationspolitik 269
9. Berufungsverhandlungen 273
9.1 Verhandlungsverfahren und GesprächspartnerInnen 273
9.2 Vorgespräche 274
9.3 Ausstattungsforderungen auf der Basis eines Forschungs- und Lehrkonzepts 276
9.4 Gehaltsverhandlungen und Dual Career 279
9.5 Mehr als das Notwendige fordern 286
9.6 Berufungsangebot 288
9.7 Verhandlungskompetenz 289
Schlusswort: Perspektiven nach dem Berufungsverfahren 297
Anhangsverzeichnis 301
Abbildungsverzeichnis 349
Literatur 351

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