Arbeit in Europa

Marktfundamentalismus als Zerreißprobe

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593501789
Sprache: Deutsch
Umfang: 399 S.
Format (T/L/B): 2.3 x 21.2 x 13.9 cm
Auflage: 1. Auflage 2014
Einband: Paperback

Beschreibung

Auf den europäischen und globalen Arbeitsmärkten ist im Zuge der Finanzkrise eine zunehmende Prekarisierung zu beobachten. Ausgehend von diesem Befund lenken die Autorinnen und Autoren den Blick auf neue soziale Ungleichheiten in Europa und dabei auf die Folgen einer - am deutschen Modell ausgerichteten - aktivierenden, marktkonformen Regulierung von Arbeit: Die Rezepte des 'deutschen Jobwunders' verhindern Wachstum geradezu, tragen wenig zur Lösung der Schuldenproblematik bei und verstärken die Gefahr sozialer, ja gewalttätiger Konflikte. Das Buch liefert eine Bestandsaufnahme der aktuellen Arbeitsmarktsituation in Europa, diskutiert kritisch die Übertragbarkeit des deutschen Modells und skizziert darüber hinaus alternative Ansätze einer nachhaltigeren Arbeitspolitik und Wirtschaftsdemokratie. Mit Beiträgen von Brigitte Aulenbacher, Martin Baethge, Martin Beckmann, Adelheid Biesecker, Kristina Binner, Gerhard Bosch, Maria Dammayr, Klaus Dörre, Nico Dragano, François Dubet, Kerstin Jürgens, Steffen Lehndorff, Steffen Liebig, Josep Banyuls Llopis, Maria Markantonatou, Albert Recio, Stefan Schmalz, Olaf Struck, Hans-Jürgen Urban, Edward Webster, James Wickham und Erik Olin Wright.

Autorenportrait

Klaus Dörre ist Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Universität Jena. Kerstin Jürgens ist Professorin für Mikrosoziologie an der Universität Kassel. Ingo Matuschek, Dr. rer. soc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Jena.

Leseprobe

Der Zusammenschluss der europäischen Nationalstaaten zur Wirtschafts- und Währungsunion war von Beginn an mit Ungleichzeitigkeiten und sozialen Schieflagen verknüpft. Es gab Länder, die als Promotoren und Vorbilder galten, während sich andere als rückständig und reformbedürftig deklariert fanden. Im direkten Vergleich der Volkswirtschaften und in Anbetracht wechselseitiger Abhängigkeiten stieg der Druck, den Wachstumskriterien und -zielen der neuen Gemeinschaft zu entsprechen, auch wenn die nationalen Ökonomien hierfür denkbar unterschiedliche Voraussetzungen boten. Spaltungen und Polarisierungen auch innerhalb der Nationalstaaten sind daher kein neues Phänomen, haben sich jedoch in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 verschärft: In der Debatte über die Ursachen der gegenwärtigen Instabilität der Europäischen Union kommen alte Spaltungslinien zum Ausdruck, wenn Vorwürfe einer selbst produzierten Überschuldung lanciert werden oder vom ökonomischen und politischen Übergewicht einzelner Mitgliedstaaten die Rede ist. Gelten prosperierende Länder des europäischen Nordens heute als stabilisierende Zentren oder gar als "Gewinner" der Krise, sind andere so tief verschuldet, dass von staatlicher Handlungsfähigkeit kaum noch die Rede sein kann. Bezeichnend ist, dass den "Verlierenden" seitens der "Gewinnenden" ein großes Maß an Mitverantwortung zugeschrieben wird. Marktanpassungen - so eine weithin hörbare Behauptung - hätten hier nicht frühzeitig und umfassend genug stattgefunden. Angesichts solcher Schuldzuschreibungen verwundert es nicht, wenn alte Sensibilitäten aufbrechen und die in vielen politischen Dimensionen ohnehin zögerliche Annäherung ins Stocken gerät. Die jüngste Europawahl, in der erstmals Spitzenkandidat/innen für die Kommissionspräsidentschaft antraten, offenbarte die noch immer virulente Frage nach dem Verhältnis von Kommission und Rat, von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten. Wiederholt wurde Skepsis laut, "wieviel Europa" die Mitgliedstaaten ertragen können und wollen. Steht also die Europäische Union nicht nur vor einer Bewährungs-, sondern gar vor einer Zerreißprobe? Die Europäische Union ist durch ein ausgeprägtes Gefälle in materiellem Wohlstand und Produktivität geprägt, und viele Länder sind (ökonomisch ebenso wie politisch) überfordert, dieses aus eigener Kraft auszugleichen. Hilfestellung seitens der Gemeinschaft wird erforderlich, ist jedoch nicht gratis zu haben. Die Geberländer knüpfen ihre Unterstützung an Zugeständnisse der Betroffenen, so z.B. in Form des Rückbaus des öffentlichen Arbeitssektors oder der sozialen Sicherungssysteme. Kürzungen der Renten, Lohneinschnitte und Entlassungen zählen hier ebenso zu den favorisierten und angeratenen Instrumenten von Krisenbewältigung wie reduzierte Investitionen, wovon dann jedoch zumeist auch Schlüsselbereiche wie z.B. Bildung, Forschung und Entwicklung, Integration oder Gesundheit berührt sind. Bemüht man in den ökonomisch stärkeren Nationen das Bild vom "Fass ohne Boden", um die Kopplung der Zusage der Finanzströme an eine Einflussnahme auf die nationale Gestaltung von Arbeits- und Sozialpolitik zu legitimieren, wird dies in den betroffenen Ländern nicht nur als "Übergriff" gedeutet, sondern auch als Vertrauensbruch seitens anderer Mitgliedstaaten sowie der Gremien der EU erlebt. Man muss nicht erst die Plausibilität der einen oder anderen Sichtweise prüfen, um bereits in der Konfrontation der Positionen das zentrale Problem zu erkennen: Es entstehen legitimatorische Brüche und neuartige Instabilitäten, die sich von einer latent krisenhaften Entwicklung zur manifesten Zerreißprobe für den politischen und sozialen Zusammenhalt Europas entwickeln können - oder bereits entwickelt haben. Längst ist nicht nur der Euro in Gefahr, sondern es droht in Folge der Krise von 2008/09 auch die Idee eines geeinten Europas verschüttet zu werden. In den Mitgliedstaaten, die derzeit als "Krisenkandidaten" firmieren, werden große Teile der Bevölkerungen nicht nur in ihrer Lebensgestaltung, sondern auch in ihrer Lebensplanung massiv beeinträchtigt. Neuere Studien verweisen bereits auf klare Tendenzen einer Entsolidarisierung (Paritätischer Gesamtverband 2014), und auch die Revitalisierung rechtsextremer oder offen faschistischer Bewegungen versteht sich erst mit Blick auf die Nebenfolgen von Krisenbewältigung. Die Ergebnisse der Europawahl 2014 sind hier aufschlussreich: In Frankreich ging die rechtsextreme Partei "Front National" als Gewinner aus der Wahl hervor, in anderen Ländern konnten rechtspopulistische Parteien große Zuwächse verbuchen, so z.B. die UKIP-Partei in Großbritannien, die mit einer Anti-Europa-Kampagne ins Rennen gegangen war, oder die FPÖ in Österreich, die für eine "Denkzettelwahl" wa­rb und gegen­über 2009 deutlich zulegte. Auch wenn das Wahlrecht kleinen Parteien entgegenkommt und europäische Fragen bei den nationalen Wahlen häufig in den Hintergrund treten, liegt es nahe, in den Ergebnissen der Wahl eine Reaktion auf die Art und Weise der Krisenbewältigung zu sehen. Betrachtet man die aktuellen Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung und Beschäftigtenquote beziehungsweise Erwerbslosenanteile in einzelnen Euro-Ländern, dann werden Ursachen der Europa-Skepsis sichtbar. Im Frühjahr 2014 vermelden die Medien die Rückkehr Griechenlands an die internationalen Finanzmärkte: Ausgeschriebene Staatsanleihen sind mehrfach überzeichnet, das Land reiht sich scheinbar wieder in die Phalanx kreditwürdiger Staaten ein. Die auf Druck der Troika aus Internationalem Währungsfond (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission gegen breiten Widerstand aus der Bevölkerung durchgesetzten Reformen werden als erfolgreich bilanziert und versprechen für die Zukunft ruhigeres Fahrwasser. Ganz ähnlich ist die Situation in Spanien: Die Volkswirtschaft hat die Rezession im dritten Quartal 2013 mit 0,1 Prozent Wachstum stoppen können und ist im vierten Quartal 2013 um 0,2 gewachsen (Auswärtiges Amt 2014); der spanische Ministerpräsident verkündet, damit sei das Schlimmste überstanden, sein Land befinde sich auf dem Weg der Gesundung (Dahms 2014). Das durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gebeutelte Irland verließ Ende 2013 den Rettungsschirm und die nationale Wirtschaft wächst. Der konjunkturelle Einbruch im ersten Quartal 2014 und ein fragiler Finanzsektor (Theurer 2014) kennzeichnen einen immer noch mit erheblichen Gefahren belasteten Weg der Krisenbewältigung. Portugal strebt an, den Euro-Rettungsschirm zu verlassen. Mit einem harten Spar-Etat hat das Land eine abnehmende Verschuldung erreicht (Spiegel 2014). Es wird bereits das Ende der Krise postuliert: "Aus Sicht der Investoren ist die Euro-Krise vorüber." (Münchau 2014) Die Entwicklung der Beschäftigungsquoten trägt zu solch positiven Einschätzungen bei: Im vierten Quartal 2013 ist die Zahl der Erwerbstätigen - nach Jahren des Rückgangs bzw. der Stagnation - gegenüber dem Vorquartal saisonbereinigt um 0,1 Prozent gestiegen (ESTAT 2014). Die Zuwächse sind branchenspezifisch und auf den Ausbau in den Informations- und Kommunikationsdienstleistungen sowie in Handel und Gastgewerbe zurückzuführen - und sie sind in den sogenannten Krisenländern ungleich verteilt; die Spanne reicht von 0,2 Prozent in Griechenland bis zu 0,7 Prozent in Portugal und Irland. Verfolgt man die Entwicklung auf den Arbeitsmärkten jedoch genauer, so zeigt sich indes die Kehrseite der Entwicklung: Die absoluten ebenso wie die relativen Zahlen zur Arbeitslosigkeit sind nach wie vor häufig erschreckend hoch (ebd.): Trotz eines Abbaus der Erwerbslosigkeit um fast zwölf Prozent im Jahresvergleich waren im Februar 2014 noch immer zwölf Prozent der Iren arbeitslos; in Griechenland stieg die Arbeitslosigkeit in diesem Zeitraum weiter an und erreicht nun 27,5 Prozent. Spanien vermeldet trotz eines Rückgangs um 5,2 Prozent noch immer mehr als 5,7 Millionen Arbeitslose und damit eine Erwerbslosenquote von 25,6 Prozent. Portugal verzeichnete im Jahresvergleich einen r...

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