Beschreibung
Mielkes Männer und Frauen Obwohl das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als zentrales Herrschaftsinstrument der DDR seit der 'Wende' 1989 im Blickfeld der Öffentlichkeit steht, weiß man auch heute noch sehr wenig über die hauptamtlichen Mitarbeiter dieses Geheimdienstes. Als 'Schild und Schwert der Partei' bildeten die 78.000 Berufssoldaten und -offiziere in den MfSKreisdienststellen, Bezirksverwaltungen und der Berliner Zentrale das Rückgrat des SED-Regimes. Wie kamen 'ganz normale Menschen' dazu, in diesen Apparat einzutreten, dort langfristig mitzuarbeiten, sich in die Strukturen einzufügen und diese damit zu stabilisieren? Was waren ihre Motivationsgrundlagen und Wertvorstellungen? Wie gestaltete sich ihr Lebensalltag im Dienst der Staatssicherheit? Was wurde aus ihnen nach der Auflösung des MfS und dem Zusammenbruch der DDR? Wie bewerten sie selbst ihre MfS-Vergangenheit? Dieses Buch gibt, gestützt auf über 70 Interviews, in denen ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der 'Stasi' ihre Lebensgeschichten erzählen, die Antworten.
Autorenportrait
Uwe Krähnke, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig. Anja Zschirpe, Matthias Finster und Philipp Reimann arbeiten dort am DFG-Projekt 'Hauptamtliche Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit' mit.
Leseprobe
Vorwort Ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zum Sprechen zu bringen, gehört zu den schwierigsten Unterfangen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der DDR. Erstmals nach der Handvoll Interviewbände, die 1990/91 die Neugierde der Öffentlichkeit befriedigten, legen Uwe Krähnke und seine Mitstreiter mit diesem Band eine soziologische Studie vor, die frühere MfS-Offiziere verschiedenster Altersgruppen, Dienstränge und Lebenswege in Interviews einbezieht. Sie haben mit 72 ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausführlich über den Dienst beim MfS und ihre weiteren Lebenswege gesprochen. Allein schon dieser Zugang zum "Feld" macht ihre Studie zu einem Meilenstein. Dazwischen lagen fünfundzwanzig Jahre, in denen hauptsächlich die aktengestützte Rekonstruktion von ideologischer Formung und Feindbild-pflege, Rekrutierungspolitik, inneren Strukturen, Bezahlung, Disziplinarge-schehen usw. betrieben wurde. Ein solcher Zugriff machte es möglich, die "Black Box" Stasi-Apparat zu ergründen, aber er stößt naturgemäß an Grenzen, wenn es um das subjektive Empfinden der MfS-Offiziere in ihrer alltäglichen Dienstverrichtung und ihre rückblickende Selbstsicht geht. Zum anderen verteidigte eine Schar von ehemaligen Obristen und Generälen aus Standesorganisationen wie dem "Insiderkomitee" lautstark ihre Verfolgungspraxis. Und sie wachte darüber, dass keine "falschen Töne" aus dem Kreis der ehemaligen MfS-Mitarbeiter nach außen drangen. Diese Etappe neigt sich dem Ende zu. Aktenstudien zum MfS-Personal fördern kaum noch Neuigkeiten zu Tage, und die Erzählungen der greisen Obristen locken allenfalls noch einige gleichaltrige Mitstreiter an. Damit sind hergebrachte Paradigmen der Täterforschung einem frischen Blick zu unterziehen: Wie monolithisch war das Stasi-Personal? Was prägte ihr Selbstverständnis? Was wurde aus ihnen nach der Auflösung dieses Ministeriums und dem Beitritt der DDR zu ihrem früheren "Operationsgebiet"? Mit seinen soziologischen Interpretationsangeboten arbeitet das Autoren-team die inneren Logiken heraus, mit denen MfS-Mitarbeiter ihrem Leben im Getriebe der Geheimpolizei Sinn gaben. Wie es zeigt, formten die MfS-Mitarbeiter die Legitimationsideologie des "Tschekismus", also die Berufung auf die Mission der Geheimpolizei der Bolschewiki seit 1917, in verschiedene Variationen eines praktischen Alltagsbewusstseins um. Hierzu gehörte das Gefühl einer "dienenden Herausgehobenheit", aber auch der durchweg wiederkehrende Topos, selbst einer umfassenden gegenseitigen Beobachtung und Disziplinierung unterlegen zu haben - allerdings freiwillig im Unterschied zu den vom MfS Überwachten und Verfolgten. Der "tschekistische Habitus" prägte die MfS-Mitarbeiter mit einer frappierenden Intensität durch alle Generationen - und er bestimmt bis heute direkt oder indirekt ihre Erzählungen. Zugleich arbeitet das Autorenteam eine Typologie der konkreten Selbstverständnisse heraus, insbesondere für die Masse der jüngeren Mitarbeiter, die das vielbeschworene Erbe der Altkommunisten und Antifaschisten nicht mehr aus eigenem Erleben, sondern nur noch als familiäre und kollegiale Prädisposition kannten. Ein Solitär ist auch die Untersuchung der Lebenswege seit 1990. Bislang gibt es nur wenige Schlaglichter zu den Berufswegen, zum Umgang mit der eigenen Biografie und zu der Frage, ob die ehemaligen Geheimpolizisten politisch und mental in System und Lebenswelt der vergrößerten Bundesrepublik "angekommen" sind. Besonders anregend für die weitere Forschung ist schließlich auch die Beobachtung, dass Vernehmer oder Observationsexperten praktisch nie über ihre innere Haltung zur eigenen Rolle in der Verfolgungstätigkeit des MfS und über das Schicksal der von ihnen "bearbeiteten" Personen sprechen. Auch die Anwerbe- und Führungstechniken gegenüber Informanten tauchen hier nicht auf. Machte diese Arbeit ihnen Freude? Verschaffte sie ihnen Befriedigung? Und wie verarbeiteten sie den Schock, als ihnen "das Volk" seit Oktober 1989 unmissverständlich zeigte, was es von ihnen hielt? Für die Ausblendung der mit diesen Fragen verbundenen "kognitiven Dissonanz" liefern die Erzählungen über den arbeitsteiligen Apparat und die straffe interne Disziplinierung einen geradezu idealen Rahmen. Viel lieber sprechen sie über die Papierschlachten der überbordenden Bürokratie, die Überstunden oder den Beförderungsstau. Die Studie von Uwe Krähnke und den Mitautoren stößt das Tor auf, um sich jenseits von Dienstvorschriften und Mielke-Reden ein Bild davon zu machen, wie MfS-Mitarbeiter "tickten" und wie sie sich heute ins Verhältnis zur öffentlichen Wahrnehmung ihres früheren Berufsstandes setzen. Jens Gieseke Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam Einleitung Das 1950 gegründete Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war eine zentrale Säule des autoritären Herrschaftssystems in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Sein Aufgabenbereich ging weit über die nachrichtendienstliche Tätigkeit eines gewöhnlichen Geheimdienstes hinaus. Neben der Auslandsspionage, der Spionageabwehr und der Terrorismusbekämpfung war dieses Ministerium für die Informationsbeschaffung und -auswertung von Meinungen und Stimmungslagen in der Bevölkerung zuständig und ging gegen Oppositionelle und politisch Andersdenkende vor. Ein weiterer Schwerpunkt war die Kontrolle und Einflussnahme auf den Kulturbereich, die öffentlichen Medien und Kirchen. Selbst in die Bearbeitung von Ausreiseanträgen, die DDR-Bürger gestellt hatten, um in den Westen zu gelangen, sowie bei der Strafverfolgung von Fluchtversuchen war das MfS stark involviert. Diese Aufgabenfülle des DDR-Geheimdienstes war auch im Vergleich zu anderen Ostblock-Staaten ungewöhnlich. Abgesehen von der Sowjetunion, die ebenfalls ein eigenständiges Ministerium für Staatssicherheit hatte, wurden in den anderen sozialistischen Ländern polizeiliche und juristische Funktionen vom Innenministerium beziehungsweise von anderen staatlichen Ressorts übernommen (Kowalczuk 2013: 188f.). Gesetzlich waren Aufgaben, Rechte, Pflichten und Befugnisse des MfS nicht vollständig geregelt. Zudem gab es keine parlamentarische Kontrolle durch die Volkskammer der DDR, wie selbst hochrangige Führungskräfte des MfS im Nachhinein einräumen (Großmann/Schwanitz 2010: 44, 54). Die herausgehobene machtpolitische Stellung des MfS innerhalb des administrativen Gefüges der DDR lässt sich nur verstehen, wenn das Abhängigkeitsverhältnis zur staatstragenden Partei, der SED, berücksichtigt wird. Das MfS war - wie es der immer wieder verkündete Slogan ausdrückte - "Schild und Schwert der Partei". Auf allen Ebenen, von der Kreis- über die Bezirksebene bis hin zum obersten Machtzirkel der DDR, dem SED-Politbüro, gab es einen direkten persönlichen Austausch und konkrete Absprachen zwischen den leitenden Kadern beider Herrschaftsinstitutionen. Hierbei ging es nicht nur um sicherheitsrelevante Aspekte, die die staatliche Ordnung und die Kontrolle öffentlicher Räume und Medien betrafen. Das MfS agierte auch im Parteiauftrag, wenn die Stimmungsberichte aus der Bevölkerung zusammengetragen wurden. Dies geschah in der Berliner Zentrale durch eine spezielle Diensteinheit, die zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG), und auf Bezirksebene durch die Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG). Abnehmer dieser Berichte waren die leitenden Parteifunktionäre der SED. Von seiner Organisationsstruktur her war das Ministerium flächen-deckend im gesamten Land präsent. Neben der Berliner Zentrale gab es in jedem der 15 DDR-Bezirke eine Bezirksverwaltung. Ihnen waren insgesamt circa 200 regional verteilte Kreisdienststellen und 7 spezielle Objektdienststellen untergeordnet. In all diesen Einrichtungen waren 1989 circa 78.000 hauptamtliche Mitarbeiter mit militärischen Diensträngen vom Soldaten bis hin zum General beschäftigt. Die eben genannte Mitarbeiterzahl weicht deutlich von der Angabe ab, die der Bundesbea...
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