Nachhaltige Arbeit

Soziologische Beiträge zur Neubestimmung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse, International Labour Studies 13

46,00 €
(inkl. MwSt.)
In den Warenkorb

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593506432
Sprache: Deutsch
Umfang: 356 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 21.3 x 14 cm
Auflage: 1. Auflage 2016
Einband: Paperback

Beschreibung

Da Umweltprobleme immer drängender werden, gewinnt die Debatte um den Übergang zu einer nachhaltigen Arbeitsgesellschaft wieder an Bedeutung. Die eingeforderte "große Transformation" bringt fundamentale Veränderungen für die Arbeitenden in verschiedenen Wirtschaftsbereichen mit sich. Dieser Band diskutiert aus arbeits- und umweltsoziologischer Sicht die Potenziale und Probleme dieses Wandels.

Autorenportrait

Thomas Barth ist akademischer Rat am Institut für Soziologie der Universität München. Georg Jochum ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wissenschaftssoziologie/ Fach Soziologie der TU München. Beate Littig ist Abteilungsleiterin am postgradualen Institut für Höhere Studien und Universitätsdozentin an der Universität Wien.

Leseprobe

Vorwort Der vorliegende Band beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Arbeit und Natur. Diese zwei Begriffe muten zunächst etwas altmodisch an, sie erinnern an die sozialen Kämpfe in den entstehenden Industriegesellschaften und die im 19. Jahrhundert entstehende Evolutionstheorie. Gleichzeitig könnten sie nicht aktueller sein, denn sie stehen im Zentrum von zwei großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit: der Digitalisierung von Produktion und Konsum, die große Teile gegenwärtig von Menschen geleistete Arbeit überflüssig machen wird, und der globalen Erwärmung, die voraussichtlich schneller als erwartet zu klimatischen Bedingungen führen wird, unter denen menschliche Gesellschaften bisher nicht existiert haben. In der öffentlichen Debatte und in der Forschung werden diese beiden Herausforderungen bisher nur punktuell miteinander verbunden, obwohl oder vielleicht gerade weil sie die Lebenswelten der Menschen und gesellschaftliche Dynamiken radikal verändern werden. Im 19. Jahrhundert war es ebenfalls zu solchen tiefgreifenden Veränderungen gekommen: In der Evolutionstheorie wurde die Entstehung der menschlichen Spezies grundlegend neu gedacht und in den Prozess der Entstehung allen Lebens eingeordnet. Die Vorstellung einer durch göttlichen Willen begründeten Suprematie des Menschen wurde abgelöst durch die Erfahrung der praktischen Neuordnung der Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft: die rasante technologische Entwicklung und Neuordnung gesellschaftlicher Strukturen im Zuge der Industriellen Revolution suggerierten die völlige Gestaltbarkeit der Natur nach gesellschaftlichen Zielen und Bedürfnissen, also die Heraushebung menschlicher Gesellschaften aus den Prozessen und Verläufen der Natur, durch menschlichen Erfindungsgeist, technologischen Fortschritt und gesellschaftliche Organisation. Im 20. Jahrhundert wurden die Grenzen und tiefgreifenden Folgen dieses Veränderungsprozesses deutlich, durch zwei Weltkriege, die Konzentration erheblich verbesserten menschlichen Wohlstands auf 20 Prozent der Weltbevölkerung, die zunehmenden Gefährdungen durch globale Umweltveränderungen. Nunmehr zeichnen sich auch Veränderungen ab, die Chancen für eine zukunftsfähige Gestaltung der innergesellschaftlichen Beziehungen und ihrer Naturverhältnisse eröffnen: Nicht nur die Naturwissenschaften haben erhebliche Fortschritte beim Verständnis der wesentlichen ökologischen Regelsysteme gemacht, von denen (auch menschliches) Leben auf unserem Planeten abhängt. Die Sozialwissenschaften haben Theorien und Begriffsapparate für das Verständnis unterschiedlicher historischer und gegenwärtiger sozialer Naturverhältnisse erarbeitet, mit denen die Ursachen der ökologischen Krise analysiert und Lösungsansätze vorstellbar werden können. Dadurch wird es möglich, technologische und organisatorische Innovationen zu entwickeln und anzuwenden, die zukünftigen Generationen keine neuen Hypotheken aufbürden. Vielfältige alte und neue Erfahrungen mit Regulierungssystemen für Arbeits- und Umweltbeziehungen liegen vor, die dabei helfen, Formen und Inhalte einer sozial-ökologischen Transfor-mation besser zu beschreiben. Auf globaler Ebene wurden Normensysteme entwickelt, vor allem durch transnationale Akteure und Organisationen, die die notwendige internationale Verständigung über langfristige Ziele einer sozial-ökologischen Transformation und wie sie erreicht werden können, befördern können. Neue Kommunikati-onstechnologien können horizontale, weltumspannende kapillare Lern- und Verständigungsprozesse ermöglichen, die solche Transformationspro-zesse benötigen. Arbeit spielt in all diesen Bereichen eine zentrale Rolle, wird aber in diesem Zusammenhang kaum untersucht. Deshalb sind die Beiträge des vorliegenden Bandes für die beschriebenen Aufgaben unverzichtbar. Sie stellen einen theoretischen und konzeptionellen Rahmen bereit, der die zentrale Bedeutung von Arbeit unterstreicht, insbesondere mit Blick auf: Anknüpfungspunkte für die Transformationsdebatte in der Arbeitswelt, in der Arbeitende sowohl als Subjekte gefordert sind als sich auch mit ihren Vorstellungen wünschenswerter gesellschaftlicher Veränderungen einbringen; die Frage, welche Art von Naturerfahrung und Bedürfnisbefriedigung zukünftige Beschäftigungsverhältnisse von Frauen und Männern in einer green economy bereitstellen und ermöglichen müssten oder werden; Möglichkeiten, den rationalistischen und auf den Menschen fokussierten modernen Arbeitsbegriff zu überwinden, um zu Vorstellungen von "nachhaltiger Arbeit" zu kommen. Die Beiträge gehen über den vergleichsweise begrenzten Erfahrungsraum Deutschlands hinaus und betrachten Arbeit und Natur in der internationalen Perspektive: welche Standpunkte Gewerkschaften aus Schwellenländern in der internationalen Gewerkschaftsbewegung einnehmen, wie Arbeit an der Natur sich beim Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft in Äthiopien verändert und welche Bedeutung Arbeitskämpfe beim Bau des jüngsten Staudamms und Wasserkraftwerks im brasilianischen Amazonasgebiet, Belo Monte, haben. Und schließlich wird gefragt, welche Akteure für eine Neugestaltung von Arbeitsverhältnissen als Naturgestaltung und Naturerfahrung bereit-stehen und was sie leisten können: die "Gewerkschaften zwischen ökolo-gischer Modernisierung und sozialökologischer Transformation", die Mög-lichkeiten von Fachkräften in ihren Betrieben und von Bürgerenergie-gesellschaften. Die Ergebnisse dieser Arbeiten und die offenen Fragen, die sie benen-nen, zeigen, wie wichtig sozialwissenschaftliche Forschung an der Schnitt-stelle zwischen Arbeit und Natur ist, um den sozial-ökologische Transfor-mationsprozess angemessen zu begreifen und zu gestalten. Es geht dabei in den Industriegesellschaften nicht nur um die Abmilderung der sozialen Folgen des ökonomischen Strukturwandels beispielsweise im Energie- und Verkehrssektor, sondern auch um die Frage, wie Arbeitsbeziehungen im weiteren Sinne verändert werden können, um die Möglichkeiten für aktive Beiträge der Menschen in Betrieben, Gemeinden, Haushalten zu diesem Prozess zu erweitern. In den Ländern des Südens, in denen erhebliche Teile der Bevölkerung kaum Zugang zu den formellen Arbeitsmärkten haben, stellt sich die Frage, wie der Übergang ins nicht-fossile Zeitalter und umweltverträgliche Produktions- und Konsummuster so bewältigt werden kann, dass er nicht auf Kosten der Lebensbedingungen und Teilhabemöglichkeiten der breiten Bevölkerung geht. Hier besteht viel Raum für eine neue Forschungsagenda, die sich der Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen verpflichtet sieht. Es wird auch deutlich, welch wichtige Beiträge die sozialwissen-schaftliche Forschung zum Verhältnis von Arbeit und Natur für laufende gesellschaftspolitische Debatten und Strategien einbringen kann, insbeson-dere in die neue deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, die anstrebt, bis 2030 die Lebensbedingungen der Menschen nicht nur in Deutschland, sondern global zu verbessern und umweltverträglich zu gestalten. Ohne ein besse-res Verständnis davon, wie sich Menschen in diesen Veränderungsprozes-sen als Bürgerinnen und Bürger und als Arbeitende selbst sehen und in verschiedenen Formen kollektiv einbringen, werden diese Ziele schwer zu erreichen sein. Imme Scholz, Bonn, im Juni 2016 Stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und Mitglied des Rates für nachhaltige Entwicklung Einleitung Thomas Barth, Georg Jochum und Beate Littig Als 1992 auf dem Weltgipfel in Rio de Janeiro die Vision einer nachhalti-gen Entwicklung zur Maxime der Weltgemeinschaft erklärt wurde, schien eine neue Epoche in der Umweltpolitik wie auch der globalen Zusammen-arbeit zu beginnen. Doch die anfängliche Euphorie wich bald der Ernüch-terung. Die Hoffnungen, mit dem neuen Leitbild die Krisen der kapitalis-tisch-industriellen Moderne integriert zu bewältigen, wurden weitgehend enttäuscht. Zwar ...