Gender - Nation - Religion

Ein internationaler Vergleich von Akteursstrategien und Diskursverflechtungen, Religion und Moderne 14

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593509600
Sprache: Deutsch
Umfang: 210 S.
Format (T/L/B): 1.5 x 21.4 x 14.2 cm
Auflage: 1. Auflage 2019
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Über Ehe und Familie, über Abtreibungsrechte, die Rechte sexueller Minderheiten, Sexualkundeunterricht oder Gleichstellungspolitiken wird nach wie vor heftig gestritten. Dabei werden genderbezogene Themen zunehmend mit religiösen und national-konservativen Diskursen verflochten. Welche Akteure werden im öffentlichen Raum sichtbar? Welche Ziele verfolgen sie? Wie argumentieren sie? Diesen Fragen gehen die Beiträge des Bandes in international vergleichender Perspektive nach.

Autorenportrait

Maren Behrensen, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für sozialethische Genderforschung am Institut für Christliche Sozialwissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Marianne Heimbach-Steins ist Direktorin des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften und Professorin für Christliche Sozialwissenschaften und sozialethische Genderforschung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Linda E. Hennig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centrum für Religion und Moderne der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Leseprobe

Einleitung Maren Behrensen, Marianne Heimbach-Steins, Linda E. Hennig 1. Die Trias Gender - Nation - Religion Seit einigen Jahren machen sogenannte Anti-Gender-Bewegungen von sich reden. Spätestens seit der Ende 2012 in Frankreich gegründeten zivilgesellschaftlichen Bewegung La Manif pour tous (Die Demo für Alle), die sich gegen den Gesetzesentwurf für das Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare richtete, oder den in vielen Ländern präsenten Märschen für das Leben sind die Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum unübersehbar. Gestritten wird über unterschiedliche Themenfelder wie Sexualkunde im Schulunterricht, die Rechte sexueller Minderheiten, Gleichstellungspolitik und Feminismus. Dabei erscheint Gender als eine Art Containerbegriff, der es erlaubt, diese unterschiedlichen Themen in einer aktivistischen und politischen Agenda zu vereinen. Hinzu kommt eine zunehmende Verflechtung von genderbezogenen Themen mit vormals disparaten religionsbezogenen und national-konservativen Diskursen. Zudem ergeben sich unerwartete Bündnisse auf Akteursebene. Die im öffentlichen Raum präsenten Themen werden von politischen Akteuren, besonders aus dem rechtspopulistischen und nationalistischen Spektrum, nicht nur gezielt aufgegriffen, sondern zum Teil auch selber erzeugt. Neben der Verflechtung der Diskurse um Gender und Nation bildet sich hier auch eine Verknüpfung zu Religion; dabei stehen Themen im Vordergrund, die in der Morallehre der katholischen Kirche, aber auch in evangelikalen protestantischen Zusammenhängen verankert sind (wie etwa die Ablehnung der Abtreibung oder der Widerstand gegen die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften); aber auch Themen, die mit der Chiffre christliches Abendland nationalistische Motive erkennen lassen, vor allem in Abwehrhaltung gegen eine vermeintliche Islamisierung, werden in (fundamentalistischen) religiösen Positionen aufgegriffen. Dabei bilden sich Allianzen - etwa für konservative Familienwerte oder gegen Gleichstellungspolitik -, die bis dahin aufgrund der sonstigen politischen Differenzen undenkbar gewesen wären. Als deutsches Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Partei Alternative für Deutschland zu nennen; sie inszeniert die vermeintliche "Gender-Ideologie" als Gefahr für die deutsche Familie und beruft sich dabei auch auf christliche Werte, während sie Einwanderungs- und Bevölkerungspolitik nach stramm ethno-nationalen Vorstellungen betreiben will. Auf der personellen Ebene lassen sich Anschlüsse sowohl in christlich-konservative beziehungsweise -fundamentalistische als auch in nationalistische und rechtsradikale Milieus nachweisen. Obwohl Themen wie Kinder(erziehung), Sexualerziehung und Familie seit langem zum Kernbestand kirchlicher Morallehren gehörten, ist der "Anti-Genderismus" als Aktivismus religiöser Akteure in der Öffentlichkeit ein recht junges Phänomen. Im Zusammenhang mit Re-Evangelisierungsbestrebungen kirchlicher Akteure (aus der katholischen Kirche, aber auch aus protestantischen und orthodoxen Kreisen), in denen auch eine Reaktion auf einen politischen und sozialen Bedeutungsverlust gesehen werden kann, reicht eine Neuentdeckung konservativer Werte (nicht zuletzt als Antwort auf einen immer progressiver werdenden gesellschaftlichen Mainstream) mindestens bis in die 1970er Jahre zurück. Neuartig sind allerdings die Brücken zwischen aktivistischen religiösen Milieus und rechtskonservativen politischen Kreisen (siehe zum Beispiel den Beitrag von Strube in diesem Band). Die zunehmende Verknüpfung von nationalistischen Diskursen mit anti-genderistischen Diskursen und der Beanspruchung christlicher Werte machen für viele Beobachter*innen Kirche und Religion als solche verdächtig. Es stellt sich daher die Frage, ob und inwieweit kirchlicherseits geführte Anti-Gender-Diskurse per se für nationalistische Ideologien anfällig sind beziehungsweise eine entsprechende Disposition aufweisen. Diese Frage wird noch drängender angesichts der Beobachtung, dass gerade auch kirchenferne, nationalistische Akteure sich diese religiös überschriebenen Anti-Gender-Diskurse im Sinne eines Brückenschlags in bürgerliche (also des Rechtsradikalismus unverdächtige) Milieus aneignen (siehe etwa Lang 2015; und den Beitrag von Behrensen/Stanoeva in diesem Band). Der vorliegende Sammelband schaut daher über das Engagement einzelner kirchlicher Akteure und Akteurinnen hinaus anhand ausgewählter Konstellationen auch auf die ideologischen und geistesgeschichtlichen Grundlagen religiöser Institutionen (siehe zum Beispiel den Beitrag von Elsner in diesem Band). Dementsprechend bildet die Trias von Gender, Nation und Religion den konzeptionellen roten Faden für den Band. Die damit angedeutete Untersuchungskonstellation erweitert das Spektrum einschlägiger Forschung: Denn es gibt zwar durchaus einen entwickelten Literaturbestand zu den aktuellen politischen Verflechtungen von Anti-Genderismus, Anti-Feminismus und Nationalismus auf der einen und von Anti-Genderismus und Religion auf der anderen Seite. Aber als explizite Dreifach-Konstellation hat dieses Thema bisher relativ wenig Aufmerksamkeit gefunden (auch wenn diese Konstellation häufiger anklingt). Dazu, diese Trias eingehender in den (wissenschaftlichen) Blick zu nehmen, soll nun dieser Band einen Beitrag leisten. AntiGenderDiskurse stehen im Kontext sozialpolitischer Veränderungen im Zuge der aktivierenden Sozialstaatswende um 2000 (siehe Lessenich 2008), demographischer Entwicklungen und der Austeritätspolitiken zahlreicher Staaten als Antwort auf die wirtschaftlichen Zugzwänge seit Beginn der Finanzkrise 2007. Versorgungskrise, Pflegenotstand, internationale CareKrise, das heißt sinkende Staatsausgaben in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Bildung und das Auffangen dieser Tätigkeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen oder privater Sorgearbeit, sind der Kontext, in dem politisch über Geschlechterverhältnisse gestritten wird. Weitreichende Änderungen der Erwerbssphäre, zum Beispiel der Rückgang des häufiger von Männern ausgeübten Normalarbeitsverhältnisses und die Zunahme atypischer, überwiegend von Frauen ausgeübter Beschäftigungsformen, produzieren neue Ungleichheiten und Unsicherheiten. Während feministische Perspektiven geschlechtergerechte Lösungen dieser Prekaritäten und Prekarisierungsängste fordern, etwa eine CareRevolution, "die demokratische Pflegeverhältnisse und Geschlechter und Versorgungsgerechtigkeit verwirklichen soll" (Lenz 2018: 24), postulieren antifeministische Diskurse Feminismus, Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung als eine Ursache der Veränderungen und die Besinnung auf traditionelle Familienwerte als Lösung (siehe Wimbauer u.a. 2015, Wischnewski 2018). Ungeachtet des (in dieser Publikation nicht fokussierten) sozialstrukturellen Kontexts lässt sich allerdings behaupten, dass genderbezogene Begrifflichkeiten und die daraus begründete Ideologie eine Eigendynamik entfalten, die Ängste anspricht, welche unabhängig von sozialen Positionen sind (siehe die Beiträge von Wellman und Morgan in diesem Band). Den Anstoß für die Publikation gab ein internationaler Workshop der Arbeitsplattform Religion, Politik und Geschlechterordnung, der vom 28. bis 29. Juni 2017 am Exzellenzcluster Religion und Politik der Universität Münster stattfand und unter der Federführung von Marianne Heimbach-Steins organisiert worden war. In der interdisziplinär ausgerichteten Veranstaltung diskutierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in nationalen und ländervergleichenden Perspektiven über Allianzen und Diskursverflechtungen, auch in Bezug auf kirchliche Akteure. Im vorliegenden Sammelband wurden einige dieser Impulse aufgegriffen und die Frage nach dem Wirkungszusammenhang von Gender, Nation und Religion auf andere Kontexte, wie den der Vereinigten Staaten, ausgeweitet. So wird unter anderem der Frage nachgegangen, wie die Inanspruchnahme religiöser Akteure und Semantiken in Verbindung mit Anti-Genderismus s...