Autorenportrait
Martin Clauss ist Professor für die Geschichte Europas im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit an der TU Chemnitz. Christoph Nübel, Dr. phil., ist Wissenschaftlicher Oberrat am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam.
Leseprobe
Entscheiden als militärgeschichtliches Forschungsproblem. Zur Einführung Martin Clauss und Christoph Nübel Im Jahr 47 v. Chr. besiegte Gaius Julius Caesar bei Zela in Kleinasien König Pharnakes II. in einer Schlacht, die vor allem wegen des Bonmots in die Geschichte eingegangen ist, das Caesar als Siegesmeldung an einen Freund in Rom geschickt haben soll: veni, vidi, vici. Die kurze Phrase lässt einige Elemente erkennen, die für das militärische Entscheiden typisch zu sein scheinen. Caesar inszenierte sich als alleinigen Entscheider, der einsam agierte und somit auch für den Erfolg persönlich verantwortlich war. Der Prozess des Entscheidens, der dem Sieg voranging, stand dabei nicht im Zentrum der Darstellung und wurde nur in wenigen Aspekten knapp angedeutet: Entscheidungs- und Aktionsort fielen zusammen, Caesar traf die relevanten Entscheidungen nicht fernab des Geschehens, sondern vor Ort. Dabei war der persönliche Augenschein das probate Mittel, um militärische Informationen zu sammeln. Den Inhalt der Entscheidung - etwa die Art des militärischen Vorgehens - kommentierte Caesar nicht weiter, nur das Resultat war für ihn berichtenswert. Dies verweist auf eine gewisse Diskrepanz zwischen dem Interesse, das dem Entscheiden als Prozess, der Entscheidung als dessen Ergebnis und dem Resultat der Entscheidung in Kriegsberichten entgegengebracht wurde. Besondere Beachtung erfuhr hingegen die zeitliche Dimension des ganzen Vorgangs. Plutarch und Sueton, welche dieses Trikolon überliefern, betonten beide, dass die prägnante Formulierung die Schnelligkeit des militärischen Erfolges wiederspiegeln sollte. Geschwindigkeit wurde als Qualitätsmerkmal verstanden, für das Entscheiden und die militärische Aktion. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass das Agieren der römischen Truppen vor Zela in anderen Quellen eher als reaktiv und zurückhaltend erscheint. So schilderte das bellum Alexandrinum, dass Caesar vom Angriff seines Gegners überrascht wurde, als seine Truppen dabei waren, ihr Lager zu befestigen. Caesar hingegen legte in seinem Bericht großen Wert auf schnelles Entscheiden und eine schnelle Entscheidung, was mehr über die sozio-kulturellen Konnotationen als über die historischen Abläufe bei Zela aussagt und das Entscheiden als soziale Praxis markiert. Der Feldherr als militärischer Entscheider zeichnete sich nicht durch intensives Grübeln oder abwägendes Debattieren, sondern durch die Fähigkeit zum schnellen Entschluss aus. Damit ist bereits ein Charakteristikum benannt, das dem militärischen Entscheiden bis in die Neuzeit hinein zugeschrieben wird. Im 19. Jahrhundert betonte Helmuth von Moltke, dass die Kriegführung seiner Epoche durch 'das Streben nach großer und schneller Entscheidung' bestimmt werde. Ähnlich entschieden wie Caesar, ja sogar auf diesen rekurrierend, handelte auch Friedrich der Große. Um zum allseits bewunderten Fürsten aufzusteigen, wollte er Schlachtenruhm erwerben. So griff er 1740 nach Schlesien. Seinem Minister Heinrich Graf von Podewils machte er in einem Brief vom Kriegsschauplatz deutlich, dass seine Entscheidung zum Krieg nicht mehr rückgängig zu machen und Glück, nicht nur Genie, Voraussetzung für den Erfolg war. 'Ich habe mit entfalteten Fahnen und klingendem Spiel den Rubicon überschritten []. Ich habe Grund, alles mögliche Gute von diesem Unternehmen zu erhoffen.' Friedrich griff auf antike Vorbilder zurück, um als tatkräftiger und entschlussfreudiger Feldherr wahrgenommen zu werden. Entschlossenheit im Entscheiden wurde und wird so eng mit dem Bild professioneller militärischer Führerschaft verknüpft, dass es bis heute zum militärischen Markenkern gezählt wird. Die im Jahr 2018 erlassenen 'Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege' der Bundeswehr nennen 'Entschlussfreude' als eine überzeitliche Soldatentugend. Die wesentliche Rolle des Entscheidens sowohl in binnenmilitärischen Abläufen wie auch im Bild des Militärs mag erklären, weshalb militärische Entscheidungsabläufe heute für Teile der Wirtschaft als beispielgebend gelten. Bei diesem exemplarischen Blick auf das Militär wird davon ausgegangen, dass es im militärischen und zivilen Bereich unterschiedliche Kulturen des Entscheidens gibt. Dieser Annahme folgend richten die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg Führungsseminare aus, in denen Manager von Offizieren der Bundeswehr lernen sollen, wie Entscheidungen im Militär getroffen werden. Auch in der Ratgeberliteratur wird militärisches Entscheiden als ein Beispiel für eine besonders effiziente Führungskultur genannt. Hier ist man offenbar der Ansicht, dass es im Militär klare Führungsgrundsätze und Hierarchien sowie deutliche Zuordnungen von Entscheidungskompetenzen gibt, die auch andere Organisationen gut steuerbar machen. Diese Beispiele zeigen, dass Entscheiden als eine zentrale Funktion im Feld des militärischen Denkens und Handelns verstanden wird. Die vorliegende Publikation unternimmt einen ersten systematischen Versuch, zu klären, was unter militärischem Entscheiden zu verstehen ist, und zeigt, wie es als historisches Problem analysiert werden kann. Militärisches Entscheiden als Forschungsgegenstand Obgleich militärisches Entscheiden offenbar von großer Bedeutung war und ihm zentrale Rolle im Handeln von Gewaltorganisationen zugeschrieben wurde, ist in der Forschung bislang weitgehend unklar geblieben, was genau darunter zu verstehen ist. Die Tatsache und Relevanz des Entscheidens im Militär wird vielfach unhinterfragt vorausgesetzt. Dagegen betonen jüngere Arbeiten, die sich mit dem Entscheiden in historischer Perspektive auseinandersetzen, dass es von volatilen Vorannahmen, Aufmerksamkeiten, Prestige oder Organisationskulturen abhängig ist. Entscheidungsprozesse dienen, so wird argumentiert, weniger dem Finden eines optimalen Ergebnisses, sondern sind auch als symbolische Akte zu verstehen, um der Entscheidung - auch im Nachhinein - Legitimität zu verleihen. Damit ist die Annahme, das Entscheiden beschreibe einen 'rationalen' Prozess, an dessen Ende eine ausgewogene Entscheidung steht, in Frage gestellt. Gleiches gilt auch für die universale Gültigkeit des Konzeptes 'Rationalität'. Gerade mit Bezug auf die und aus der Perspektive der Moderne wird oftmals unkritisch von einem allgemeingültigen Bezugssystem ausgegangen, dass Fakten und Argumente in die einzig logische, weil rationale Beziehung zueinander setzt. Neoinstitutionalistische Theorien kritisieren jedoch die Rationalitätsannahme in Entscheidungsprozessen und sprechen von einer Rationalitätsfiktion, die Entscheidungen Legitimität verschaffen soll. Da bei Entscheidungen zumeist nur unvollständige Informationen vorliegen ist, so die Annahme, rationales Entscheiden auch gar nicht möglich. Letztlich produzieren Organisationen zwar auch Entscheidungen, ihre Bedeutung ist aber vor allem darin zu sehen, dass sie politische Ordnungen repräsentieren. Offenbar werden Entscheidungen ganz wesentlich von einem mentalitätsgeschichtlichen Kontext geprägt. 'Stets ging und geht es darum, den kollektiven Vorstellungen von rationalem Handeln und den Erwartungen an rationales Handeln auch in institutionalisierten und organisierten Entscheidungskontexten zu entsprechen und so die Akzeptanz der Entscheidungen wahrscheinlicher zu machen.' Mit diesem Schwerpunkt hat sich die jüngere Verwaltungsforschung den Verfahrensabläufen in bürokratischen Entscheidungsprozessen angenommen und unterstrichen, wie bedeutend die Reduktion von Komplexität für das Gelingen von Verwaltungsverfahren ist. Die Übersetzung der vielschichtigen sozialen Wirklichkeit in solche Bausteine, die für ein Entscheidungsverfahren notwendig sind, lässt sich analog auch im modernen militärischen Führungsprozess (der den Schritten Lagebeurteilung, Entschlussfassung und Befehlsgebung folgt) feststellen. Entscheiden ist also ein Phänomen, das nicht nur historisch wandelbar ist, sondern auch komplexen Darstellungsformen unterliegt. Die Betonung der sozio-kulturell determini...