Verletzte Helfer (Leben lernen, Bd. 222)

Umgang mit dem Trauma: Risiken und Möglichkeiten, sich zu schützen, Leben Lernen 222

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608890907
Sprache: Deutsch
Umfang: 288 S., mit 13 farbigen Schaubildern
Format (T/L/B): 2.2 x 21 x 13.5 cm
Auflage: 1. Auflage 2009
Einband: Paperback

Beschreibung

Menschen zu helfen, die schweren traumatischen Belastungen ausgesetzt sind, ist ein riskantes Unterfangen. Psychotherapeuten und Helferteams, die in Krisenregionen, nach Naturkatastrophen oder auch in der therapeutischen Praxis mit schwerstem Leid und Verstörung konfrontiert sind, geraten an ihre Grenzen - oder überschreiten diese. Der bekannte Traumatherapeut und -forscher Christian Pross hat die Situation von Helfern in aller Welt erforscht und analysiert: Die typischen, weil strukturell bedingten Spannungen und Spaltungsmechanismen in Helferteams, Charakteristische Haltungen: zwischen Selbstaufopferung und narzisstischen Größenphantasien, Überlastungssymptome: Erschöpfung, Depression, Angst, Sucht. Darauf aufbauend hat er herausgefunden, was Helfern wirklich hilft. Überforderte Helfer, auch einzeln arbeitende Therapeuten, werden sich und ihre Arbeitsbedingungen darin wieder finden. Und sie erhalten wertvolle Hinweise, wie sie ihre Kräfte bewahren, Ressourcen nutzen und ihr Engagement erhalten können.

Autorenportrait

Christian Pross, Prof. Dr. med., Arzt für Allgemeinmedizin, Ausbildung in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie und zum Supervisor (DGSv), ist Mitbegründer und war von 1992 bis 2004 Leiter des Behandlungszentrums für Folteropfer in Berlin, ab 2009 Wissenschaftlicher Leiter einer Arbeitsgruppe Psychotraumatologie-Forschung am 'Zentrum Überleben' in Berlin; Lehrtätigkeit an der Universität; Mitglied im United Nations Subcomittee on Prevention of Torture. 2008 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Prof. Dr. med. Luise Reddemann ist Nervenärztin, Psychoanalytikerin und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin. Seit gut 50 Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit Trauma und Traumafolgestörungen. Von 1985 bis 2003 war sie Leiterin der Klinik für Psychotherapie und psychosomatische Medizin des Ev. Johannes-Krankenhauses in Bielefeld und entwickelte  dort ein Konzept zur Behandlung von Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen, die 'Psychodynamisch imaginative Traumatherapie' (PITT). Luise Reddemann führt zahlreiche Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen durch. Im Rahmen ihrer Honorarprofessur an der Universität Klagenfurt für medizinische Psychologie und Psychotraumatologie widmet sie sich den Arbeitsschwerpunkten Resilienz sowie Folgen von kollektiven Traumatisierungen.   Luise Reddemann war Mitglied im Weiterbildungsausschuss der Deutschen Akademie für Psychotraumatologie, im Wissenschaftlichen Beirat der Lindauer Psychotherapiewochen und in der wissenschaftlichen Leitung der Psychotherapietage NRW.   Luise Reddemanns Bücher und CDs im Verlag Klett-Cotta haben auch bei Betroffenen weite Verbreitung gefunden und vielen Menschen geholfen, mit einer traumatischen Erfahrung besser fertig zu werden.   Weitere Informationen zu Luise Reddemann finden Sie unter: www.luise-reddemann.de

Leseprobe

Einleitung Die Erkenntnis, dass Ärzte und Angehörige von helfenden Berufen selbst verletzt und hilfsbedürftig, dass ihre Verletzung eine Triebkraft zur Ergreifung dieses Berufes sein kann, ist so alt wie die Heilkunde selbst. Nach der griechischen Mythologie litt der medizinische Lehrer Äskulaps, Chiron der Centaur, an einer unheilbaren Wunde, die ihm Herkules zugefügt hatte 1. Kleinman fand in seinen biografischen Studien über Ärzte heraus, dass dem Motiv, diesen Beruf zu ergreifen, häufig eine eigene chronische Erkrankung oder die eines nahen Angehörigen zugrunde lag. Andere zu heilen diente ihnen dazu, die eigene Verletzung zu überwinden. 'Durch das Verletztsein weiß der Heiler, wie Leiden sich anfühlt. Es gibt keine bessere Ausbildung in der Expertise über Krankheiten' 2. Die meisten Schriften Freuds tragen die Spuren seines Lebens und seiner persönlichen Konflikte. Sein Werk 'Die Traumdeutung' sei ein Ausbruch von Selbstoffenbarung im Dienst der Wissenschaft, schreibt sein Biograf Peter Gay 3. Von Freud stammt die Erkenntnis, dass der Analytiker nur über das Durcharbeiten seiner eigenen Neurose in der Lage sei, andere zu analysieren. C. G. Jung konstatierte, 'nur der verletzte Helfer heilt' 4. Der amerikanische Militärpsychiater Abram Kardiner, ein Pionier der Behandlung von Kriegsneurosen (shell shock), schreibt in seiner Autobiografie, dass die 'endlosen Albträume' seiner frühen Kindheit - Armut, Hunger, Vernachlässigung, häusliche Gewalt und der frühe Tod seiner Mutter - die Richtung seiner geistigen Interessen beeinflusst hätten und ihn befähigten, sich mit den traumatisierten Soldaten zu identifizieren 5. Die tägliche Konfrontation mit Leid und Elend hinterlässt ihre Spuren. Insbesondere, wenn es sich um von Menschenhand zugefügtes Leid handelt. Steven Miles, Internist und Autor eines Buches über Folter durch US-Militärs im 'Krieg gegen den Terror', schreibt über diese Spuren: 'Die Arbeit an den Fragen, die dieses Buch hervorbrachten, veränderte mich. Wenn ich einen ganzen Tag unzählige Berichte über Akte willkürlicher Brutalität gelesen hatte, träumte ich manchmal, ich sei in Abu Ghraib 6 und ich wachte mit pochendem Herzen und schweißgebadet vor Angst auf. Anschließend überfiel mich eine Traurigkeit, und manchmal hörte ich auf zu schreiben, weil es mir sinnlos erschien' 7. Die Konfrontation hinterlässt nicht nur Spuren im einzelnen Helfer, sondern auch in Helfergruppen und Institutionen. In den letzten 30 Jahren sind überall auf der Welt Behandlungszentren für Kriegsopfer, Opfer häuslicher und sexueller Gewalt, politischer Verfolgung und Folter mit großem Engagement, Optimismus und Idealismus gegründet worden. Fast alle diese Einrichtungen haben eine krisenhafte Entwicklung durchlaufen. Die Aufbruchstimmung der Pionier- und Aufb auphase weicht nach einigen Jahren einer tief greifenden Ernüchterung angesichts von internen Spannungen, chronischen unlösbaren Konflikten, einhergehend mit Symptomen von Erschöpfung bei den Helfern, einer hohen Fluktuation und zahlreichen Spaltungen. Ein anschauliches Bild davon zeichnet Norbert Gurris aus einer Einrichtung für traumatisierte Flüchtlinge: 'Die Arbeit wurde ausgedehnt, manchmal auf Abend-, Nacht- und Wochenendstunden. Überstunden und Urlaubstage wurden eher dem Verfall überlassen. Vorübergehende Phasen von euphorischer Hyperaktivität wechselten sich ab mit Zusammenbrüchen, die im Volksmund wohl als hysterisch angesehen würden. Die Gefühle von Ohnmacht und Verzweiflung machten sich in gegenseitigen Beschuldigungen und Anfeindungen im Team Luft. Junge Praktikanten schilderten panische Ängste, psychisch krank zu werden angesichts des Modellverhaltens der festen Mitarbeiter. Streichungen von Mitteln durch den Träger des Projekts führten zum ›Verschwinden‹ von Kollegen quasi über Nacht. Bei den verbliebenen Mitarbeitern breiteten sich Fantasien von Krieg und Verfolgung in der eigenen Einrichtung aus' 8. Ebenso berichtet David Becker aus einem der ersten noch zu Zeiten der Diktatur in Chile gegründeten Traumazentren: 'Das Klima im Team verschlechterte sich zunehmend. Politische Differenzen und technische Diskussionen darüber, wie zu therapieren sei, wurden intensiver. Es kam zu Konflikten über die Leitungsstruktur. 1986 wurde schließlich deutlich, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Das Team begann zu zerfallen, die Streitigkeiten wurden heft iger, die Schuldgefühle, auch den Patienten gegenüber, immer größer. Irgendwann stellten wir fest, dass keiner von uns besonders gut schlief, dass wir alle regelmäßig Albträume hatten und im Schlaf mit den Zähnen knirschten. wir hatten uns so lange mit den ande ren, den Opfern, beschäftigt, bis wir uns selbst gegenseitig zu Opfern machten. Wir haben im Sinne eines Burnout-Syndroms das aggressiv aneinander ausgehandelt, was wir jahrelang von den Patienten erfahren hatten. Es ist nicht zufällig, dass wir eine Supervision erst dann zulassen und einfordern konnten, als das Team bereits fast eine traumatisch gespaltene Struktur aufwies, die die Supervisoren zunächst auf totale Ohnmacht bzw. Hilflosigkeit festlegte. Damit konnten wir die eigene negative Omnipotenz noch einmal bestätigen. Wir baten erst um die Hilfe, als keine Rettung mehr möglich war, und verteidigten so die pathologische Allmacht noch in der Selbstzerstörung' 9. Ich selbst habe ähnliche Erfahrungen gemacht beim Aufbau und der Leitung eines Zentrums für Folterüberlebende und über meine Einblicke in zahlreiche Traumazentren in verschiedenen Ländern. Unter den Kollegen dort habe ich sehr viel Leid und Not gesehen. Es hat viele persönliche Brüche gegeben mit Menschen, mit denen man einmal sehr eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet hat. Viele haben das Feld teilweise im Streit verlassen und sind bis heute nur schlecht und recht darüber hinweggekommen. Die o. g. Phänomene haben Auswirkungen auf die Qualität der Arbeit. Sie führen zu Auszehrung, Lähmung, Desorganisation und infolge der hohen Fluktuation zu einem Verlust an institutionellem Gedächtnis und Erfahrungswissen. Die Leidtragenden sind letztendlich die Patienten. Zunächst habe ich diese Erfahrungen als ein persönliches Scheitern meiner selbst und der in diesen Einrichtungen Verantwortung tragenden Kollegen empfunden. Bei genauerem Hinsehen habe ich jedoch nach und nach immer wiederkehrende Muster und Prozesse entdeckt, die auch in solchen Einrichtungen vorkamen, die von außen gesehen einen stabilen Eindruck vermittelten und 'gut' funktionierten. In den letzten zehn Jahren ist eine ganze Reihe von Publikationen erschienen, in denen versucht wird, diese Phänomene zu beschreiben unter der Überschrift 'Burnout', 'Compasssion Fatigue', 'Vicarious Traumatization', 'Secondary Traumatic Stress' etc. Sie haben zu der Erkenntnis geführt, dass solche Einrichtungen Supervision zur Bearbeitung von Spannungen und Konflikten brauchen und dass unter dem Stichwort 'Care for Caregivers' ein Betriebsklima, eine Teamkultur geschaffen werden soll, in der für Entlastung, Ausgleich und Erholung der Mitarbeiter gesorgt wird. Man bewegt sich bei dieser Arbeit auf einem Minenfeld mit den Abgründen menschlichen Seins. Als ich noch mittendrin war im Geschehen, habe ich angefangen, das Erlebte aufzuschreiben. Es war ein Weg, mit den archaischen, zerstörerischen und unerklärbaren Vorgängen fertig zu werden und meine Gedanken zu ordnen. Mein damaliger Supervisor hat mich ermutigt, diese Aufzeichnungen zu einer wissenschaftlichen Studie auszubauen. Ich konnte damit erst beginnen, nachdem ich aus allen meinen exekutiven Funktionen ausgeschieden war. Ich brauchte Abstand zu den Geschehnissen und zu den Menschen, mit denen ich zu tun hatte. Über das Forschen und die Interviews mit Kollegen aus den verschiedensten Bereichen im Rahmen dieser Studie war es mir möglich, das Geschehen aus der Vogelperspektive zu betrachten, von der aus ich die Dynamik in solchen Einrichtungen inzwischen besser zu verstehen glaube. Ich möchte dazu einen meiner Interviewpartner... Leseprobe

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Wenn Helfer Hilfe brauchen. Das erste forschungsgestützte Buch zum Thema Sekundäre Traumatisierung>