Der Ursprung der Geschichte

Archaische Kulturen, das Alte Ägypten und das Frühe Griechenland

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608941289
Sprache: Deutsch
Umfang: 352 S.
Format (T/L/B): 2.5 x 21 x 13.2 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Wie und wo begann das westliche Geschichtsbewußsein? Auf der Basis neuester anthropologischer und archäologischer Erkenntnisse untersuchen Cornelius Holtorf und Klaus E. Müller Zeitvorstellungen prähistorischer Kulturen und vorschriftlicher Gesellschaften. Das Verhältnis von Zeit und Staat, Kult und Kalender und die Wandlungen des Geschichtsbewußtseins im Alten Ägypten analysiert Jan Assmann. Am Beispiel des archaischen Griechenland erläutert Egon Flaig, wie sich die Griechen in ihren Mythen und poetischen Texten (Hesiod, Homer) unter Bezug auf vergangene Ereignisse definierten und sie als Argument benutzten. Ein eindrucksvoller Beitrag zu einem tieferen Verständnis von Geschichtsbewußtsein und -kultur.

Autorenportrait

- Jan Assmann, Professor für Ägyptologie an der Universität Heidelberg. Er leitet seit 1978 ein Forschungsprojekt in Luxor (Oberägypten) und lehrte als Gastprofessor an verschiedenen ausländischen Universitäten. 1998: Deutscher Historikerpreis. Wichtigste Veröffentlichungen: Das kulturelle Gedächtnis, 1999; Maat. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, 2001; Ägypten. Eine Sinngeschichte, 1996. Klaus E. Müller, geb. 1935, Professor em. für Ethnologie an der Universität Frankfurt a. M. und Mitglied des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen und des Hanse Wissenschaftskollegs Delmenhorst. Zuletzt erschienen: Schamanismus. Heiler, Geister, Rituale, 2001; Der Krüppel. Ethnologia passionis humanae, 1996.

Leseprobe

Zeitkonstruktion, Vergangenheitsbezug und Geschichtsbewußtsein im alten Ägypten Zeitkonstruktion und Vergangenheitsbezug Erneuerungszeit:Kult und Kalender Die allgemeinste und grundlegendste aller begriflichen Unterscheidungen im altägyptischen Zeitdenken bildet die 'Lehre von den zwei Ewigkeiten'. Die Ägypter unterscheiden eine zyklische und eine nicht-zyklische Zeit; die eine nennen sie Neheh, die andere Djet. (1) Neheh, die zyklische Zeit, ist die ewige Wiederkehr des Gleichen; sie wird erzeugt durch die Bewegung der Gestirne und daher mit der Sonne determiniert. Diese Zeit wird mit dem Begriff des Werdens assoziiert, der im Ägyptischen mit dem Bild des Skarabäus geschrieben wird. Der Skarabäus ist bekanntlich das zentrale Heilssymbol im Ägyptischen. Nicht das Sein, sondern das Werden steht im Zentrum ihres Denkens. Die Zyklen werden und vergehen, und was innerhalb der Zyklen wird, vergeht in der Hoffnung erneuerten Werdens. Wir können diese Zeit daher mit vollem Recht als 'Erneuerungszeit' im oben beschriebenen Sinne bezeichnen. Die andere Zeit wird mit dem Begriff des Bleibens, Währens, Dauerns assoziiert. Sie wird mit dem Zeichen der Erde determiniert. Ihre Symbole sind Stein und Mumie, ihr Gott ist Osiris, der gestorbene Gott, der dem Totenreich vorsteht. Djet ist ein heiliger Raum der Dauer, worin das Gewordene, zur Endgestalt Ausgereifte und in diesem Sinne Vollendete unwandelbar fortdauernd aufgehoben ist. Dies genau ist die Bedeutung des Namens, den Osiris als Herr der Djet trägt: Wannafre (gr. Onnophrios) bedeutet: 'Der in Vollendung Währende'. Es handelt sich bei der Djet also nicht um einen linearen Zeitbegriff, sondern vielmehr um dessen Gegenteil und Aufhebung, wobei hier aber nicht der Kreis, sondern der Raum das Gegenteil der Linie bildet. (2) Beide Zeiten oder Ewigkeiten gehören daher als Ausblendung von Wandel und Veränderung auf die Seite des Sakralen. Neheh sakralisiert die Zeit als Bewegung, indem sie zur Kreisbahn und ständigen Erneuerung gebogen wird, Djet sakralisiert die Zeit als währende Dauer, indem sie durch die symbolischen Formen des Steinernen in einen Raum der Unwandelbarkeit geformt wird. Diese Zeit können wir als 'Erinnerungszeit ' bezeichnen. Wir fassen zusammen: Die Erneuerungszeit ist zyklisch und arbeitet durch Ritualisierung gegen das Lineare, Irreversible an, die Erinnerungszeit ist räumlich und arbeitet im Medium der Monumente und ihrer streng kanonisierten Formensprache ebenfalls gegen das Irreversible, gegen Veränderung, Verschwinden und Vergessen an. Der Kult dient in Ägypten in allererster Linie der Konstruktion und In-Gang-Haltung der Neheh-Zeit, er hat den Charakter eines ritualisierten Kalenders. Anders als in Mesopotamien und anderen Divinationskulturen galt die auf den Kosmos gerichtete Aufmerksamkeit nicht den Ausnahmen, sondern den Regeln. In der zyklischen Regelhaftigkeit seiner Prozesse offenbarte sich dem Ägypter die Göttlichkeit des Kosmos. Wenn die ägyptischen Spezialisten unablässig den Himmel beobachten, dann nicht, wie etwa in Mesopotamien und anderen Divinationskulturen, um die Zukunft vorherzusagen, sondern um die Zeit als solche in Gang zu halten. Sie stellen die Stunden, Tage, Monate und Jahre fest. Der ägyptische Mondund Festkalender beruht auf Beobachtung. Anbruch und Länge des Mondmonats, der bekanntlich zwischen 29 und 30 Tagen schwankt, wurde nicht durch Berechnung, sondern durch Beobachtung bestimmt. Auch der Anfang des Jahres beruht auf astronomischer Beobachtung (Frühaufgang des Sirius). Da man aber für andere Zwecke auch einen auf Berechnung beruhenden Kalender braucht, arbeiteten die Ägypter mit zwei Kalendern. Der ägyptische Kalender beruhte auf dem Sonnenjahr, das mit 365 Tagen, also um einen Vierteltag zu kurz, berechnet wurde. (3) Es begann mit dem Einsetzen der Nilüberschwemmung, das mit einem astronomischen Ereignis, dem Frühaufgang der Sothis (= Sirius) verknüpft wurde (Mitte Juli nach dem julianischen Kalender) und glied

Inhalt

Einführung: Zeit und Geschichte (von Jan Assmann) Der Ursprung der Geschichte (von Klaus E. Müller) - Völker ohne Geschichte - Die verewigte Gegenwart - Die Erinnerung kommt - Das museale Gedächtnis - Die Inszenierung der Geschichte Geschichtskultur in ur- und frühgeschichtlichen Kulturen Europas (von Cornelius Holtorf) - Was heißt Geschichte in ur- und frühgeschichtlichen Perioden? - Die Bedeutung der Vergangenheit in der Vergangenheit - Ausblick Zeitkonstruktion,Vergangenheitsbezug und Geschichtsbewußtsein im alten Ägypten (von Jan Assmann) - Zeitkonstruktion und Vergangenheitsbezug - Zeit und Staat - Wandlungen des ägyptischen Geschichtsbewußtseins - Geschichte und Antigeschichte Der mythogene Vergangenheitsbezug bei den Griechen (von Egon Flaig) - Strukturierung der Vergangenheit in der archaischen Dichtung - Ruhm und Gedächtnis. Wie Zeitkonstruktion und normative Referenzmuster in der Adelskultur zusammenhingen - Institutionalisierung der Polis und Verformungen des kollektiven Gedächtnisses - Wie man mythische Vergangenheit als Argument benutzte - Syngeneia. Wie man mit Verwandtschaft um Bündner warb - Ausblick: Die kulturgeschichtliche Chance einer wirkungslosen Historiographie Anhang Bildnachweis Register

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