Beschreibung
Im Aufmacher des Augusthefts (Nr. 831) denkt Burkhard Müller mit viel Sinn für sprachliche Taschenspielertricks über die Metaphern nach, mit denen einschlägige Bücher naturwissenschaftliches Wissen zu veranschaulichen suchen. Aleks Scholz berichtet - ohne großen Metaphern-Aufwand über die Umwälzungen, die das neue Weltraumteleskop "Gaia" in der Astronomie ausgelöst hat. Dann noch einmal eine ordentliche Marx-Packung: Martin Burckhardt liest Marx' sonst eher selten gelesenes Maschinenfragment. Friedrich Lenger schreibt über das Ende des Kapitalismus, vor, bei und nach Marx. In der Kritik berichtet Roman Widder von einer Konstanzer Marx-Tagung und reflektiert über Marx-Publika der Gegenwart. Um den (wenig erfreulichen) Stand der Dinge in der Ukraine geht es in einem Essay von Paul Quinn-Judge. Nach Christian Krachts vielbeachteten Poetikvorlesungen nähert sich Hans Kruschwitz noch einmal dem Zusammenhang von Leben und Werk dieses Autors. Isabel Kranz entnimmt jüngeren Gartenbüchern manches über Sehnsüchte unserer Zeit. In seiner jüngsten Vogelbeobachtung bekommt es Günter Hack mit der Wacholderdrossel zu tun.
Autorenportrait
Christian Demand, Jg. 1960, hat Philosophie und Politikwissenschaft studiert und die Deutsche Journalistenschule absolviert. Er war als Musiker und Komponist tätig, später als Hörfunkjournalist beim Bayerischen Rundfunk. Nach Promotion und Habilitation in Philosophie unterrichtete er als Gastprofessor für philosophische Ästhetik an der Universität für angewandte Kunst Wien. 2006 wurde er auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg berufen, wo er bis 2012 lehrt. Buchveröffentlichungen: Die Beschämung der Philister: Wie die Kunst sich der Kritik entledigte (2003), Wie kommt die Ordnung in die Kunst? (2010). Christian Demand ist Herausgeber des MERKUR.
Leseprobe
Zitate aus Merkur, Nr. 831, August 2018 Der Autor sagt nur, die Raumzeit sei "'Heimat'", was hier in doppelten Gänsefüßchen stehen soll, ein Paar von mir und ein Paar von ihm, die wir beide, wenngleich aus verschiedenen Gründen, Zweifel an diesem Ausdruck hegen. Gewiss ist ein Kleiderschrank auch dann schon Heimat der darin verwahrten Kleider, wenn Kleider und Schrank nicht als irgendwie miteinander identifiziert gelten müssen. Was um Himmels willen meint er? Burkhard Müller, Das überspannte Gummituch Im Vergleich aber zu Babbage und Ure [.] scheint die Maschine bei Marx weniger auf einen materiellen Maschinenkörper als vielmehr auf ein abstraktes Geistwesen zu deuten. Eben darin besteht die Aktualität seines Texts, erfasst er doch eine metaphorische, sozioplastische Dimension, die dem Ingenieursblick verwehrt ist - was zu der paradoxen Schlussfolgerung führt, dass Marx' Maschinenfragment gerade deswegen zukunftsweisend ist, weil sein Autor von der Sache vergleichsweise wenig verstand. Martin Burckhardt, Der Kapitalismus ist tot (er weiß es nur noch nicht) Die Verelendungstheorie stimmte weder mit den schon zu Marx' Lebzeiten zugänglichen Fakten überein noch enthielt sie eine Erklärung dafür, wie sich Elend in bewusstes revolutionäres Handeln übersetzen sollte. Es ist von daher wenig überraschend, dass nach seinem Tod das Ende des Kapitalismus nur noch selten als aktiv herbeizuführendes Geschehen und stattdessen immer häufiger als Endpunkt eines naturwüchsig verlaufenden Prozesses diskutiert wurde. Friedrich Lenger, Das Ende des Kapitalismus - bei, vor und nach Marx Genau wie viele Euromaidan-Aktivisten bezeichnet auch Shore die Ereignisse als Revolution. Leider gab es die aber nicht. Angesichts der skrupellosen und stark bewaffneten Regierungskräfte war der Euromaidan ein heroischer und hartnäckiger Akt des Widerstands der Massen. Aber er war ganz sicher keine Revolution, wie sie ukrainische, russische oder polnische Standardwörterbücher definieren, die allesamt Nachdruck auf grundlegende Veränderungen und einen Systemwechsel legen. Paul QuinnJudge, Die Revolution, die keine war Im Zeitalter des "Post- It Procedural" (Richard Benson), also des Klebzettel-Krimis, [.] werden zu jedem Verbrechen Überblicksdarstellungen und Schaubilder erstellt, seither wird geklebt und geheftet, gezeichnet und geschrieben: ein Großeinsatz von Schreibwaren und paper tools, Ermittlung als (Büro)Materialschlacht. Elena Meilicke, Crazy Wall Der Sog, den Krachts Erzählstimmen und personale Perspektivierungen erzeugen, soll zwar verführen. Aber je verführerischer sie sind, umso mehr soll der Leser ihnen eben auch Widerstand leisten. Sonst fällt er auf sie herein und erfährt in seiner plötzlichen Komplizenschaft mit ihnen, wie bereitwillig vielleicht auch er in Richtung Homophobie, Antisemitismus und Totalitarismus gelenkt werden kann. Hans Kruschwitz, Wollt ihr die totale Ironie? Der männliche Gärtnerkörper ist zunächst reines Werkzeug und wird erst dann thematisiert, wenn er nicht funktioniert. Ganz im Sinne einer sich selbst als sensibel deklarierenden, jedoch dem Idealbild des Heros verhafteten Männlichkeit erzählt Augstein ausführlich, wie er "mehrere Tage lang" mit seinen "hohen Stiefeln" in einer Furche "herumgestampft" ist und schildert detailliert einen Unfall mit einem Gartenbeil. Isabel Kranz, Ich-Kreise um meinen Garten Marx taugt nicht zum Vorlesen und zum Schmökern, er will studiert werden. Er treibt seine Leser vom Schreibtisch in die Gruppe, von der Reflexion ins Gespräch und gibt so die Lektüre dem Sozialen zurück. Roman Widder, Marx-Publika Die Plots sehen aus wie Science-Fiction, sauber und perfekt, als hätte jemand die alte verrauschte Welt durch ein Modell ersetzt. Mein erster Gedanke: Ich werde alle Abbildungen in meinen Erstsemestervorlesungen ersetzen müssen. Wie einflussreich Forschung ist, zeigt sich daran, wie schnell sie dazu führt, dass man Lehrbücher umschreiben muss. Im Fall von Gaia DR2 dauert es nicht einmal einen Nachmittag. Aleks Scholz, Die Vermessung der Welt, jetzt aber richtig Wenn die Wacholderdrosseln kommen, so habe ich gelernt, wird es kalt werden, sehr kalt. [.] Wer die Wacholderdrosseln kennt, dem sagen sie einen Aspekt der Zukunft voraus. Sie sind nicht genauer als der Wetterbericht, aber ich muss kein technisches Gerät betätigen, um zu wissen, wie nun das Wetter werden wird, außerdem sind sie hübscher als ein Smartphone oder ein Radio, sehr lebendig gekleidet in ihre unbunten Farben. Günter Hack, Wacholderdrosseln aus der Zukunft