Rosabels Tagtraum

Erzählungen, Manesse Bibliothek der Weltliteratur

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783717521662
Sprache: Deutsch
Umfang: 368 S.
Format (T/L/B): 1.7 x 15.5 x 9.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Eine Großmeisterin der kleinen Form Mondschein und Nachtigallengesang waren ihr verhasst - zumindest in der Literatur. Ganz im Sinne der beginnenden Moderne entwickelte Katherine Mansfield ihren eigenen, nüchtern-objektiven Erzählstil, der ihr dichterischen Weltruhm einbrachte. Rosabels Tagtraum, eine exklusive Auswahl aus ihrem Gesamtwerk, lädt ein, die Meisterin der kleinen Form wiederzuentdecken.Es war der kurze, oft alles entscheidende Lebensmoment, der sie faszinierte. Ganz bewusst konzentrierte sich Katherine Mansfield auf die detaillierte Beschreibung des Augenblicks: Die junge Hutverkäuferin, die am Fenster sitzend von Pelzmänteln und Sportcoupés träumt. Der Schock zweier ehemals Verliebter, als sie sich nach Jahren zufällig wiederbegegnen. Der Moment, in dem die Ehefrau begreift, dass ihr Mann die Hand ihrer Freundin um eine Sekunde zu lang gehalten hat. Wie kaum einer anderen Autorin gelang es Katherine Mansfield, stets jenen Zeitpunkt einzufangen, der die ganze Wahrheit offenbart. Mit ihren Erzählungen schuf sie eine moderne Form der englischen Kurzgeschichte und gleichzeitig ein Werk, das dank seiner psychologischen Raffinesse bis heute nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt hat.Die eindrucksvollsten Erzählungen aus Katherine Mansfields GesamtwerkInhalt:Rosabels Tagtraum (1908); Die Gartenparty (1921); Die Seereise (1921); Die Frau von der Theke (1911); Psychologie (1918); Frühlingsbilder (1915); Die Fliege (1922); Glück (1918); Eine Gewürzgurke (um 1918); Der Fremde (1920); Miss Brill (1920); Sixpence (1921); Eine ideale Familie (1921); In der Bucht (1921); Über Pat (1905); Das Puppenhaus (1921); Die schwarze Mütze (1917); Der Kanarienvogel (1922)

Autorenportrait

Katherine Mansfield (1888-1923), aufgewachsen in der Kolonialwelt Neuseelands zwischen Maori-Bräuchen und Cellospiel, beginnt schon im Mädchenalter zu schreiben, entflieht, kaum volljährig, ihrer Familie nach London, wird schwanger, erleidet in Bad Wörishofen eine Fehlgeburt, wird zum Star der jungen Literaturszene und stirbt mit nur 34 Jahren in Fontainebleau. Ihr schmales Werk zählt zur modernen Weltliteratur.

Leseprobe

An der Ecke Oxford Circus kaufte Rosabel einen Veilchenstrauß, und das war der eigentliche Grund, weswegen sie so wenig zu sich nahm -ein Brötchen, ein gekochtes Ei und eine Tasse Kakao bei 'Lyons' waren nicht wirklich ausreichend nach einem langen Arbeitstag in einem Hutgeschäft. Während sie sich auf das Trittbrett des Busses schwang, ihren Rock mit der einen Hand raffte und mit der andern das Geländer umklammerte, dachte Rosabel, sie hätte ihre Seele für ein gutes Essen opfern mögen - gebratene Ente und grüne Erbsen, Kastanienfüllung, Pudding mit Brandysoße -, etwas Heißes, Schweres und Sättigendes. Sie setzte sich neben ein vermutlich gleichaltriges Mädchen, das 'Anna Lombard'2 in einer billigen Taschenbuchausgabe las; und der Regen hatte die Seiten mit Tränen bespritzt. Rosabel sah zum Fenster hinaus. Die Straße war verschwommen und neblig, aber das die Scheiben treffende Licht machte ihre Trübheit opalfarben und silbern und die Juweliergeschäfte draußen zu Märchenpalästen. Ihre Füße waren scheußlich naß, und sie wußte, an ihrem Rocksaum und Petticoat würde schwarzer, fettiger Schmutz haften. Ringsum der Übelkeit verursachende Geruch warmer Menschheit - er schien von jedermann im Bus ausgedünstet -, und jeder hatte denselben Gesichtsausdruck, wie er so still dasaß und vor sich hin starrte. Wie oft sie diese Reklamen gelesen hatte - 'Sapolio spart Zeit, spart Arbeit', 'Heinz' Tomatensauce' -und den allzu ärgerlich dummen Dialog zwischen Arzt und Richter über den größten Nutzen von 'Lamploughs Fiebersalz'. Sie blickte flüchtig auf das Buch, das das Mädchen so ernsthaft las, die Worte halblaut mitsprechend; und auf eine Art, die Rosabel mißfiel, leckte sie jedesmal, wenn sie die Seite umschlug, Daumen und Zeigefinger an. Sie konnte es nicht ganz erkennen; es handelte von irgend etwas wie einer heißen, wollüstigen Nacht, einer spielenden Musikkapelle und einem Mädchen mit hübschen weißen Schultern. Ach Gott! Rosabel rührte sich plötzlich und knöpfte die beiden obersten Mantelknöpfe auf. Ihr war, als müßte sie ersticken. Vor ihren halb geschlossenen Augen schien die Reihe der Leute auf der Bank gegenüber zu einem einzigen dummen stierenden Gesicht zu verschwimmen. Doch hier war ihr Viertel. Sie stolperte ein wenig auf ihrem Weg hinaus und taumelte gegen das Mädchen neben ihr. 'Bitte entschuldigen Sie', sagte Rosabel, aber das Mädchen blickte nicht einmal auf. Rosabel sah sie lächeln, während sie las. Westbourne Grove sah aus, wie sie sich Venedig bei Nacht vorstellte, geheimnisvoll, dunkel; sogar die Kutschen waren wie Gondeln, die sich auf und ab bewegten, und die Lichter krochen gespenstig dahin - Flammenzungen, die die nasse Straße leckten, Zauberfische, im Canale Grande schwimmend. Sie war überglücklich, als sie die Richmond Road erreichte, aber von der Straßenecke, bis sie an die Nr. 26 kam, dachte sie an die vier Treppen. Oh, warum diese vier Treppen! Es gehörte wirklich verboten, von Menschen zu erwarten, so hoch oben zu wohnen. Jedes Haus sollte einen Lift haben, etwas Einfaches und Preiswertes, oder etwa eine Rolltreppe wie die in Earl's Court - aber vier Treppen! Als sie im Hausflur stand und die erste Treppe vor sich sah und den ausgestopften Albatroskopfaufdem ersten Absatz, der gespenstisch im Licht der kleinen Gasflamme schimmerte, weinte sie beinahe. Doch - sie mußten bewältigt werden; es war ganz wie beim Hinauffahren eines steilen Hangs mit dem Fahrrad, aber ohne die Befriedigung, auf der andern Seite wieder hinunterzusausen. Endlich ihre eigenen vier Wände! Sie schloß die Tür, zündete das Gaslicht an, legte Hut und Mantel ab, zog Rock und Bluse aus, nahm den alten Flanellmorgenrock vom Haken hinter der Tür, streifte ihn über, löste dann die Schnürsenkel von den Schuhen - und stellte fest, daß ihre Strümpfe nicht naß genug zum Wechseln waren. Sie ging zum Waschtisch. Der Krug war heute wieder nicht aufgefüllt worden. Es gab gerade genug Wasser, damit sich der Schwamm vollsaugen konnte; und das Email platz Leseprobe